Was die Pilger auf dem Weltjugendtag bewegt: Gespräche über Kirche, Liebe und Freiheit in Köln
von Torsten Thissen
Düsseldorf - Alicka und ihre Schwester sind irgendwann auf die Suche nach "der besten Kirche" gegangen, wie sie sagen. Das war natürlich nicht so einfach, und erst nach einigen Enttäuschungen sind sie bei den Franziskanern von Bratislava gelandet. Wegen des Gemeinschaftsgefühls und der Liebe zu Gott, die dort vermittelt werde, sagt Alicka.
Ihre Schwester schaut ein bißchen skeptisch, weil sie grundsätzlich zwar genauso empfand wie Alicka, doch im nachhinein feststellte, daß diese "Liebe zu Gott" ihr auf Dauer ein bißchen einseitig ist. Deshalb ist die 21jährige Alicka noch Jungfrau und ihre 20jährige Schwester ist es nicht mehr. Alicka zuckt mit den Schultern. "Jeder muß es selbst wissen", sagt sie schnippisch. Ihre Schwester geht mit leicht rotem Kopf zum Angriff über: "Du lebst eh in deiner eigenen, kleinen Welt. Die hat mit der Realität wenig zu tun", sagt sie. "So klein ist die nicht", erwidert Alicka und deutet auf die Ränge der Düsseldorfer Arena: Kardinal Lehmann hat gerade den Eröffnungsgottesdienst für den Weltjugendtag, der noch bis zum Sonntag im Rheinland stattfindet, beendet. 51 000 Jugendliche jubeln, schwenken ihre Landesflaggen. Sie singen "Wir sind gekommen, um ihn anzubeten", das Motto des Weltjugendtages. "Als wenn die alle mit dem Sex bis zur Hochzeit warten würden - daran kannst du schon sehen, wie naiv du bist", sagt Alickas Schwester.
Vielleicht ist es wegen der ungewohnten Atmosphäre. In einem Fußballstadion stehen sich normalerweise zwei Lager gegenüber, an diesem Tag aber jubeln alle Anwesenden nur für eines: für die katholische Kirche. Man könnte meinen, die Jugend dieser Weltkirche stünde da wie aus einem Guß. Doch das ist natürlich nicht so.
"Was uns eint, ist der Glaube an Gott", sagt Daniel Santos. Der 18jährige ist gemeinsam mit Jackie Campios (22) und Davina Fernandez (22) aus Kanada zum Weltjugendtag gekommen. Die Religion gebe ihnen Kraft, sagen sie. Ihr Erweckungserlebnis sei der Weltjugendtag in Toronto gewesen, "unfaßbar war das", sagt Jackie. "Ich fände es schlimm, wenn sich die katholische Kirche dem Zeitgeist anpassen würde", fügt Davina hinzu, und Daniel ergänzt: "Es ist gut, wie es ist." Alles andere wäre ja keine Religion, wenn man sich aussuchen könnte, was richtig oder falsch ist, wenn die Kirche beliebig würde in einer Zeit, in der alles beliebig ist und niemand genau wisse, wo es langgehe. Sex sei natürlich ein schwieriges Thema. "Ich denke, daß es besser ist zu warten", sagt Davina ein wenig unsicher. "Aber wer will das schon wirklich", fällt ihr Daniel ins Wort. Die beiden vermeiden nun, sich direkt anzusehen. Wo vorher der Altar stand, spielt jetzt die Band Höhner rheinische Karnevalsschlager. Schließlich soll der Weltjugendtag bei aller Besinnlichkeit auch eine große Party werden.
"Wir gehen seit zwei Monaten miteinander aus", erklärt Daniel später. Natürlich bewundert er den Papst für seine Glaubenstärke und auch die Priester. Aber, sagt Daniel, er ist nun einmal kein Geistlicher. Und dieses "katholische Mädchen", deutet er Richtung Freundin, "kann schon ziemlich nerven. Wenn du verstehst, was ich meine."
