Weltmarktführer - Falscher Glanz
Unter den Börsen-Newcomern wimmelt es von selbsternannten Weltmarktführern. Doch viele dominieren nur eine Marktnische. Anleger sollten zweimal hinsehen.
Daimler-Chrysler ist einer, AOL auch - aber was hat das Aachener Softwarehaus Parsytec in der Liga der Weltmarktführer verloren? "Wir sind Weltmarktführer für Oberflächenqualitätskontroll-Software für Bahnwaren wie Stahl, Aluminium und Papier", verkündet das seit einem Jahr am Neuen Markt gelistete Unternehmen. Geschäftsführer Falk Kübler meldet vollmundig einen Marktanteil von "deutlich über 60 Prozent".
Nicht falsch, aber leider nur die halbe Wahrheit: Im Geschäftsjahr 1998/99 lag der Umsatz unter 20 Millionen Mark - ein Weltmeister bestenfalls auf Kreisklassen-Niveau. Parsytec ist nicht der einzige Weltmeister am Neuen Markt. "Es ist bemerkenswert, wie viele Weltmarktführer es dort geben soll", wundert sich Markus Krämling, Neuer Markt-Analyst der Deutschen Bank.
Götz Albert, Leiter Neuer-Markt-Analyse bei Independent Research, warnt sogar: "Weltmarktführer ist neben B2B der am meisten mißbrauchte Begriff am Neuen Markt." Die Liste der Unternehmen, die sich mit diesem Attribut schmücken, reicht von den Anlagenbauern Aixtron, Singulus und STEAG HamaTech über die Biotech-Unternehmen CyBio, Qiagen und Plasmaselect bis zur Software-Schmiede Update.com. Andere Unternehmen wie der Online-Kunsthändler Artnet.com und der Co-Shopping-Pionier LetsBuyIt.com bezeichnen sich als "weltweit führend" mit ihrem Angebot. Die "Technologieführerschaft" beansprucht ebenfalls eine Reihe Neuer-Markt-Titeln. Doch Vorsicht: "Dieser Begriff ist noch diffuser als Weltmarktführer", so Ulrich Pelzer, Analyst der BHF-Bank. "Anleger sollten auch hier genauer hinschauen."
Vor allem bei Börsengängen wird die Weltmarktführerschaft beschworen - und sei es als langfristiges Unternehmensziel. "Investor-Relations-Agenturen sind darauf getrimmt, dieses Schlagwort zu verwenden", sagt Markus Krämling. Meist haben sie Erfolg: Anleger zeichnen oder kaufen, weil sie Weltmarktführerschaft mit kräftigen Gewinnen und steigenden Aktienkursen gleichsetzen. Getreu der alten Managementregel: Die ersten Drei am Markt machen Gewinne, fette Profite kann aber nur der Allererste erwarten.
Die beste Marktstellung nützt aber nichts, wenn der entsprechende Markt stagniert. Beispiel: Artnet.com. Das Unternehmen bietet zwar die "weltweit führende Internetseite für Informationen und e-Commerce im Bereich Kunst". Doch die beim Börsengang vor einem Jahr angekündigte "Revolution" des Kunstmarkts blieb aus: Wer kauft schon teure Kunst im Internet? Artnet.com macht nur geringe Umsätze, dafür um so mehr Verluste. Die Einnahmen decken nicht einmal die Personalkosten. Analysten und Anleger haben reagiert: Der Aktienkurs rauschte von seinem Hoch bei 66 Euro in den Keller und notierte Ende Mai bei 10 Euro.
Weltmarktführer in einem breiten Markt mit enormem Wachstumspotential sind dagegen die Nemax- 50-Werte Qiagen und Aixtron. Beide gehören zu den Blue Chips des Neuen Marktes. Qiagen - Erstnotiz im September 1997 - gilt als Weltmarktführer für Produkte zur Trennung der Erbgutmoleküle DNS und RNS, die die Biotech-Industrie für ihre Forschungen am menschlichen Erbgut künftig in immer größeren Mengen benötigt. Qiagen-Chef Metin Colpan: "Wir sind Werkzeughersteller und beliefern die Goldsucher mit Schaufeln, Jeans und Hacken." Aixtron stellt Produktionsanlagen für Verbindungshalbleiter her. Vorstand Kim Schindelhauer beziffert den Marktanteil auf rund 50 Prozent. "Der nächste Anbieter hat weniger als die Hälfte." Das seit November 1997 am Neuen Markt notierte Unternehmen gilt als Liebling der Analysten. "Aixtron stößt beim Umsatzwachstum in neue Dimensionen vor", schwärmt denn auch BHF-Analyst Ulrich Pelzer. Er hat die Aktie auf "Kauf" gestellt.
