Geölte Kriegsmaschinerie
Saddam Hussein möchte das irakische Erdöl gerne verkaufen, aber bisher darf er nicht so richtig. Die Käufer warten schon ungeduldig
Die Vermittlungsversuche scheinen gescheitert, Irak und USA zum Einsatz von Waffen entschlossen. Ende vergangener Woche reisten die drei - aus Algerien, Argentinien und Schweden kommenden - Unterhändler der Vereinten Nationen (UN) enttäuscht aus Bagdad ab. Ihr einziges greifbares Ergebnis: Der Irak scheint weder geneigt, US-amerikanische Waffeninspekteure im Land, noch die Überwachung aus der Luft zu dulden.
Statt dessen droht das Land am Persischen Golf mit Angriffen gegen US-amerikanische U2-Aufklärungsflüge. "Unsere Luftabwehr wird im ganzen Land aktiviert und auf eine mögliche Aggression vorbereitet", erklärte am Donnerstag letzter Woche Saeed Hasan, der auf irakischer Seite für den Kontakt zu den UN-Emissären verantwortlich ist. Am selben Tag beschuldigte der stellvertretende Ministerpräsident des Landes, Tarik Aziz, die USA, die UN-Mission zur Vorbereitung eines militärischen Schlages zu nutzen. Die sechs Waffeninspekteure US-amerikanischer Herkunft sowie die Luftüberwachung durch U2-Maschinen im Auftrag der UN Special Commission (UNSCOM) dienten Washington lediglich dazu, mögliche Angriffsziele zu ermitteln. Ihre Entschlossenheit zur Auseinandersetzung bestärkte die irakische Führung laut Washington Post durch die Zerstörung einer UNSCOM-Überwachungskamera mittels einer Kurzstreckenrakete.
Die Drohungen des Irak gegen US-amerikanische U2-Flugzeuge sind bislang nicht mehr als ein Säbelrasseln. Da die Maschinen sich in 20 000 Meter Höhe fliegen, sind sie für den Irak unerreichbar. Vorsorglich haben die Vereinigten Staaten dennoch ihre Entschlossenheit zu einem Gegenschlag bekräftigt.
Mit ihren Machtspielchen versucht die Regierung Saddam Husseins offenbar, einen Keil zwischen die USA und andere Staaten der Vereinten Nationen zu treiben. So betont Aziz, sein Land liege nicht mit den UN, sondern mit den USA im Clinch. Ziel ist die Aufhebung der Sanktionen - insbesondere des Verbots, Erdöl zu verkaufen, da dieses dem Land deutlich schadet. Noch 1989 machten Brennstoffe 98,7 Prozent aller irakischen Exporte aus. Daß es bei den UN Interessendifferenzen gibt, ist der Führung in Bagdad darüber hinaus ebensowenig entgangen wie die Tatsache, daß selbst die USA einen Sturz Saddam Husseins aus strategischen Gründen vermeiden möchten. Immerhin ist für die USA eine geschwächte Regierung in Bagdad wünschenswerter als ein Zerfall des Golfstaates. Das teilweise Flugverbot soll so verhindern, daß Bagdad die Machtgruppen im Norden und Süden des Landes endgültig niederringt.
Andererseits setzt Washington auf Hussein als Stabilitätsfaktor. Laut einem Kommuniqué des in London ansässigen "Rat des freien Irak" habe der Oppositionspolitiker Scheich Taleb Souheil Tamimi sich bereits 1993 bemüht, die Eliten des Landes für einen Schlag gegen Hussein zu gewinnen. In der Hoffnung auf Hilfe wandte er sich auch an die CIA, welche die Informationen prompt an den irakischen Staatschef weitergeleitet habe. Ein Teil der Verschwörer wurde festgenommen und anschließend hingerichtet, Scheich Tamimi selbst im April 1994 mitten in Libanons Hauptstadt Beirut von zwei irakischen Attentätern erschossen.
