"Die Chinesen werden Konkurrenten" Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 06.09.2010 Globalisierung Der Lkw-Hersteller MAN stellt die Weichen für einen deutlichen Ausbau des Geschäfts in Südamerika und Asien. VersendenVersenden [Drucken] Drucken Lesezeichen
Im Gegensatz zu Daimler, dem größten Nutzfahrzeughersteller der Welt, hatte MAN in der Vergangenheit vor allem Europa im Blick. Doch nun wollen auch die Münchner zu einem Global Player werden und vor allem in Brasilien, Russland, Indien und China kräftig mitmischen. Frank Lutz, der Finanzvorstand des Münchner Konzerns, sieht gute Chancen in diesen Zukunftsmärkten. In Brasilien ist das Unternehmen bereits Marktführer.
Herr Lutz, welches Signal wird von der Nutzfahrzeugmesse IAA in Hannover ausgehen, die in wenigen Wochen ihre Pforten öffnet? Ist die schwerste Branchenkrise der Nachkriegszeit mittlerweile überwunden?
Ich würde noch nicht das Ende der Krise ausrufen, denn trotz hoher Zuwächse liegt die Produktion noch signifikant unter dem Niveau von 2007 und 2008. Aber die Lage hat sich deutlich entspannt. Die Branche kommt viel schneller aus der Krise, als es zum Jahresbeginn absehbar war. Alle Lastwagenhersteller fahren derzeit die Produktion deutlich hoch.
Wann wird der Einbruch wettgemacht sein und wieder das Niveau von 2008 erreicht?
Ich denke, dass 2008 die falsche Orientierung wäre, weil dies ein ganz außergewöhnliches Jahr war. Wir denken aber, dass wir 2012 oder 2013 zumindest wieder das Produktionsniveau von 2006 erreichen können.
MAN hat nach einem tiefen Absturz 2009 in den vergangenen Quartalen hohe zweistellige Zuwächse präsentiert. Der Auftragseingang bei den Nutzfahrzeugen legte im zweiten Quartal im Vergleich mit dem Vorjahr um 65 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro zu. Geht es im dritten Quartal in diesem hohen Tempo weiter?
Das dritte Quartal, in dem die Sommerferien liegen, ist traditionell etwas schwächer als das zweite. Deshalb rechnen wir nicht mit so hohen Zuwächsen wie im zweiten Quartal. Dennoch werden wir sehr deutlich wachsen, und zwar nicht nur beim Auftragseingang, sondern auch beim Umsatz.
Wie wirkt sich diese Belebung auf die Beschäftigung aus. Seit dem vergangenen Jahr gab es massive Kurzarbeit, und die Leiharbeiter mussten gehen. Werden nun wieder Leiharbeiter eingestellt?
So weit sind wir noch nicht. Wir werden jedoch im Laufe des Jahres die Kurzarbeit beenden. Im Motorenwerk Nürnberg sowie im österreichischen Steyr ist dies bereits erfolgt. In den Lkw-Werken München und Salzgitter werden wir die Kurzarbeit in den kommenden Monaten weiter deutlich verringern und bis zum Jahresende ganz auf null zurückfahren.
Im vergangenen Jahr ist MAN durch die Übernahme des brasilianischen Nutzfahrzeuggeschäfts von Volkswagen auf einen Schlag zum Marktführer in diesem Land aufgestiegen. Welche strategische Bedeutung hat dieser Vorstoß nach Südamerika?
Brasilien hat eine ganz wesentliche Bedeutung, weil es einer der zukunftsträchtigsten Märkte der Welt ist. Das Engagement in Brasilien ist Teil unserer Strategie neben den historischen Kernmärkten vor allem die BRIC-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien und China in den Fokus zu nehmen.
Und wie sieht die Zwischenbilanz in diesen Ländern aus?
In Brasilien ist MAN die Nummer eins beim Marktanteil, in Russland sind wir der größte Importeur, in Indien haben wir ein Gemeinschaftsunternehmen, das jetzt hochgefahren wird, und in China sind wir im vergangenen Jahr beim Lastwagenhersteller Sinotruk eingestiegen.
Der brasilianische Boom ist durch staatliche Konjunkturmaßnahmen angekurbelt worden. In den vergangenen Jahrzehnten war Brasilien immer ein sehr volatiler Markt. Auf einen steilen Aufstieg folgte wieder ein steiler Absturz. Wie sicher ist das künftige Wachstum in Brasilien?
Die Konjunktur ist zwar vom Staat angekurbelt worden, das ist richtig, doch mittlerweile ist daraus ein sich selbst tragender Aufschwung geworden. Und es gibt etliche Gründe, die für weiteres Wachstum des Nutzfahrzeugmarktes in den kommenden Jahren sprechen: Es gibt eine wachsende Mittelschicht, die stark konsumiert und Transportdienstleistungen benötigt. Das Straßennetz muss ausgebaut werden, um die Rohstoffe, die das Land hat, besser nutzen zu können. Zudem stehen große Sportveranstaltungen bevor: die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele. All das hält den konjunkturellen Motor in Schwung. Deshalb wird uns nicht bange, wenn die konjunkturellen Stützungsmaßnahmen zum Jahresende auslaufen.
Bisher wurden die Lastwagen aus dem Werk Resende nur unter der Marke VW verkauft. Nun kommt ein schwerer Lastwagen von MAN hinzu. Wird die Marke VW Schritt für Schritt durch MAN ersetzt?