Im Falle von Aixtron können Analysten den Marktanteil relativ leicht überprüfen: Die US-Firma VLSI Research gibt regelmäßige Studien für den Halbleitermarkt heraus. In anderen Fällen helfen nur eigene Markt- beobachtungen: "Eine Heidenarbeit", sagt Karl Fickel, Manager des Invesco-Fonds Neue Märkte. "Privatanleger können das gar nicht leisten." Geht es um die Marktposition eines Unternehmens, stellt der erfolgreiche Fondsmanager immer wieder die gleichen Fragen: Wie groß ist der Markt? Wie viele Aufträge gehen an das Unternehmen? Wer sind seine Konkurrenten? Fickel: "Wahre Weltmarktführer arbeiten nicht nur in einem großen Markt und haben dort das beste Produkt, sondern holen auch die meisten Aufträge und machen den größten Umsatz."
Diesem Anspruch genügen am Neuen Markt nur wenige Unternehmen. Um trotzdem entsprechend auftreten zu können, verwenden viele einen Trick: "Sie grenzen die Marktführerschaft einfach auf ein winziges Marktsegment ein", sagt Ulrich Pelzer. Selbst bei nur kleinen Abweichungen von anderen Produkten werden die Unternehmen dann zu Marktführern. So ist selbst in einer Branche Platz für mehrere Spitzenreiter.
Beispiel Parsytec: Der "Weltmarktführer" konzentriert sich mit seinen Programmen zur Oberflächeninspektion auf die Stahlindustrie. Natürlich sind auch andere Unternehmen im Geschäftsfeld Oberflächeninspektion tätig, doch eben in anderen Industriezweigen. Advanced Vision Technology (AVT) zum Beispiel beliefert die Druckindustrie und bezeichnet sich - logisch - dort auch als "unbestrittener Marktführer".
Zwei Weltmeister in einer Liga - das gilt auch für STEAG HamaTech und Singulus. Beide bauen Maschinen für die CD-Produktion. Dennoch brüstet sich jeder, Weltmarktführer zu sein: STEAG HamaTech bei Anlagen für beschreibbare CDs - Singulus "für alle Maschinen, die vorbespieltes Material herstellen".
Die Beispiele machen deutlich: Anleger sollten sich nicht vom Führer-Prinzip blenden lassen und blind kaufen.
Entscheidend sind - darin stimmen alle Analysten überein - die Wachstumsperspektiven des jeweiligen Unternehmens. Entscheidend sind - darin stimmen alle Analysten überein - die Wachstumsperspektiven des jeweiligen Unternehmens. Die sind zwar auch für viele der selbsternannten Nischen-Weltmeister positiv. Doch Anleger, die nur nach der Nummer eins schielen, verlieren leicht die ebenfalls attraktiven Verfolger aus dem Auge.
Markus Krämling: "Gerade in großen Märkten sind auch Werte aus der zweiten Reihe interessante Investments." Der Grund: "Sie sind vielfach unterbewertet." Das gilt auch für die freenet.de, nach T-Online und AOL drittgrößter Internet-Service-Provider in Deutschland. Das Unternehmen, seit Dezember 1999 an der Börse, bereitet den Einstieg in den französischen Markt vor und sorgt dadurch für Kursfantasie.
Ebenfalls interessant: Telekom-Zulieferer Balda, weltweit die Nummer fünf am Markt. Das Unternehmen produziert Handygehäuse und ist Partner aller großen Hersteller. Neue Großaufträge treiben die Umsätze nach oben.
Kein Weltmarktführer, aber dennoch attraktiv ist IT-Dienstleister Heyde, seit November 1998 am Neuen Markt. Der Nemax-50-Wert profitiert extrem von der Ausrichtung der Banken auf das Internet und gilt als europaweiter Marktführer bei Systemen für Online-Brokerage. Wachstum ist oberstes Unternehmensziel. Vorstandsvorsitzender Dieter Heyde: "Wir treiben die Expansion in Deutschland, Lateinamerika und in die USA weiter voran." Für Götz Albert von Independent Research ist die Weltmarktführerschaft daher "kein Kriterium" für seine Anlageempfehlungen.
Daß sich trotzdem immer mehr Unternehmen dieses Schlagworts bedienen, gilt selbst bei Idealisten als sicher: "Bescheidenheit", sagt Markus Krämling, "ist eine schöne Sache, wird an der Börse aber leider nur selten honoriert."
Weltmeister Auf breiter Basis
Aixtron: Halbleiter überall: Ohne die elektronischen Bauteile, aus denen Leuchtdioden und Hochleistungschips gefertigt werden, funktionieren weder Ampelanlagen noch Handys. Aixtron stellt Maschinen für die Halbleiterproduktion her und geht goldenen Zeiten entgegen: Der Markt für Halbleiter wächst in den nächsten Jahren im Schnitt um 30 bis 40 Prozent. Aixtron produziert ein Drittel günstiger als die Konkurrenz und dominiert den Markt.
Qiagen: Das deutsch-holländische Unternehmen hat sich auf Produkte zur Trennung und Reinigung von Nukleinsäuren spezialisiert. Diese Träger der menschlichen Erbinformation spielen in der Biotech-Forschung eine immer größere Rolle. Das von Qiagen angewandte Verfahren ist zwar teurer als herkömmliche, erzielt aber deutlich schnellere Ergebnisse. Strategische Allianzen und Firmenzukäufe sichern die starke Marktposition.
Quelle: http://www.dm-online.de/ |