Sehr geehrter Herr ....,
mit diesen Zeilen richte ich mich zum ersten Mal als Vorsitzender des Vorstands der systaic AG an Sie. Zweifelsfrei hätte ich mir einen besseren Zeitpunkt dafür gewünscht als diesen, zu dem ich Ihnen auch tiefrote Zahlen verkünden muss. Aber es gilt, den Tatsachen ins Auge zu sehen: Das Management der systaic AG hat zuletzt entscheidende Fehler gemacht und nur auf eine rasche Verdoppelung des Umsatzes gesetzt, statt auf eine gesunde Marge und ausreichende Liquiditätsreserven zu achten. Man hat sich, wie viele andere auch, anstecken lassen von den permanenten Jubelrufen der Branche in den letzten Jahren: Noch höher, noch größer! Das Ergebnis daraus ist: Die systaic AG hat sowohl für das zweite Quartal als auch für das gesamte erste Halbjahr 2010 operativ ein negatives Ergebnis. Und das wird sich auch bis zum Jahresende nicht ändern. Denn obwohl wir bereits zum 30. September 2010 erste Erfolge der unmittelbar eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen in Form einer deutlichen Bilanzverkürzung infolge einer Reduzierung von Forderungen und Verbindlichkeiten zeigen werden, könnte bis zum Jahresende ein operativer Verlust in etwa gleicher Höhe wie im ersten Halbjahr anfallen. Das liegt in erster Linie an den Kosten der Restrukturierung und der damit verbundenen Trennung von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Unternehmensteilen.
Ich habe die Position des Vorstandsvorsitzenden übernommen, weil ich vom langfristigen Erfolg, der innovativen Technologie und dem Marktpotential der systaic AG zu 100 Prozent überzeugt bin. Der Aufsichtsrat hat mir die Verantwortung für alle Bereiche übertragen. Vor mir liegt eine Herkulesaufgabe, die gleichzeitig eine große Herausforderung ist, vor der ich mich aber nicht scheue. Zusammen mit meinem Team werden wir uns zunächst auf zwei Kernbereiche konzentrieren: Erstens eine wesentliche Reduzierung der Kosten in allen Bereichen (mein persönlicher Beitrag dazu ist eine Jahresvergütung von einem Euro bis der Turnaround geschafft ist) und zweitens ein rascher Ausbau der Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Daneben ist mir größtmögliche Transparenz und der Dialog mit Ihnen besonders wichtig. Trotz aller sofort eingeleiteten Kosteneinsparungen und der Vorwärtsstrategie im Vertrieb werden wir dieses Jahr nur einen Umsatz von höchstens 25 bis 35 Millionen Euro erzielen können. Wir werden aber zum Jahresende 2010 auch die Neuausrichtung des Unternehmens vollständig abgeschlossen haben und mit Zuversicht ins nächste Jahr gehen, in dem wir einen Umsatz im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich und mindestens eine schwarze Null als Ergebnis erwarten.
Lassen Sie uns nach diesem unerfreulichen Vorspann nach vorne schauen. Ab sofort werden wir die systaic AG dort im Markt positionieren, wo sie hingehört: als ein Maßstäbe setzendes Unternehmen der Energieversorgung. Die systaic AG ist Entwickler und Hersteller von hochwertigen Technologien. Sie ist und war nie ein klassisches Unternehmen der sogenannten „Solarbranche“. Wir sind schon immer mit unserer konsequenten Strategie der ästhetischen Integration von Fotovoltaik in das Gebäude Vordenker gewesen und haben uns damit eine Spitzenposition geschaffen. Kein anderes Unternehmen weltweit verfügt über eine vergleichbare Technologie. Zahlreiche Auszeichnungen und eine starke Nachfrage der Kunden beweisen, dass dieser Weg der richtige ist. Mit unseren Produkten bieten wir schon heute das leitende System der Energieversorgung für Ein- und Zweifamilienhäuser. Und das zu marktfähigen Preisen ohne Abhängigkeit von subventionierten Einspeisevergütungen.