Während Bonns Außenminister Klaus Kinkel erst vergangene Woche dem transatlantischen Partner erneut seine altbekannte Strategie des "kritischen Dialoges" mit dem Iran nahelegte, setzt Washington mehr auf die Strategie des "double containment", der doppelten Eindämmung - sowohl von Irak wie Iran.
Seit der weltweiten Ölkrise von 1973 ist es erklärtes Ziel der USA, die Region um den Persischen Golf, das größte Erdöl-Reservoir der Erde, unter ihrer Kontrolle zu halten. Wichtigstes Partnerland ist hierbei Saudi-Arabien, auf das 1990 mit rund 327 Millionen Tonnen etwa 40 Prozent des am Golf geförderten "schwarzen Goldes" entfielen. Der gesamte Ölexport des Landes wird über die Arab-American Oil Company abgewikkelt, die einst als gemeinschaftliches Tochterunternehmen der US-Konzerne Mobil Oil, Chevron, Exxon und Texaco entstand. Zwar gehört die Ölfirma heute saudischen Eigentümern, sie schließt jedoch fast alle Geschäfte mit ihren früheren Gründern ab.
Weil man befürchtete, die "islamische Revolution" könnte sich, vom Iran aus, weiter verbreiten, fand sich das Zweckbündnis Golfstaaten-USA-Irak zusammen. Erstere fürchteten einen Dominoeffekt nach dem Sturz des persischen Schahs, die USA um die Stabilität der Region und um ihren sicheren Zugriff auf die Ölvorräte. Iraks Präsident Saddam Hussein, damals gerade ein Jahr im Amt, spekulierte indes auf eine gewichtigere Stellung innerhalb der arabischen Welt, wenn er sich als Vorkämpfer gegen den persischen Nachbarn präsentieren könnte. Ferner hat der Golfstaat nur eingeschränkten Zugang zum Meer, was sich durch kriegerische Expansion hätte ändern lassen.
Während des Ersten Golfkrieges von 1980 bis 1988 wurde Saddam Hussein so als Gegengewicht gegen die Teheraner Mullahs hochgerüstet, bundesdeutsche Firmen versorgten das Land insbesondere mit Technologien, die den Einsatz von Giftgasen ermöglichen. Genau diese Kampfstoffe - sowie atomare und bakterielle Waffen - versucht die UN-Mission jetzt einzusammeln. Unter Berufung auf Quellen in der UNSCOM behauptet die britische Tageszeitung Observer, die aktuellen Drohungen des Irak sollten lediglich davon ablenken, daß die internationalen Waffeninspekteure kurz davor waren, ein Chemie-Waffenlager zu entdecken. Rund 750 Tonnen Zutaten für das tödliche Nervengas VX soll der Irak demnach importiert haben.
War der iranisch-irakische Krieg in doppelter Hinsicht ein Erfolg für USA und Golfstaaten - er schwächte nicht nur den Iran, sondern brachte auch dem Konkurrenten Irak finanzielle Verluste. Saddam Hussein verlangte als Dank die Erlaubnis zu mehr Ölexporten seitens der OPEC. Höhere Förderquoten und damit sinkende Preise lagen aber nicht im Interesse der anderen Golfstaaten. Auch ein Austritt aus der OPEC, mit dem 1994 beispielsweise Ecuador gegen niedrige Förderungsmengen protestierte, hätte für den Irak daran nichts geändert. Denn dieser führt traditionell mangels eigener Verladehäfen einen Großteil des wichtigen Rohstoffes über kuwaitische oder saudische Pipelines aus.
Andererseits bemühen sich das mächtige Saudi-Arabien und die mit ihm verbündeten kleinen Ölscheich-Staaten Bahrein, Kuwait, Katar und Vereinigte Arabische Emirate, sich nicht zu offen gegen den Irak zu stellen. Innenpolitisch könnten sie sonst nämlich unter Druck geraten. Denn Saddam Hussein argumentiert mal panarabisch, mal islamistisch-religiös, zwei Tendenzen, die auch in den anderen Staaten nicht ganz unbedeutend sind. Als "Verräter" an der arabischen oder islamischen Sache wollen sich die Golfstaaten keineswegs präsentieren. Nicht zufällig dürfte auch das Säbelrasseln des Irak rund einen Monat vor der Konferenz islamischer Staaten im Dezember geschehen, richtet Bagdad sich doch vorrangig gegen Israel und die USA.
