Heft 2/2006 Nanoteilchen gegen Mikroorganismen
Antibiotika und chemische Desinfektionsmittel sind probate Mittel im Kampf gegen bakterielle Infektionen. Jetzt gibt es eine neue Wunderwaffe: Antibakterielle Materialien sollen Krankheitserreger abtöten und eine Vermehrung verhindern.
Bakterien sind wunderbare Wesen. Es gäbe keinen Käse, kein Bier und keinen Wein ohne die von Mikroorganismen beförderten Gärungs- und Fäulnisprozesse. Schlimmer noch: Sämtliche Grünpflanzen würden binnen kürzester Zeit ersticken, zerlegten Bodenbakterien abgestorbene Pflanzenteile nicht sehr schnell in Mineralien und Kohlensäure. Die Einzeller entfalten ihre segensreiche Tätigkeit überall. In einem Gramm Humusboden wimmeln sie zu Hunderttausenden – noch in einem Glas besten Trinkwassers schwimmen Hunderte. Nichts erscheint also unangebrachter als Ekel, Angst und Hysterie, wenn von Bakterien die Rede ist. Weil einige unter ihnen Krankheiten erregen können, ist allerdings Vorsicht geboten – besonders beim Umgang mit Lebensmitteln und im medizinischen Sektor. Ansteckungsgefahr droht aber auch von häufig kontaktierten Schnittstellen wie etwa Tastaturen, Türgriffen, Toiletten oder Geldautomaten. Nicht durchgängig lassen sich solche Flächen mit Desinfektionsmitteln keimfrei halten. Antibakteriell ausgestattete Materialien sind die bessere Lösung. Als Wunderwaffe gilt derzeit nanotechnologisch verarbeitetes Silber. Silberbesteck und -geschirr wurden seit eh und je nicht nur aus repräsentativen, sondern auch aus hygienischen Gründen benutzt. Die antibakterielle Wirkung des Edelmetalls rührt daher, dass es sich leicht mit Schwefel verbindet. Indem sich Silberionen an die Schwefelgruppen der Proteine von Bakterien koppeln, werden diese deformiert und am Wachstum gehindert. Die hygienischen Vorzüge des Silbers gerieten allerdings in Vergessenheit, seit die Medizin nach der Erfindung des Penicillins immer stärker auf Antibiotika setzte. Inzwischen gilt der bedenkenlose Einsatz dieser Medikamente indes als höchst problematisch – zum einen aufgrund der Resistenz vieler Bakterienstämme gegen Antibiotika, zum anderen weil sie erst bei Ausbruch einer Krankheit wirken. Prävention ist aber heutzutage das große gesundheitspolitische Zauberwort.
Der Nutzen Schätzungen zufolge infizieren sich in deutschen Krankenhäusern jährlich rund 600.000 Patienten. Antibakterielle Materialien sollen helfen, dieses Risiko zu minimieren. Die Einsatzmöglichkeiten reichen inzwischen von Textilien und Bekleidung über Arbeitsflächen bis hin zu chirurgischen Instrumenten und künstlichen Gelenken. Auch Lacke und Farben mit antibakterieller Wirkung werden angeboten. Die Materialien bieten zudem den Vorteil, dass der Verbrauch von herkömmlichen Desinfektionsmitteln verringert werden kann. Diese schützen zwar ebenfalls vor Mikroorganismen, sind aber in der Regel so aggressiv, dass sie auch Menschen gefährden können. Silberionen hingegen greifen nur die Bakterien an, geben keine chemischen Stoffe an die Umgebung ab und wirken dauerhaft. Die Präparierung des Materials erspart zwar nicht die Säuberung, doch die Reinigungsintervalle können verlängert und der Desinfektionsmittelverbrauch reduziert werden.
Das Verfahren Wie lassen sich so unterschiedliche Stoffe wie Stahl, Keramik oder Textilien überhaupt antibakteriell ausrüsten? Die einfache Beschichtung mit Silber scheidet aus. Die Partikel müssen vielmehr direkt in das jeweilige Material eingearbeitet werden, was erst die Nanotechnologie ermöglicht. Das hochkomplexe Verfahren, bei dem Teilchen von 5 bis 100 Nanometer Größe (ein nm entspricht einem millionstel Millimeter) in das Material gelangen, wurde unter anderem vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen entwickelt. Es kommt bei der Firma Bio-Gate, mit Sitz in Nürnberg und Bremen, zum Einsatz. Dort wird auch die exakte Dosierung der Silberpartikel für die jeweilige Anwendung berechnet. Keramik, Lacke und Polymere lassen sich beispielsweise derart veredeln. Dabei bleiben die ursprünglichen Materialeigenschaften erhalten, allein bei der Farbe macht sich der Grauton des Silbers bemerkbar. Diese Beeinträchtigung kann allerdings durch weitere Pigmentierung korrigiert werden. Dank der direkten Einarbeitung der Silberpartikel in das Material bleibt die antibakterielle Wirkung auch bei Abrieb oder Beschädigung der Oberfläche erhalten.
Die Anwendungen Auch außerhalb des medizinischen Sektors kommen derartige Materialien zum Einsatz. Villeroy & Boch etwa bietet antibakterielle Badkeramik an; Silit hat ein antibakterielles Kochgeschirr im Programm. Antibakterielle Fasern werden zudem bei Handtüchern sowie bei Arbeits- und Sportbekleidung verarbeitet. Potenzielle Anwendungsmöglichkeiten finden sich zuhauf im Gesundheits- und Lebensmittelsektor sowie in öffentlichen Bereichen. Toiletten, Automaten, Türklinken oder Aufzugtastaturen wären hier zu nennen, ferner Sitzpolster und Haltegriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber auch in der Industrie stellen Mikroorganismen ein Problem dar, weil Keime Biofilme entstehen lassen, die zu Maschinendefekten und somit zu hohen Folgekosten führen können. Noch lassen sich nicht alle Materialen mithilfe von Nanotechnologie präparieren. Und ganz billig ist der Veredelungsprozess auch nicht. Dennoch kann sich die Versilberung als lohnende Investition erweisen, zumal wenn eingesparte Folgekosten (ärztliche Versorgung, Reinigungsmittel, Personal) in die Kalkulation mit einbezogen werden. Die tatsächlichen Kosten für Leistungen im Bereich der Nanotechnologie hängen laut Dr. Volker Zöllmer vom Fraunhofer-Institut extrem von der abgenommenen Menge ab. Was für Prototypen noch unverhältnismäßig teuer erscheine, könne sich in der Serienfertigung schnell relativieren. Der Preis, so der Wissenschaftler, richte sich auch nach der speziellen Anwendung, denn jedes Material benötige unterschiedliche Silber-Konzentrationen, um antibakteriell wirksam zu sein. Werden künftig nahezu alle Materialien versilbert werden? Im medizinischen Sektor und im öffentlichen Bereich wird der Einsatz sicher deutlich zunehmen. Frei von Mikroorganismen wird unsere Alltagswelt jedoch nicht werden. Zum Glück, denn wie gesagt: Bakterien sind wunderbare Wesen.
http://www.fraunhofer.de http://www.trevira.de http://www.biogate.de http://www.zweihorn.de http://www.hartmann.info http://www.villeroy-boch.com Autor/in: Nicolas Uphaus
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