Die internationale Energieagentur rechnet bis 2030 weltweit mit gewaltigen Investitionen in Energieerzeugung, Verbrauchsmanagement und die Modernisierung der Netze. Hintergrund ist der weltweit rasante Ausbau der erneuerbaren Energien. Strom wird schon heute nicht mehr allein von den Energiekonzernen erzeugt, sondern auch von Millionen privater Haushalte, die mit Fotovoltaikanlagen auf ihren Dächern Strom ins Netz einspeisen. Dies erfordert weitere Investitionen in die energetische Optimierung von Neu- und Bestandsgebäuden.
Über zwei Millionen neue Dächer werden in Europa jedes Jahr errichtet – eine ausreichende Basis für einen breiten Absatz unseres Energiedaches. Durch die solare Einstrahlung wird bei unserem Energiesystem neben der Elektrizität auch Heißluft generiert, in eine Wärmepumpe geleitet, komprimiert und verwertet. Dadurch wird der Haushalt neben dem Strom auch mit Wärme versorgt und erfüllt die gesetzlichen Auflagen. Grundsätzlich muss jedes in Deutschland neu gebaute Haus die gesetzlichen Anforderungen der „Energie-Einsparverordnung“ (EnEV09) erfüllen und zusätzlich das „Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz“ (EE-WärmeG) einhalten, das den Einsatz regenerativer Energie zur Wärmeerzeugung fordert. Die Europäische Union hat für Neubau und Renovierung strenge Kriterien aufgestellt, die ab 2015 in Kraft treten: Demnach müssen alle Gebäude in Zukunft grundsätzlich mehr Energie erzeugen als sie selbst verbrauchen. Will ein Bauherr also in Zukunft diese Anforderungen erfüllen, kommt er an unseren Produkten nicht mehr vorbei. Ein Energiedach wird in den nächsten Jahren zum Standard werden.
Der Hunger nach der Edelenergie Strom wächst rasant weiter – trotz aller Sparbemühungen. Gleichzeitig wird die Klimatisierung von Ein- und Zweifamilienhäusern eine immer größere Rolle spielen. Mit dem SYSTAIC Energiedach und der SYSTAIC Wärmepumpe liefern wir bereits ausreichend Strom und Wärme für ein komplettes Haus.
Ein wesentlicher Baustein unserer Strategie ist die Erweiterung unseres Produktangebots. Mit dem SYSTAIC Energieterminal bieten wir ab 2011 erstmals eine kompakte Einheit, die den gesamten Energiebedarf des Hauses bereitstellt und steuert – ausgestattet mit einer intelligenten Steuerungssoftware, allen im Haus benötigten Verteilersystemen für Heizung, Lüftung, Strom, Daten und einem Energiespeicher auf Basis von Lithium-Polymer-Zellen. Durch den Einsatz dieser Technologie kann der größte Teil des über das Dach erzeugten Stroms direkt im Haus verbraucht werden. Die Hauselektrik sorgt nicht mehr nur für Licht und Steckdosen, sie kann viel mehr: Sie steuert Lüftung und Klimatechnik, reagiert auf Sensoren, verteilt Bild- oder Tonsignale, kann das Haus bei Abwesenheit überwachen und vieles mehr. Diese Funktionen stehen bei Neubau oder Renovierung ganz oben auf der Agenda der Bauherren, denn nur durch ein optimales Zusammenspiel aller Systeme erhält man ein Maximum an Effizienz und Komfort. Mit diesem Produkt differenzieren wir uns entscheidend von allen Wettbewerbern, die vorwiegend Komponenten liefern. Wir haben dadurch eine zentrale und dauerhafte Position beim Kunden, die uns ermöglicht viele weitere Dienstleistungen anzubieten. Denn wir liefern bereits die Energie, warum sollen wir dann nicht (zusammen mit Kooperationspartnern) auch Bild, Ton und Datendienste anbieten? Unser Terminal und unsere geschützte Software machen dies möglich.
Auch die Auslastung unserer beiden Produktionsstätten in Heilbronn (Solarzellen) und Landsberg (Solarmodule) wird in Zukunft erheblich zu einer positiven Ergebnisentwicklung beitragen. In Heilbronn fertigen wir sehr hochwertige und leistungsstarke Zellen, die wir zum Teil für unsere Energieeinheiten nutzen, aber größtenteils am Markt verkaufen. Für den Rest dieses Jahres wird dort im Dreischichtbetrieb unter Volllast gearbeitet. In unserem Werk in Landsberg fertigen wir die fotovoltaischen Teile für unser stark nachgefragtes Energiedach und spezielle Laminate für einen festen Kundenkreis. Auch im kommenden Jahr erwarten wir eine Vollauslastung beider Werke.
