Wirtschaftsminister hofft auf Entspannung an Gasmärkten Bundeswirtschaftsminister Habeck erwartet, schon Anfang September die Zielvorgabe für Oktober zu erreichen. Im Winter könnten die Speicher dann planmäßig genutzt und akuter Mangel vermieden werden.
Es war ein zynisches Kalkül des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Offensichtlich ließ er schon viele Monate vor dem Angriff auf die Ukraine die von ihm kontrollierten Gasspeicher in Deutschland leerlaufen. In diesem Sommer reduzierte der Staatskonzern Gazprom seine Lieferungen bis auf spärliche 20 Prozent – die Gaspreise schießen deshalb in die Höhe und bringen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) politisch extrem unter Druck.
Doch der Plan Putins scheint nicht aufzugehen, zumindest was die Gasspeicher angeht. »Die Speicher füllen sich schneller als vorgegeben«, sagte Habeck dem SPIEGEL. Der Grüne prognostiziert, dass die von ihm vorgegebenen Zielmarken deutlich früher erreicht werden. »Das Oktober-Speicherziel von 85 Prozent dürfte schon Anfang September erreicht werden«, heißt es in einem internen Vermerk des Ministeriums, der dem SPIEGEL vorliegt.
Damit wird es deutlich wahrscheinlicher, dass das Land in diesem Winter einen akuten Gasmangel mit einem Lieferstopp für Industriebetriebe oder im schlimmsten Falle sogar für private Haushalte vermeiden kann. »Das Gas in den Speichern werden die Unternehmen dann über den Winter planmäßig ausspeichern können, um auch darüber Industrie und Haushalte zu versorgen«, sagte Habeck dem SPIEGEL. Der gesetzlich vorgegebene Ausspeicherpfad sieht vor, dass die Speicherfüllstände bis Februar 2023 wieder auf 40 Prozent sinken dürfen. Endlich eine gute Nachricht für Habeck
Für Robert Habeck ist das eine der wenigen guten Nachrichten in diesen Tagen. Er steht wegen der Gasumlage von 2,4 Cent, die jeder private und betriebliche Gaskunde ab Oktober pro Kilowattstunde zahlen muss, unter erheblichem Druck. Selbst Politiker aus der Koalition kritisieren seine Verordnung als handwerklich schlecht und ungerecht. Die Kritik reicht von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert über FDP-Finanzminister Christian Lindner bis zu Parteifreund Anton Hofreiter. Die CDU will mit einem Antrag im Bundestag die umstrittene Verordnung im Bundestag sogar kippen.
Da ist es gut, dass die Speicher sich füllen und ein Vorwurf, der in den vergangenen Wochen immer wieder gegen Habeck vorgebracht wurde, nicht zuzutreffen scheint: Dass die Regierung es unterlässt, genügend Gas im Ausland zu kaufen. Am 26. August beträgt der Füllstand der deutschen Gasspeicher 82,2 Prozent, was rund 201 Terawattstunden entspricht. Die deutschen Speicher sind die größten in Europa und zentral auch für die Sicherstellung der Gasversorgung in weiten Teilen des Kontinents, insbesondere im Osten.
Der Bezug von russischem Gas ist laut Ministeriumspapier deutlich gesunken. »Im August kamen nur neuneinhalb Prozent des Gasverbrauchs über die russischen Pipelines«, schreiben die Beamten mit Bezug auf Statistiken des Bundesverbands der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Das liege auch an den geringen Verbräuchen des Sommers. Russland nicht mehr Lieferant Nummer eins
Das Ministerium erwartet aber kaum Schwankungen des Gasbezugs aus Russland in den kommenden Wochen, wenn die Heizsaison wieder beginnt. »Das Gros der russischen Pipeline-Importmengen wurde über andere Wege kompensiert«, heißt es in dem Vermerk weiter. So sei in den vergangenen Monaten der Erdgasbezug aus Norwegen und den Niederlanden sowie LNG-Importe signifikant gesteigert worden. Auch Belgien habe seit April die Gaseinspeisung erhöht.
Neue Bezugsquelle soll laut Ministeriumsvermerk nun Frankreich werden. Bislang hat der westliche Nachbar auch russisches Gas über Deutschland bezogen. Zudem importiert das Land wegen einer ganzen Reihe von heruntergefahrenen Atomkraftwerken große Mengen von Strom aus Deutschland. Dies stammt überwiegend aus Gaskraftwerken, die extra für den Frankreich-Export laufen und für die derzeit explodierenden Strompreise sorgen.
