Wie nachhaltig ist Job-Aufbau?
© Aargauer Zeitung / MLZ; 26.01.2008; Seite 15 Wirtschaft
Alstom Keine Industriefirma hat in der Schweiz 2007 mehr neue Stellen geschaffen Das Kraftwerkgeschäft boomt. Alstom Schweiz beschäftigt wieder mehr Angestellte als vor den Krisenjahren. Jetzt verlagert der Konzern weitere Leitungsfunktionen von Paris nach Baden. Ein Gespräch mit Walter Gränicher, Mitglied der Pariser Konzernleitung und Chef von Alstom Schweiz.
Peter K. Sonderegger
Als Alstom Schweiz-Chef sind Sie derzeit Schweizer Meister in Job-Aufbau.
Walter Gränicher: Sicher gehören wir zu denjenigen Industrieunternehmen, die letztes Jahr am meisten eingestellt haben.
Konkret?
Gränicher: Am ersten Januar hatten wir genau 4864 Festangestellte. Genau 610 mehr als ein Jahr zuvor.
Damit haben Sie wieder mehr aufgebaut als in der Krise vor rund fünf Jahren abgebaut worden sind.
Gränicher: Eindeutig . . .
. . . aber wo finden Sie derzeit überhaupt qualifizierte Mitarbeiter?
Gränicher: Noch ein Drittel der neu Eingestellten kommt aus der Schweiz, ein Drittel aus Deutschland und die übrigen aus der ganzen Welt.
Und trotz Personalaufbau klagen viele Ihrer Mitarbeiter über zu hohe Arbeitsbelastung.
Gränicher: Für die termingerechte Abwicklung von Grossaufträgen entstehen teils massive Spitzenbelastungen. Viele sind sehr stark gefordert. Auch an Abenden und an Wochenenden. Wir sind uns bewusst, dass wir in gewissen Bereichen an die Grenzen stossen. Wir suchen deshalb auch weiter weit über 200 Leute.
Es könnten im laufenden Jahr somit nochmals einige hundert Arbeitsplätze dazukommen?
Gränicher: Der Stellenplafond ist noch nicht erreicht. Zusätzlich zu den Festangestellten beschäftigen wir übrigens etwa 600 temporär Angestellte.
Und jetzt kommen zusätzlich weitere Führungsfunktionen aus Paris in die Schweiz.
Gränicher: Mit Power Systems › dem Neuanlagengeschäft › und dem von mir geführten Power Service › dem Servicegeschäft › werden zwei der drei Alstom-Konzernsparten von Baden aus geführt. Die Bahnsparte hat den Sitz in Paris. Jetzt holt mein Konzernleitungskollege Philipp Joubert, der für das Neuanlagengeschäft zuständig ist, die bisher noch in Paris angesiedelten Leitungsfunktionen des Bereichs Energy- and Environmental-Systems mit etwa 60 Beschäftigten schrittweise nach Baden.
Bisher hat man eher befürchtet, dass die Pariser Konzernleitung Tätigkeiten aus der Schweiz Richtung Frankreich abziehen könnte.
Gränicher: In der Öffentlichkeit gab es solche Befürchtungen. Im Management habe ich das nie so erlebt.
Wie erleben Sie denn in Ihrer Doppelfunktion als Mitglied der Konzernleitung und als Country-Manager für die Schweiz die Einschätzung der Schweiz? Was spricht aus Sicht des französischen Konzerns für den Standort Schweiz?
Gränicher: Einen hohen Stellenwert haben die Flexibilität der Mitarbeitenden, der liberale Arbeitsmarkt, aber auch die Nähe zum Flughafen mit gu- ten internationalen Verbindungen. Baden ist als Arbeitsort attraktiv. Es braucht meist nicht viel Überzeugungskraft, um Leute in die Schweiz zu holen.
Aber wie nachhaltig ist der jetzige Stellenaufbau?
Gränicher: Der Stromverbrauch wächst weltweit jedes Jahr ziemlich konstant um drei Prozent. Das braucht neue Kraftwerke. Dazu kommt, dass rund ein Drittel aller installierter Kraftwerke über dreissig Jahre alt sind. Diese müssen somit im Laufe der nächsten zwanzig Jahre schrittweise ersetzt werden. Wir rechnen damit, dass der steigende Stromverbrauch und der Ersatz alter Anlagen den Bau neuer Kraftwerkskapazitäten von rund 150 Gigawatt pro Jahr erfordert. Wir schauen positiv in die Zukunft.