Zusammen mit Hawkpoint, einem führenden unabhängigen Corporate Finance-Berater, spezialisiert auf Restrukturierungen, Finanzierungsberatung und Mergers & Acquisitions, setzen wir dieses Jahr die geplante Neuausrichtung um und werden in Kürze eine neue und klare, von allem überflüssigen Ballast befreite Unternehmensstruktur vorstellen. Mit dem Verkauf unseres 64-Prozent-Anteils an dem Joint Venture Webasto Solar GmbH an den Automobilzulieferer Webasto AG Ende Juni haben wir bereits begonnen, die Komplexität der Gruppe zu reduzieren. Und wir werden uns kurzfristig von weiteren Beteiligungen trennen. Dazu gehört insbesondere unsere spanische Tochtergesellschaft, die bisher ausschließlich im Kraftwerksbau tätig war.
Sehr verehrte Aktionärinnen und Aktionäre, ein solches Schreiben ist nicht komplett, ohne auf die Entwicklung des Aktienkurses einzugehen. Ihren Unmut haben Sie klar zum Ausdruck gebracht, was an einem Tiefstkurs von 0,45 Euro je Aktie deutlich abzulesen war. Ich selbst bin als größter Aktionär der systaic AG stark von diesem drastischen Wertverlust betroffen. Mir ist auch bewusst, dass es lange dauern wird, bis verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Ich werde allerdings hart dafür arbeiten und zusammen mit meinem Team dafür Sorge tragen, dass die systaic AG auch am Kapitalmarkt wieder Beachtung erhält.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch ein Wort zu meiner Rolle als geschäftsführender Direktor und Vorsitzender des Verwaltungsrates der SOLDEVCO SE, die bislang in erheblichem Umfang in Geschäftsbeziehung zur SYSTAIC-Gruppe stand. Der SYSTAIC-Aufsichtsrat wie auch ich sind uns dieses Interessenskonflikts bewusst und werden ihm nach allen gebotenen Regeln einer verantwortungsbewussten Corporate Governance begegnen. Seien Sie versichert: Es hat nie und es wird nie Transaktionen zwischen den beiden Gesellschaften geben, die nicht zu Konditionen abgeschlossen werden, wie es auch zwischen fremden Dritten der Fall wäre. So wurden im Dezember 2009 vier begonnene Gewächshausprojekte auf Sardinien an SOLDEVCO übertragen. Dies geschah deshalb, weil die systaic AG nicht mehr in der Lage war, diese fertig zu bauen und zu veräußern. SOLDEVCO baut zurzeit diese Projekte auf eigene Kosten zu Ende und veräußert sie anschließend an die Investoren. Die daraus erzielten Einnahmen werden bis zum Jahresende vollständig an die systaic AG fließen. Ein erstes Gewächshaus konnten wir kürzlich in Betrieb nehmen, damit wird die systaic AG im nächsten Monat einen ersten größeren Liquiditätszufluss verzeichnen können.
Spätestens bei der Ordentlichen Hauptversammlung der systaic AG am 24. November 2010 - die Veranstaltung wurde aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse mehrfach verschoben - wollen wir detailliert Auskunft über die bis dahin erzielten Fortschritte geben und stellen uns gern Ihren Fragen. Wir gehen davon aus, dass wir bis dahin mehr zur Finanzierungslage des Konzerns wie auch über den Stand der offenen Forderungen sagen können.
Das erste Halbjahr war schwer. Der Weg, der vor uns liegt, ist jedoch nicht minder steinig und erfordert große Anstrengungen. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle unseren Mitarbeitern für die Leistung der vergangenen Monate herzlich danken. Auch danken wir unseren Kunden und Geschäftspartnern, die auch in dieser schwierigen Phase der systaic AG die Treue gehalten haben und uns weiterhin unterstützen. Unser Dank gilt auch Ihnen, sehr geehrte Aktionäre, für das Vertrauen, das Sie der systaic AG entgegengebracht haben und hoffentlich nach wie vor entgegenbringen.
Herzlichst Ihr
Michael Viktor Kamp Vorsitzender des Vorstands ----------- Nimm Verluste mit Humor. Dein Geld ist nicht weg. Es hat nur ein Anderer |