Martin will Betrugsvorwurf belegen
EU-Abgeordneter prangert deutsche Sozialdemokraten an, Tagegeld erschlichen zu haben von Manfred Pantförder
Berlin - Hans-Peter Martin gibt nicht klein bei. Allein und gegen allen Widerstand will der umstrittene Europaparlamentarier weiter enthüllen, wie seine Kollegen angeblich unrechtmäßig Sitzungsgelder kassieren. Der Österreicher, fraktionsloses Mitglied im Europäischen Parlament, will Namen und vor allem auch Daten nennen. Laut "Focus" müssen in dieser Woche auch 26 deutsche Sozialdemokraten fürchten, von Martin an den Pranger gestellt zu werden. Demnach will der selbst ernannte Enthüller Parlamentspräsident Pat Cox eine entsprechende Liste übergeben. In Abgeordnetenkreisen verlautete am Montag jedoch, dass Cox davon noch gar nichts wisse und ein Termin für die Übergabe der mutmaßlich brisanten Papiere nicht vorliege.
"Von allen 626 EU-Abgeordneten sind die deutschen Sozialdemokraten am negativsten aufgefallen", fährt Martin schweres Geschütz auf. "Das sind Sofort-nach-Hause-Flieger." Unter den Beschuldigten ist Dagmar Roth-Behrendt. Die Berliner Europaabgeordnete fühlt sich von Martin schon verfolgt. "Ich habe mich immer völlig korrekt verhalten", sagt Roth-Behrendt der WELT. "Ich habe keine Zeit, mich ständig mit Herrn Martin zu beschäftigen. Dafür arbeite ich zu hart." Das Tagegeld sei Teil einer Mischkalkulation, um die zusätzlichen Kosten der Abgeordneten in Brüssel und Straßburg zu decken. Mutmaßliche Verstöße gegen die Abrechnungspraxis müssten dem Parlamentspräsidenten auch belegt werden, damit dieser gegebenenfalls den Rechnungshof oder die Betrugsbehörde Olaf einschalten kann. Neben Roth-Behrendt wird zudem der Gruppenvorsitzende Martin Schulz angeprangert.
Der gebürtige Bregenzer Martin (46) gilt in den Augen von Kollegen schon länger als Querulant. Aus der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten (SPE) wurde er ausgeschlossen. Er soll eine Abgeordnete eingeschüchtert haben. Martin hat zahlreiche Parlamentarier quer durch die Fraktionen beschuldigt, ohne allerdings bislang stichhaltige Beweise dafür geliefert zu haben. Der parteilose Einzelkämpfer, der 1999 für die österreichischen Sozialdemokraten ins EP einzog und noch bis Juni amtiert, notiert seit 2001, was ihm in Straßburg und Brüssel als Missbrauch gilt. Demnach steht EU-Abgeordneten für jeden Sitzungstag ein Tagegeld von 262 Euro zu. Sie müssen sich in Anwesenheitslisten eintragen. Ob sie tatsächlich an den Sitzungen teilnehmen oder, wie Martin behauptet, gleich nach Hause fahren, wird nicht geprüft. Der Österreicher geht von massenhaftem Missbrauch aus und wirft vielen Kollegen Abzocke vor. Das Tagegeld sei für Sitzungen und echte Arbeit gedacht, so sein Vorwurf, und "nicht als Unterschriftsprämie für wenige Minuten Anwesenheit". Beschuldigte Kollegen widersprechen: Das Tagegeld sei eben nicht ausdrücklich eine Gegenleistung für die Teilnahme an Sitzungen.
Seit 2001 finden in Straßburg am Freitag keine Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments mehr statt. Trotzdem liegt am "Straßburger Freitag", so Martin, ein Anwesenheitsregister vor, offiziell nur für Abgeordnete, die nach den letzten Abstimmungen am Donnerstag ihren Heimatort nicht mehr erreichen können. Mit Kameras vor Ort ließe sich die Zahl der Eintrager drastisch senken, meint der Kontrolleur. Damit würden sich innerhalb einer Wahlperiode eine Million Euro Steuergelder einsparen lassen. Martin will mit TV-Kameras verstärkt Öffentlichkeit herstellen. Der nächste "Straßburger Freitag" stehe in dieser Woche an, "mit Eintragungsmöglichkeit von sieben Uhr bis 13 Uhr im abgelegenen Kämmerlein des LOW-Gebäudes im 2. Stock". In Brüssel wiederum, so die Vorwürfe, tragen sich vor allem am Donnerstagmorgen viele Abgeordnete ins Anwesenheitsregister ein und reisen ab, bevor sie überhaupt an einer Sitzung teilnehmen könnten. Insgesamt 7208 problematische Fälle wurden erfasst, so der Enthüller. Die Höhe des Tagegeldes übersteige bei fast allen Abgeordneten die tatsächlichen Aufwendungen.
|