José Ignacio kann ziemlich wenig mit den Höhnern anfangen. Der 18jährige Chilene schaut sich auf den Rängen um. "Ich hätte mir einen modernen Papst gewünscht, der mehr denkt wie wir Jungen", sagt er. "Ich bin katholisch aufgewachsen, ich glaube an Gott, doch ich glaube nicht, daß man nur miteinander schlafen sollte, um ein Kind zu zeugen." Er lächelt. "Wenn die Priester glauben, auf dem Weltjugendtag würde nachts nur gebetet, irren sie sich." José ist zum Weltjugendtag gekommen, weil ihn der Papst gerufen habe, sagt er. Und um zu feiern. Ob das kein Widerspruch sei?
Man kann den Papst ja kritisieren und anders leben, als er sich das vorstelle, aber schließlich und letztlich sei er ja immer noch der Papst. Mit seinem Vater habe man auch Probleme, das ist ganz normal, sagt José.
"Gott spricht mit den Menschen, und die Kirche sorgt dafür, daß sie ihn hören. Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, populär zu sein, sondern den Willen des Herrn zu verkünden", sagt Michael Duffy, 20 Jahre alt, aus "dem wunderschönen New York". Sein Kumpel Paul Avvanto erzählt, daß Michael der beste Theologe der Gemeinde sei. "Der ist fest im Glauben und will Priester werden."
Dementsprechend verzichtete Michael bisher auf Sex. Ja, er verspüre Lust, doch "das ist eine Prüfung, die Gott mir auferlegt hat", wie Michael sagt. "Wenn die Menschen gegen die Gebote des Herrn verstoßen, wenn sie Sex haben, ohne verheiratet zu sein, wenn sie Abtreiben lassen, müssen sie das mit ihrem Gewissen ausmachen. Doch wenn sie ernsthaft bereuen, nimmt Gott sie in seiner unermeßlichen Liebe wieder auf."
"Und wenn sie nicht bereuen?" "Wer sind wir, sie zu richten?", fragt Michael zurück, schnappt sich die amerikanische Flagge und singt mit seinen Leuten "Born in the USA". Die Umstehenden freuen sich darüber.
Andere versuchen derweil in die Düsseldorfer Innenstadt zu gelangen. Marine Peloux ist heute 18 Jahre alt geworden und will noch feiern. "Feiern, tanzen, Leute kennen lernen". Sie sieht ihre Freundin Clementine an und ergänzt: "Und Spaß haben." Sie glaubt an Jesus Christus, hat "ihn fest im Herzen", schätzt auch das Spirituelle, das ihr die Kirche gebe, aber die Sexualmoral teilt sie nicht. Marine sagt, daß es gut sei, Abtreibungen verhindern zu wollen, daß man sich dann aber für Prävention einsetzen müsse, Enthaltsamkeit käme auch auf dem Weltjugendtag für sie nicht in Frage. "Ich bin keine Schlampe, wenn ich mit jemandem schlafe und lasse mir das auch von keinem einreden." Marine sagt, sie sei noch Jungfrau. "Aber mit dem Papst hat das genau so wenig zu tun, wie es der Verlust meiner Jungfräulichkeit hätte."
Die Arena leert sich. Zehntausende ziehen in ihre Zeltlager, Schulen, Turnhallen. Yousif Hannam-Micha, Tamara Hannally und ihr Bruder Nabim sind darunter. Sie kommen aus dem Irak. Der Sex sei nicht entscheidend, sagt die 20jährige Tamara. Sie ist immer von ihren muslimischen Freundinnen für ihr Christ-Sein immer beneidet worden: "Weil mir mein Bruder nicht vorschreiben kann, was ich zu tun habe. Mein Glaube gibt mir Freiheit." Nabim schüttelt erst den Kopf, bekommt dann einen warnenden Blick von ihr: "Sie muß es selbst wissen", sagt er.
Welt.de |