Doch ab Herbst soll zumindest der Gasstrom nun umkehren. »Dazu wurden in den vergangenen Wochen in einem intensiven Austausch zwischen den zuständigen Behörden und Ministerien der beiden Länder organisatorische und technische Probleme geklärt«, steht in dem Papier. Auf diese Weise können auch Flüssiggasterminals in Frankreich für den deutschen Einkauf von Gas genutzt werden und die Versorgungslage deutlich entspannen.
Dazu beitragen sollen auch eigene Flüssiggasterminals an der deutschen Küste, deren Bau laut Vermerk »planmäßig« voranschreite. »Zum Jahreswechsel 2022/2023 sollen zwei schwimmende Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen«, schreiben die Beamtinnen und Beamten des Wirtschaftsministeriums. Über diese von der Bundesregierung angemieteten Spezialschiffe, sogenannte FSRUs, stünden bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Importkapazität zur Verfügung. Habeck hofft auf Entspannung an Gasmärkten
Zusammen mit den auch im Winter deutlich gesteigerten Importmengen etwa aus den Niederlanden und Norwegen könnte sich die Versorgungslage deutlich entspannen. Das Signal, dass im Winter Gas aus den Speichern bezogen werden kann, könnte auch an den Gasmärkten zu einer gewissen Entspannung sorgen. Das jedenfalls hofft Wirtschaftsminister Habeck. Derzeit liegen die Preise bei über 300 Euro pro Megawattstunde, was einer Steigerung von vielen hundert Prozent im Vergleich zu den Vorjahren darstellt.
Positiv wirkt sich aus, dass das Ministerium im Frühjahr erstmals gesetzliche Vorgaben für den Gasfüllstand geschaffen hat. Auch wies Habeck per Verordnung an, die von Russland kontrollierten Gasspeicher, etwa den im niedersächsischen Rehden, zwangsweise zu befüllen. Diese besonders wichtigen Speicher waren Ende des vergangenen Winters praktisch leer, was Habeck mehrfach als Kalkül von Putin bezeichnet hat.
Die Befüllung der Speicher hat aber ihren Preis. Das Wirtschaftsministerium hat dafür Gelder der staatseigenen KfW-Bank in Höhe von 15 Milliarden Euro bereitgestellt. Der Aufkauf gewaltiger Mengen von Gas an den Weltmärkten ist auch ein Grund, warum die Preise für den Brennstoff derzeit so extrem hoch sind. Für Energiekonzerne wie das Düsseldorfer Unternehmen Uniper sind sie existenzbedrohend. Denn dem Konzern sind große Liefermengen aus Russland weggebrochen, die er nun für viele Milliarden Euro an den Spotmärkten kurzfristig beschaffen muss. »Es ist eine sehr anspruchsvolle Lage, und große Einsparungen sind definitiv weiter nötig, aber wir sind als Land vorbereitet.«
Bundeswirtschaftsminister Habeck
Aus diesem Grund hatte die Bundesregierung auch die sogenannte Gasumlage beschlossen, für die Habeck derzeit so heftig kritisiert wird. Das Geld aus der Zwangsgebühr, nach derzeitigen Schätzungen rund 34 Milliarden Euro, soll verwendet werden, um die horrenden Verluste auszugleichen, die Gasunternehmen durch diese Lieferausfälle entstanden sind. Kritik kam deshalb auf, weil auch Unternehmen wie die österreichische OMV Gelder aus der Umlage beantragt haben, obwohl sie aus anderen Geschäftsbereichen Milliardengewinne erwirtschaften. Habeck hat am Freitag angekündigt, nach einer Lösung zu suchen, damit nur bedürftige Konzerne wie Uniper mit dem Geld der Gaskunden versorgt werden.
Die Nachricht über hohe Speichermengen verschafft aber nicht nur politisch ein wenig Entlastung. Sie kommt zu einem sehr wichtigen Zeitpunkt. Denn in den kommenden Tagen, so hat es der russische Gazprom-Konzern angekündigt, werde man die Lieferung durch die Gaspipeline Nord Stream 1 für einige Tage wegen angeblich dringender Wartungsarbeiten auf null reduzieren. Das hatte die Gaspreise in den vergangenen Tagen weiter ansteigen lassen. Habeck gibt sich verhalten optimistisch. Dem SPIEGEL sagte er: »Es ist eine sehr anspruchsvolle Lage, und große Einsparungen sind definitiv weiter nötig, aber wir sind als Land vorbereitet. https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/...f-49c6-b5f8-2ec41e4df3e4 |