Die nach dem Zweiten Golfkrieg von den UN verabschiedete Resolution 986 spiegelt zwar eindeutig die wirtschaftlichen Interessen der meisten Golfstaaten wider, weil einem somit ein lästiger Konkurrenten vom Weltmarkt ferngehalten wird - abgesehen von dem seit 1994 halbjährlich zulässigen Erdöl-Export im Gegenwert von 2,14 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Nahrungsmittelimporten, die der Irak den Vereinten Nationen bereits abtrotzte. Bei einer möglichen Aufhebung der Exportbeschränkungen dürften die Erdölpreise "einbrechen", wie die Neue Zürcher Zeitung befürchtet.
Im Gegensatz zu Washington, das sich der Öllieferungen aus den Scheich-Staaten gewiß ist, tendieren die Interessen anderer Großmächte aber in Richtung Sanktionsaufhebung. So beispielsweise Frankreich. Schließlich ist die Pariser Administration auch nur Interessenvertretung der nationalen Industrie, und die Mineralölkonzerne Elf und Total sollen längst Förderverträge mit dem Irak ausgehandelt haben. Beide sind auch schon anderenorts mit der US-Konkurrenz aneinandergeraten: Im südlichen und zentralen Afrika steht Elf im Wettrennen um die dortigen Ölvorräte, und Total ist seitens Washington mit Sanktionen bedroht, weil der Konzern bereits mit dem Iran Geschäfte macht.
Darüber hinaus verspricht sich die französische Industrie irakische Aufträge zum Wiederaufbau der Infrastruktur im Lande. Bereits vor dem Ersten Golfkrieg - seit 1977 - unterhielten beide Staaten enge Geschäftsbeziehungen, die Luftwaffe Iraks bespielsweise stammt nicht nur aus sowjetischer, sondern auch aus französischer Produktion. Zwar sind genaue Zahlen nicht bekannt, der Irak dürfte jedoch mit mehreren Milliarden Mark bei Frankreich verschuldet sein.
Mit China und Rußland vertreten zwei weitere ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in der Irak-Politik eine andere Position als die USA. Moskau erhofft sich als traditioneller Handelspartner und Waffenlieferant gute Geschäftsbeziehungen, außerdem schielt man auch hier auf die Ölvorkommen des Landes. Der Bezug irakischen Öls könnte für Rußland nicht nur billiger sein, sondern vor allem auch eine Abhängigkeit von den ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Turkmenistan und den Kaukasus-Staaten verhindern. China geht es bei dem aktuellen Konflikt vor allem darum, die weltpolitische Bedeutung der USA einzuschränken. So freundlich man sich beim jüngsten Gipfeltreffen zwischen Jiang Zemin und Bill Clinton gab, so sehr ist der neue Wettlauf der Großmächte längst entbrannt. In der Volksrepublik selbst gibt es nur wenig Erdöl, als Importeur ist man also an niedrigen Preisen, etwa durch Freigabe der irakischen Ölproduktion, interessiert.
Die größte Gefahr der irakischen Machtdemonstrationen liegt aber nach wie vor darin, daß Hussein unter Verwendung islamistischer bzw. panarabischer Argumentation einen Krieg gegen Israel anzettelt und die gesamte Region in den Krieg gezogen werden könnte. Die Enttäuschung über den zähen Fortgang des Friedensprozesses dürfte ihren Teil dazu beitragen. Die Jerusalem Post macht in ihrer Sonntagsausgabe bereits eine Unterstützung des Iraks durch die palästinensichen Autonomiebehörden aus. Arafats Arbeitsminister Azzam Ahmed soll demnach die Beziehungen zu Bagdad als "exellent" bezeichnet und seinen baldigen Besuch bei Saddam Hussein angekündigt haben.
Dirk Hempel
Quelle: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/46/19a.htm |