Kommentar
Angela Bangbüx Der Bundestags-Wahlkampf leidet daran, dass viele Wähler sich in großer Verlegenheit befinden: Sie wollen Schröder und seine SPD nicht mehr, sind aber von der CDU nicht überzeugt - und von Angela Merkel alles andere als begeistert. von Heribert Prantl
Daher verfliegt die Neuwahl-Euphorie des Frühsommers; an deren Stelle tritt nun die August-Ratlosigkeit und die Befürchtung, dass Angela Merkel und die Union mit ihrem Latein schon am Ende sein könnten, bevor sie angefangen haben.
Der Unions-Wahlkampf begann nicht mit einem Tusch, sondern mit einem Dämpfer. Die Partei schleppt nun die angekündigte Mehrwertsteuer-Erhöhung durch den Wahlkampf wie einen Klotz am Bein. Das wäre vielleicht nicht so tragisch, sondern als neue Ehrlichkeit gut darstellbar, wenn Angela Merkel sich als strahlende Führungspersönlichkeit präsentieren könnte. Aber das gelingt ihr nicht.
Die Kanzlerkandidatin macht keinen überzeugenden Eindruck, sondern zunehmend Fehler. Die öffentliche Wirkung ihrer Fernsehduell-Drückebergerei ist desaströs.
Prä-elektorale Tristesse
Solche Hasenherzigkeit weckt das Gefühl der Enttäuschung, das üblicherweise erst etliche Monate nach einer Neuwahl eintritt, schon vorher. Es herrscht in Deutschland prä-elektorale Tristesse.
Und in dieser Tristesse entstehen Fragen: Womöglich ist die politische Potenz dieser Frau doch nur Präpotenz? Womöglich ist sie in prekären Momenten doch nur das, was man im Norden „Bangbüx“ und im Süden „Trauminet“ nennt? Womöglich hat Angela Merkel doch nicht das Format, das man sich an der Spitze der Regierung wünscht?
Womöglich sind die Gaben, die gereicht haben, einen Wolfgang Schäuble abzusägen und Friedrich Merz kaltzustellen, doch nicht ausreichend, um auch ein Land zu regieren und es auf internationaler Bühne gut zu vertreten? Womöglich hat also der allgemeine Überdruss an Kanzler Schröder und an seiner Regierung den Menschen dieser Republik die Fata Morgana einer viel besseren Regierung als der gegenwärtigen vorgegaukelt? Je näher man nun dem Wahltermin kommt, umso deutlicher stellt sich also womöglich heraus, dass man einer optischen Täuschung aufgesessen ist.
Wenn es so weitergeht, wird auch die Union nicht gewinnen
Im Lichte etlicher verunglückter Auftritte der Kanzlerkandidatin, im Lichte von nichtssagenden oder verpatzten Interviews, gewinnt der amtierende Kanzler allenthalben schon wieder an Respekt. Das dreht die politische Stimmung im Lande nicht um.
Aber es tritt an die Stelle des ersten Hauptsatzes über den aktuellen Wahlkampf ein zweiter. Der erste Hauptsatz lautet: Wenn nicht alles täuscht, wird die SPD die kommende Bundestagswahl verlieren. Der zweite Hauptsatz, der nun hinzutritt, lautet: Wenn es so weitergeht wie in den vergangenen Wochen, wird auch die Union die Wahl nicht gewinnen.
Eine gewisse Melancholie, die da und dort darüber herrscht, dass man den gegenwärtigen Kanzler, der ja meistens eine recht ordentliche Figur gemacht hat, gehen lassen muss, mischt sich zusehends mit dem Befremden darüber, dass man an dessen Stelle eine Kanzlerin bekommen soll, von der man sich immer weniger vorstellen kann, dass sie im Kanzleramt gute Figur macht.
Diese wachsende Merkel-Skepsis bringt freilich der SPD keinen Schub, weil zwar die Enttäuschung über eine Regierung die Opposition stärkt, aber eine Enttäuschung über die Oppositionskandidatin nicht die Regierung. Im Zweifel ist nämlich die Frustration über die rot-grüne Regierung stärker, mächtiger und für die Wahlentscheidung von viel größerer Bedeutung als die wachsende Ernüchterung über Angela Merkel und die von ihr geplante Politik.
Keine "gemähte Wiese"
Eine Euphorie des Neuanfangs gibt es nicht. Euphorisch sind allenfalls die Wirtschaftsfunktionäre, die in den Jahren 1998 ff. noch Gerhard Schröder auf die Schulter geklopft haben, weil sie sich nun auch von Merkel ein paar Steuergeschenke und sonstige Erleichterungen erhoffen.
Ansonsten herrscht im Land eher ein Generalgefühl des „Was soll man machen?“: Angela Merkel wird billigend in Kauf genommen, weil sich ja was ändern muss. Das ist eine Situation, in der angesichts hoher Zahlen von unentschlossenen Wählern noch einiges geschehen kann: Die Wahl ist für die Union mitnichten, wie man so sagt, schon „eine gemähte Wiese.“
Eine Partei als Wahlkampfthema
Auf dieser Wiese ist unglaublich rasch die Linkspartei gewachsen; das bereitet der Union kaum weniger Schwierigkeiten als der SPD: Diese Linkspartei durchkreuzt mit wachsender Wahrscheinlichkeit eine schwarz-gelbe Koalition. Kein Sachthema, sondern diese Partei entwickelt sich zum Wahlkampfthema, mit dem sich alle anderen intensiv beschäftigen.
Es geht bei diesen Debatten eher um taktisch-strategische Fragen: Wie viele Prozente kann diese Partei erreichen? Wie verändert sie politische Landschaft? Welche Auswirkungen ergeben sich langfristig? Wann und für wen und unter welchen Bedingungen kann diese Partei zu einem Koalitionspartner werden?
Solche Debatten stärken die Linkspartei, sie werten eine Bewegung auf, die erst ansatzweise Parteicharakter hat. Wichtiger als diese unsinnigen und unzeitigen Debatten wäre es, die anderen Parteien machten sich Gedanken darüber, warum die Linkspartei so großen Zulauf hat.
(SZ vom 05.08.2005) |