Steuer auf Kursgewinne empört die Anleger Verfassungsrechtlich auf dünnem Eis / Steuerberater argwöhnen: Es geht um Kontrolle der Sparzinsen
ruh./jja. FRANKFURT, 15. Oktober. Die geplante schärfere Besteuerung von Kursgewinnen stößt bei Marktteilnehmern auf Unverständnis und Kritik. Banken und institutionelle Anleger warnen die Bundesregierung davor, dem deutschen Finanzplatz und der privaten Altersvorsorge Schaden zuzufügen. Die Koalition von SPD und Grünen erwägt wie berichtet eine generelle Spekulationssteuer, unabhängig davon, wie lange die Wertpapiere gehalten werden. Bisher müssen Anleger Kursgewinne beim Verkauf nur versteuern, wenn sie die Titel weniger als ein Jahr im Depot hatten. Sollte es zu der Verschärfung des Gesetzes kommen, müßten langjährige Sparer für einen Kursgewinn genauso viel Steuern zahlen wie ein Daytrader, der Wertpapiere innerhalb eines Tages kauft und wieder verkauft.
Noch ist es allerdings nicht soweit. Denn verfassungsrechtlich bewegt sich die Bundesregierung auf dünnem Eis. Der Bundesfinanzhof hält nämlich die Spekulationssteuer für verfassungswidrig und hat einen entsprechenden Fall dem Bundesverfassungsgericht zur endgültigen Entscheidung vorgelegt. Die Begründung: Die Finanzämter hätten gar nicht die Möglichkeit, die Versteuerung von Spekulationsgewinnen zu kontrollieren. Steuerrechtler halten sie deshalb auch für eine "Dummensteuer", die nur von den wenigsten Börsengewinnlern gezahlt werde. Dieses Argument könnte allerdings hinfällig werden, wenn die Bundesregierung - wie geplant - Kontrollmitteilungen einführt. Dann hätten die Banken die Aufgabe, die Finanzämter über alle Gewinne ihrer Kunden zu informieren. Damit würde das ohnehin durchlöcherte Bankgeheimnis weiter eingeschränkt.
Viele Privatanleger stellen sich nun die Frage, was die richtige Reaktion auf die drohende Gesetzesänderung ist. Sollten Aktien, die vor Jahren erworben wurden und die inzwischen wertvoller sind als beim Kauf, vor Einführung des Gesetzes veräußert werden? Es spricht einiges dafür, daß dies nicht helfen würde. Entweder schwächt die Bundesregierung das Gesetz ab und beschränkt die Rückwirkung. Dann könnten die Kursgewinne auch später noch steuerfrei eingenommen werden. Oder es bleibt bei dem derzeitigen Plan, dann würde die Steuer auch auf "Last minute"-Verkäufe in diesem Jahr angewendet.
Anlegerschützer Klaus Schneider vermutet zwar, daß die Bundesregierung eine solche Rückwirkung auf die laufende Steuerperiode nicht durchsetzen könne. Doch die Hoffnung des Vorstandsvorsitzenden der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre könnte trügerisch sein. Denn die rot-grüne Bundesregierung hat Übung darin, Steuergesetze rückwirkend zu verschärfen: Nach Amtsantritt verdoppelte sie den Zeitraum für Wertpapiere von sechs Monaten auf ein Jahr und verfünffachte die Steuerfrist für Immobilien sogar auf zehn Jahre. Weil dies nach der Gesetzesregelung sogar für Grundstücke gilt, für die die ursprüngliche Frist längst abgelaufen war, hatten die Finanzgerichte bereits über einige Klagen dagegen zu entscheiden - mit unterschiedlichem Ergebnis. Auch darüber wird das Bundesverfassungsgericht also das letzte Wort sprechen. Bislang haben die Karlsruher Richter dabei aber nicht sehr bürgerfreundlich entschieden, sondern dem Bundestag weitreichende Möglichkeiten eingeräumt, seine Steuerpolitik zu ändern. Die Begründung: Der Vertrauensschutz werde lediglich bei einer "echten Rückwirkung" verletzt. Die soll aber nur vorliegen, wenn ein bereits verschickter Steuerbescheid wieder geändert wird - nicht wenn vor dessen Erlaß die Gesetze geändert werden. Es ist sogar üblich, daß der Bundestag zum Jahresende die Steuerregeln noch ändert - mit Wirkung auch für den gerade zu Ende gehenden Veranlagungszeitraum.
Steuerberater fragen sich ohnehin, wie Finanzminister Eichel in der derzeitigen Börsensituation mit der Spekulationssteuer zusätzliches Geld einnehmen will. Der Verdacht: In Wirklichkeit gehe es der Regierung nur darum, die langersehnten Kontrollmitteilungen der Banken zur Pflicht zu machen. Auf diese Weise könnten die Finanzämter auch die Sparzinsen vollständig erfassen und besteuern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2002, Nr. 240 / Seite 21 |