Alstom Schweiz war schon 2001 Schweizer Meister im Job-Aufbau. Damals wurden innerhalb von etwa 16 Monaten 1600 Stellen aufgebaut. Schon damals sprach man von sehr guten Aussichten für die Branche. Dann platzte die US-Kraftwerk- Bubble. Was ist jetzt anders? Gränicher: Die Kraftwerkreserven schrumpfen. Investitionen lassen sich immer weniger aufschieben. Mit steigender Nutzungsdauer von Anlagen steigen die Unterhaltskosten und neue Kraftwerke sind effizienter und . . .
. . . dazu kommen Umweltaspekte.
Gränicher: Viele der installierten älteren Dampfkraftwerke arbeiten mit einem Wirkungsgrad um 30 Prozent. Neue Kohlekraftwerke erreichen 42 bis 45 Prozent. Der gleiche Stromoutput kann somit mit deutlich weniger Kohle produziert werden. Entsprechend geringer ist die Umweltbelastung.
Pech, dass das Gas massiv teurer geworden ist. Das benachteiligt die stark auf Gaskraftwerke ausgerichtete Alstom Schweiz.
Gränicher: Nicht eigentlich! Die Produktionsvoraussetzungen in den einzelnen Ländern sind sehr unterschiedlich. Es wird deshalb weiter Kohlekraftwerke, Kernkraftwerke und auch Gas-Kombikraftwerke brauchen. Und wo es möglich und sinnvoll ist, wird man weiter Wasserkraftwerke und andere erneuerbare Energien einsetzen.
Im Bereich Wasserkraft ist Alstom die Nummer eins, im Bereich der neuen erneuerbaren Energie aber bisher ein Nobody.
Gränicher: Da haben wir bisher wenig gemacht. Jetzt haben wir in Spanien die Ecotècnia gekauft, die im Bereich Windkraft einen Umsatz von über 300 Millionen Euro macht. Wir suchen weitere Wachstumsmöglichkeiten.
Im Moment können Sie im Stammgeschäft kaum liefern, was bestellt wird. Der Konzern sitzt auf einem Auftragspolster für zweieinhalb Jahre . . .
Gränicher: . . . und bei Alstom Schweiz ist der Auftragsbestand ebenfalls auf Rekordniveau. Auch der Schweizer Markt entwickelt sich übrigens sehr erfreulich. Wir haben grosse Aufträge für das Kernkraftwerk Leibstadt. Im Hydrobereich erhielten wir den Award für das Pumpspeicherwerk Nant de Drance im Wallis. Bei weiteren Hydroprojekten sind wir gut positioniert.
Die Kraftwerkkunden leiden dafür unter wachsenden Lieferzeiten.
Gränicher: Alstom hat auch darum eine Investition von über 200 Millionen Dollar für ein Turbinenwerk in den USA frei gegeben. Auch in China wurde eine neue Fabrik gebaut. Wir inves- tieren gezielt in den Ländern, wo wir eine gute Zukunft sehen.
Und in der Schweiz?
Gränicher: Da geht es in der Produktion vor allem um die Optimierung und um die Behebung von Engpässen. Der grosse Personalausbau betrifft vor allem das Engineering. Aber was heisst das für die Rotorenfabrik in Birr, wenn in den USA eine neue Turbinenfabrik gebaut wird?
Gränicher: In den USA investieren wir vor allem mit Blick auf die erwartete Renaissance der Nuklearenergie. Dazu kommt das Dollar-Problem. Wir rechnen mit einer anhaltend schwachen US-Währung. Auch darum ist es wichtig, dass wir für grosse US-Aufträge, wie etwa für Kernkraftwerke, in den USA einen entsprechenden lokalen Produktionsanteil erreichen.
Kraftwerkkunden klagen über eine eigentliche Preisexplosion mit Preissteigerungen bei Gas-Kombikraftwerken um fünfzig und mehr Prozent.
Gränicher: Es geht tatsächlich in diese Richtung. Allerdings von einem sehr tiefen Preisniveau aus. Die Kosten sind teils massiv gestiegen, vom Rohmate- rial bis über die ganze Zulieferkette. Zudem müssen und wollen auch wir die Profitabilität unseres Geschäfts verbessern. |