Nein, es wird beide Marken nebeneinander geben. Die Marke VW ist als Marktführer gut etabliert. Wir sollten alles vermeiden, was diese Position gefährden könnte. Parallel dazu führen wir zusätzlich die Marke MAN für die schweren Lastwagen ein. Damit wird das Angebot erweitert. Im April ist die Produktion angelaufen, im Dezember startet der Verkauf.
Das brasilianische Werk hat ein ungewöhnliches Produktionssystem, das der umstrittene einstige VW-Vorstand Lopez entworfen hat. Fast die gesamte Produktion übernehmen Zulieferer, deren Mitarbeiter die Teile auch einbauen. Wäre dies ein Modell für Europa?
Nein. Das Produktionssystem ist genau richtig für Brasilien, weil es in Märkten mit großen Schwankungen eine hohe Flexibilität ermöglicht. Auf der anderen Seite muss man aber berücksichtigen, dass der Hersteller einen Teil seiner Marge an die Lieferanten abgibt, weil seine Fertigungstiefe geringer ist. Für Europa sind wir voll von unserem jetzigen Produktionssystem überzeugt.
Wird es bei MAN dann zwei getrennte Welten geben: Europa und Südamerika?
Keinesfalls. Beide Bereiche werden eng zusammenarbeiten. Der erste Schritt der Vernetzung ist mit der brasilianischen Produktionslinie für deutsche Lastwagen ja schon gemacht worden. Die künftigen Fahrzeuggenerationen werden von Kollegen in Brasilien und in Deutschland gemeinsam entwickelt. Zudem arbeiten wir daran, dass künftig auch unsere Motoren in die brasilianischen Lastwagen eingebaut werden. Damit können wir erhebliche Synergien heben.
Beim Engagement in China gründen die meisten Fahrzeughersteller ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Partner. MAN dagegen hat sich am chinesischen Lastwagenhersteller Sinotruk direkt mit 25 Prozent plus einer Aktie beteiligt. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Wir waren der Meinung, dass es an der Zeit ist, einen neuen Weg zu beschreiten. Dabei hat auch die Diskussion über die Sicherung des geistigen Eigentums eine Rolle gespielt. Wir entwickeln nun gemeinsam mit unserem chinesischen Partner auf der Basis der von uns lizenzierten Technologie einen schweren Lastwagen und erhalten für unser Knowhow Lizenzgebühren. Zudem ist Sinotruk an der Börse in Hongkong notiert, was eine hohe Transparenz schafft.
Wie viele dieser schweren Lastwagen wollen Sie verkaufen?
Es ist ein jährlicher Absatz von 50 000 Fahrzeugen geplant, die unter einer neuen Marke in China und Schwellenländern verkauft werden sollen. Man muss dabei berücksichtigen, wie stürmisch der Markt wächst. Im vergangenen Jahr hat Sinotruk 125 000 Fahrzeuge verkauft, in diesem Jahr allein in den ersten sechs Monaten bereits 115 000 Lkw.
Sehen Sie nicht das Risiko, dass chinesische Hersteller mit deutscher Unterstützung lernen, wie man moderne Lastwagen baut, und dann als Konkurrenten auftreten?
Grundsätzlich gilt: wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss die technologische Führerschaft anstreben und verteidigen. Früher oder später werden die Chinesen - ganz gleich ob mit oder ohne fremde Hilfe - in der Lage sein, uns Konkurrenz zu machen, und dann muss man immer einen Schritt voraus sein. Den Dieselmotor gibt es auch schon lange, und wir haben kein Patent auf den Dieselmotor, obwohl er einst bei uns entwickelt worden ist. Trotzdem sind wir erfolgreich, weil wir die Technik ständig verbessern.
Werden die Chinesen auch einmal Lastwagen in Europa verkaufen?
Davon bin ich fest überzeugt. Wann das sein wird, ist jedoch schwer zu sagen.
Anders als in China hat MAN im Zukunftsmarkt Indien vor vier Jahren ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Lastwagenhersteller Force Motors gegründet. Doch die hohen Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. Warum?
Wir sind dort in der Tat noch nicht so weit, wie wir gern sein würden. Wir haben gemeinsam ein Fahrzeug entwickelt und dann feststellen müssen, dass die Zulieferer nicht die von Europa gewohnte Qualität bringen. Deshalb haben wir viel Energie und Ressourcen in die Entwicklung der Zulieferer stecken müssen.
Also ist dies ein Zuschussgeschäft?
Nein. Wir verkaufen zwar bisher nur rund 3000 Fahrzeuge im Jahr, aber selbst mit diesen kleinen Stückzahlen erwirtschaften wir ein ausgeglichenes Ergebnis. Und wir sehen gute Chancen für einen höheren Absatz, auch durch einen Export in Länder wie Südafrika. Dies wird sich auch auf die Ertragslage auswirken.
VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hat mit zäher Energie Scania erobert und dringt jetzt als MAN-Aufsichtsratschef auf eine enge Allianz zwischen der VW-Tochter Scania und MAN. Wie ist der Stand der Dinge?
Wir untersuchen seit einigen Wochen Möglichkeiten zur Kooperation und kommen gut voran. Im Mittelpunkt stehen Fahrzeugkomponenten wie etwa Achsen und Getriebe. Zudem prüfen wir eine Kooperation bei der Beschaffung, wobei wir aber immer die kartellrechtlichen Grenzen beachten müssen. Klar ist auch: alles, was die Identität der beiden Marken berührt, etwa Fahrerkabinen und Motoren, wird nicht angefasst.
Das Gespräch führte Harry Pretzlaff. |