WM-GASTGEBER SÜDAFRIKA
Am Kap der großen Probleme
Von Gunnar Vogt, Windhuk
Noch sind es vier Jahre bis zur nächsten Fußball-WM, aber beim Gastgeber Südafrika ist schon Ernüchterung eingekehrt. Die Fifa kritisiert den Zustand der Stadien, auch das Nationalteam präsentiert sich in schlechter Verfassung. Die Hoffnungen ruhen nun auf einem namhaften Trainer aus Brasilien.
Windhuk - Für einen Abend gerät im Township Katutura am Stadtrand von Namibias Hauptstadt Windhuk die Armut in Vergessenheit. Selten erfüllt das dort neu erbaute Sam-Nujoma-Stadion seinen erdachten Zweck, die Menschen von der Straße zu locken. Für das Länderspiel gegen Südafrika heute Abend sammeln die Bewohner jedoch ihre dürftigen Ersparnisse zusammen, um sich den Eintritt leisten zu können. Südafrika gilt als Lieblingsgegner, die letzten beiden Partien gewann Namibia. Auch am Mittwoch wäre ein Erfolg des 167. der Fifa-Weltrangliste keine Überraschung, denn der Gegner vom Kap ist vier Jahre vor der WM im eigenen Land so schlecht wie lange nicht. Die WM in Deutschland hat die Messlatte hoch gehängt und bewiesen, wie wichtig der Auftritt der Heimmannschaft für die Atmosphäre im Land sein kann. Nach dem derzeitigen Leistungsstand der Nationalelf muss Südafrika ein Debakel befürchten.
"Wir haben ein großes Problem im südafrikanischen Fußball", sagte Sibusiso Zuma vom Bundesligisten Arminia Bielefeld bereits nach dem Afrika-Cup Anfang dieses Jahres. Nachdem sich die "Bafana Bafana" genannt Nationalmannschaft schon nicht für die WM in Deutschland qualifizieren konnte, erreichte der Abwärtstrend bei den kontinentalen Titelkämpfen in Ägypten seinen vorläufigen Tiefpunkt. Nach drei Niederlagen und ohne Torerfolg schied der Titelträger von 1996 in der Vorrunde aus. Trainer Ted Dumitru, der einen Neuanfang mit jungen Spielern wagen und sich nicht den Extravaganzen der Profis aus Europa aussetzen wollte, musste gehen.
Die Hoffnungen ruhen auf Parreira
Der sportliche Niedergang schlägt auch aufs Gemüt der Nation. Aus der anfänglichen Euphorie nach dem WM-Zuschlag ist Resignation geworden. Und passend zu der Tatsache, dass noch nie zuvor eine WM-Endrunde in Afrika stattfand, gibt auch der Ausrichter 2010 derzeit das Bild eines Debütanten ab: verunsichert - und vor allem nicht gut vorbereitet. Von finanziellen Schwierigkeiten und Fehlplanungen war die Rede, Gerüchte um eine Verlegung des Turniers machten die Runde, da der Bau der Stadien nicht in die Gänge kommt.
Der organisatorische Missstand soll durch Hilfe von Organisations-Weltmeister Deutschland behoben werden - ein Architektenbüro aus Hamburg hat sich der Sache mittlerweile angenommen. Um die Defizite innerhalb der Mannschaft auszubessern verpflichtete der südafrikanische Verband Safa vor kurzem Brasiliens WM-Trainer Carlos Alberto Parreira, der nach dem Viertelfinal-Aus der Seleção zurückgetreten war. Er soll das Unmögliche möglich machen und aus einer Mannschaft, die im letzten Jahr noch gegen Island 1:4 verloren hat, eine WM-taugliche Einheit bilden.
Sein deutscher Kollege Ernst Middendorp, Coach des südafrikanischen Top-Teams Kaizer Chiefs, ist einer der wenigen Optimisten am Kap. "Ich bin überzeugt, dass die Stadien rechtzeitig fertig werden", sagt der ehemalige Bundesligatrainer von Arminia Bielefeld im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE, "aber wichtiger ist, dass die Mannschaft endlich einen Trainer hat." Nach dem Afrika-Cup übernahm Pitso Mosimane die Geschicke als Interimscoach, seitdem geisterten große Trainernamen wie Guus Hiddink oder Sven-Göran Eriksson durch die Köpfe der Verantwortlichen. Mit unbekannten Namen wollte man sich nicht zufrieden geben, wenn bald die Fußballwelt nach Afrika schaut.
Schleichender Niedergang
Parreira hatte sich zunächst selbst in Südafrika ins Gespräch gebracht und für Diskussionsstoff gesorgt, weil er nicht erste Wahl, aber dafür teuer sei. "Ich kann die Kritik an seiner Verpflichtung nicht verstehen. Er hat Mannschaften wie Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien zur WM geführt. In vier Jahren ist es mehr als machbar, ein gutes Team aufzubauen", so Middendorp. Doch ob ein großer Name alleine ausreicht, Strukturen für einen Erfolg zu schaffen, ist fraglich. Erst 1992 in die Fifa aufgenommen, galt Südafrika nach dem Afrika-Cup-Erfolg vor zehn Jahren und den WM-Teilnahmen 1998 und 2002 schnell als große afrikanische Hoffnung. Doch die WM-Teilnehmer Angola, Tunesien, Elfenbeinküste, Ghana und Togo haben ihnen genauso den Rang abgelaufen wie Nigeria, Kamerun oder Senegal.
"Wenn man in elf Jahren insgesamt zwölf Trainer verschleißt, ist eine negative Entwicklung vorauszusehen", sagt Middendorp. Ein schmeichelhafter 1:0-Sieg im Mai gegen Swasiland war das letzte Erfolgserlebnis. Selten kommen alle Spieler aus Europa zusammen zu den Testspielen, eine Einheit zu formen ist schwierig. Für das Namibia-Spiel sind auch Profis aus Europa wie Steven Pienaar von Borussia Dortmund oder Benedict McCarthy (Blackburn Rovers) nominiert, aber obwohl heute offizieller Fifa-Spieltag ist und alle Akteure von ihren Vereinen freigestellt werden, bleibt Skepsis über deren Kommen nicht aus. "Phantome" nennt die südafrikanische Zeitung "Super Sport" die Legionäre seit jeher, weil deren Namen vor jedem Spiel Südafrikas gehandelt werden, sie dann aber meist doch nicht auftauchen.
Auch wenn heute der Gegner nur Namibia heißt, das in der Fifa-Weltrangliste zwischen Mauretanien und den Britischen Jungferninseln rangiert, so geht es für die Spieler doch langsam darum, sich dem designierten Trainer zu empfehlen. Und sich zumindest auf dem Kontinent zu rehabilitieren und allen Skeptikern am Kap die Hoffnung zu geben, dass bei der WM in vier Jahren nicht nur ein Wunder hilft. |