Von Eva Müller
Klaus Kleinfeld sieht ziemlich nett und ebenso harmlos aus. Doch von der Fassade sollte sich niemand täuschen lassen. Der designierte Vorstandschef entscheidet schon jetzt, was im Siemens-Konzern geschieht.
Bubengesicht, braver Haarschnitt, schlaksige Figur - Klaus Kleinfeld (46) sieht ziemlich nett und ebenso harmlos aus.
Von der Fassade sollte sich niemand täuschen lassen. Der Nachfolger von Siemens-Lenker Heinrich v. Pierer (63) analysiert messerscharf, beschließt blitzschnell, setzt konsequent um. Höhenangst vor dem Topjob in einem der größten deutschen Konzerne kennt der Bremer nicht.
Der Betriebswirt misst die Welt in Härtegraden: Grad 1 bezeichnet eine Idee, Grad 2 ein Projekt; ist Härtegrad 3 erreicht, wird umgesetzt, und bei 4 der finanzielle Erfolg eingefahren.
Schon vor seiner Installation als stellvertretender Vorstandschef am 1. August traf der Kronprinz zukunftsweisende Entscheidungen (Härtegrad 3). V. Pierer gibt bereits den Ex-Chef, was der zuletzt Erfolgsverwöhnte klaglos akzeptiert: "Ich finde mich damit ab, im kommenden halben Jahr eine "lame duck" zu sein." Sein Zögling Kleinfeld wirbelt unterdessen das Unternehmen durcheinander. Erst zu Jahresbeginn hatte er im Zentralvorstand die Verantwortung für die Sparte Information and Communications (I&C) übernommen. Nun, gerade ein halbes Jahr später, verpasst er dem wichtigsten Siemens-Bereich eine völlig neue Struktur.
Unter der Aufsicht des frisch gekürten Zentralvorstands Thomas Ganswindt (43) wird I&C ab 1. Oktober auf zwei Sparten konzentriert: den IT-Dienstleister Siemens Business Services (SBS) und die Einheit Siemens Communications, die das Mobilfunkgeschäft (ICM) und die Festnetzsparte (ICN) zusammenfasst. Zum Chef des mit rund 17 Milliarden Euro Umsatz bei weitem größten Siemens-Bereichs ernannte Kleinfeld Lothar Pauly (45), einen Bruder im Geiste. Als Chief Operating Officer der Handy-Sparte packte der Hesse in den vergangenen zwei Jahren konsequent und pragmatisch zu, gönnte sich selbst bei einem zwölfstündigen Kundenbesuch-Marathon keine halbe Stunde Pause. Das Arbeitstier, das seit 1993 bei I&C schuftet, kennt sich extrem gut im Asien-Geschäft aus. Seine exzellenten Fernost-Verbindungen helfen Pauly, die Zusammenarbeit seiner Handy-Bauer mit der chinesischen Ningbo Bird zu koordinieren.
Siemens liefert den Chinesen das technische Innenleben für deren Mobiltelefone und darf im Gegenzug seine eigenen Produkte über das mehr als 30.000 Händler zählende Vertriebsnetz von Ningbo Bird vermarkten.
Läuft die Kooperation zu beiderseitiger Zufriedenheit, sollte bald mehr aus der lockeren Verbindung werden. Ein Joint Venture nach dem Vorbild von Fujitsu Siemens Computers (FSC) könnte auch Paulys künftigem Chef Kleinfeld als ideale Lösung für das imageträchtige, aber margenschwache Handy-Business erscheinen. Entsprechende Planspiele finden intern längst statt (Härtegrad 1,5). Bis die Gemeinschaftsfirma steht, kümmert sich Thorsten Heins (46) um das Mobilfunk-Geschäft. Der Posten ist durch die Beförderung des bisherigen ICM-Chefs Rudi Lamprecht (55) in den Zentralvorstand vakant.
Lamprecht soll das Wachstum von Siemens in Russland forcieren - auf besonderen Wunsch Kleinfelds, der in Putins Reich eine Boomregion für den Infrastrukturkonzern sieht. Zur Nummer eins im Handy-Geschäft hat Lamprecht Siemens in den GUS-Staaten ja bereits gemacht. All diese Personalien segnete der Aufsichtsrat in seiner turnusmäßigen Sitzung am 28. Juli ab. Bei dieser Gelegenheit stellte der neue Communications-Chef Pauly auch gleich sein komplettes Vorstandsteam für den neuen Megabereich vor.
Anton Schaaf (50) wird Technikchef. Die Telefonanlagen für Unternehmen betreut weiterhin Andy Mattes (43). Der USA-Fan zeichnet auch für das Konzept "Life Works" verantwortlich, in dem Festnetzler und Mobilfunker bereits seit einem Jahr gemeinsame Kommunikationslösungen entwickeln.
ICN-Finanzchef Michael Kutschenreuter (49) kümmert sich in Zukunft um die Zahlen des neuen Superbereichs. Sein Kollege von ICM, Joe Kaeser (47), hingegen ist für höhere Weihen bestimmt. Er avancierte zum Chefstrategen und könnte später in den erweiterten Konzernvorstand aufrücken.
Beim Dienstleister SBS, der mit seinen 5,2 Milliarden Euro Umsatz jetzt ganz und gar zum Wurmfortsatz von I&C mutiert, hatte Kleinfeld den Vorstandswechsel schon vorher vollzogen. Seit 1. Juli amtiert dort Adrian von Hammerstein (51), bis vor kurzem Chef von Fujitsu Siemens. Der Finanzexperte, der keinerlei Erfahrung im Servicegeschäft vorweisen kann, löste den glücklosen Paul Stodden (57) ab, der als Vorstandschef zum Mobilfunkanbieter Debitel wechselte. Die Branche raunt, Hammerstein solle SBS für die Due Diligence eines Kaufinteressenten hübsch machen. Als potenzieller Übernehmer wird der niederländische IT-Dienstleister Getronics gehandelt, der gerade aggressiv zu expandieren sucht.
SBS und Getronics kennen sich schon recht gut. Die beiden Unternehmen betreuen in Zukunft gemeinsam Teile der IT der Europäischen Flugsicherung Eurocontrol.
In der Diktion Kleinfelds haben die Überlegungen zu SBS allerdings höchstens Härtegrad 1 - will heißen, mehr als eine Idee ist das Ganze noch nicht. |