Helmut Schmidt: "SCHMIDT: Ich habe den Verdacht, dass sich alle Terrorismen, egal, ob die deutsche RAF, die italienischen Brigate Rosse, die Franzosen, Iren, Spanier oder Araber in ihrer Menschenverachtung wenig nehmen. Sie werden übertroffen von bestimmten Formen des Staatsterrorismus. ZEIT: Ist das Ihr Ernst? Wen meinen Sie? SCHMIDT: Belassen wir es dabei. Aber ich meine wirklich, was ich sage".
NSU Ungereimtheiten, Widersprüche, Vertuschungen und über die Rolle des deutschen Verfassungsschutzes. "Und der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags Clemens Binninger sagte noch im Februar diesen Jahres: „Es gibt 27 Tatorte, an denen Böhnhardt und Mundlos ihre Verbrechen begangen haben sollen. Also 10 Morde, 15 Banküberfälle, 2 Sprengstoffanschläge. An keinem einzigen Tatort wurden Fingerabdrücke und DNA-Spuren von den beiden gefunden. Das ist ausgesprochen ungewöhnlich. Stattdessen haben wir an verschiedenen Tatorten anonyme DNA, die bis heute niemandem zugeordnet werden konnte. Und auch auf den Bekenner-DVDs gibt es keine personenbezogenen Aussagen. Dort ist immer nur vom NSU die Rede. Und zwar als einem „Netzwerk von Kameraden“. Auch die Auswahl der Tatorte spricht für die Unterstützung von Ortskundigen. So gibt es noch viele Indizien, die für die Beteiligung weiterer Täter sprechen. Akten wurden geschreddert oder geschwärzt. Handys und andere Beweismittel wurden „zu spät gefunden“, als „nicht verwertbar“ eingestuft oder „wegen Platzmangel“ vernichtet. Die von den zahlreichen Anwälten der Nebenkläger angeforderten Akteneinsichten und die Vorladung von Zeugen wurden nicht gewährt. Spuren werden für „nicht relevant“ erklärt und versanden. Beschuldigte setzen sich in die Schweiz ab, Zeugen kommen unvermittelt zu Tode. Unzählige Ungereimtheiten und Fragen über Fragen! Und immer wieder Auskunftsverweigerung aus Gründen der „Staatssicherheit“, des „Staatswohls“ und „zum Schutz der Bevölkerung. Halit Yozgat wurde am 6.4.2006 in seinem Internetcafé mit derselben Waffe – einer Ceska Typ 83 – erschossen, mit der seit September 2000 acht Migranten in fünf deutschen Städten getötet wurden. Zur Zeit des Mordes war der damalige Mitarbeiter des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz und V-Mann-Führer Andreas Temme (einstmals „Klein Adolf“ gerufen) vor Ort und surfte auf einem Flirtportal. Er hatte eine Plastiktüte dabei, in dem sich nach Zeugenaussagen ein schwerer Gegenstand befunden haben soll. Er selber meldete sich zunächst nicht als Zeuge; man musste ihn ausfindig machen. Später leugnete er, überhaupt in dem Internetcafé gewesen zu sein. Dann behauptete er, er sei zufällig „der falsche Mann am falschen Ort“ gewesen. Schließlich will er trotz der Enge der Räumlichkeiten keinen Schuss gehört, keinen Toten gesehen und auch den Geruch von Schießpulver nicht wahrgenommen haben, als er beim Verlassen des Cafés 50 Cent auf den Empfangstresen legte, hinter dem Halit Yosgat lag.(Hier eine Rekonstruktion der Szene).
ZWEIFEL AN DER FAIRNESS DES VERFAHRENS GEGEN ZSCHÄPE SIND ERLAUBT NSU-Prozess: Kommt der Rechtsstaat ins Straucheln? Für die Münchner Richter war seine Aussage letztlich glaubhaft und nachvollziehbar. Während die Schüsse fielen, habe sich Temme im hinteren Teil des Internetcafés aufgehalten. Es sei also durchaus möglich, dass er von dem Mord nichts mitbekam und Yozgat beim Verlassen des Raums übersah. In seinem (oben genannten) Buch führt Wolf Wenzel detailliert aus, warum er zu dem Schluss gekommen sei, dass Temme vor ein Gericht gehöre und dass er vom seinen Vorgesetzten bis hin zum Innenministerium (Volker Bouffier war damals hessischer Innenminister) geschützt worden sei. Der Verfassungsschutz hat inzwischen entsprechende Unterlagen für sage und schreibe 120 Jahre gesperrt. Üblich sind Sperrfristen von 30 Jahren. Am 25. April 2007 wird die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn in ihrem Streifenwagen hinterrücks erschossen und ihr Kollege schwer verletzt. Die beiden Polizisten hatten das Auto kurz vor 14 Uhr im Schatten einer alten Pumpstation auf der Theresienwiese geparkt, wo hundert Meter entfernt gerade der Rummel für das Maifest aufgebaut wurde. Als Täter wird das NSU-Trio beschuldigt.
Einfach mal so gefragt: Ist es vorstellbar, dass die Angeklagten die Hunderte von Kilometern nach Heilbronn gefahren sind, um zwei Dienstwaffen zu rauben, obwohl sie schon ein ganzes Waffenarsenal zur Verfügung hatten und auch in ihrer Nähe hätten fündig werden können? Was spricht für ihre Täterschaft? Wenig, sagen auch Juristen und Experten. Noch heute ist ungeklärt, ob Frau Kiesewetter ein Zufallsopfer war, weil die Neonazis es auf ihre Waffe abgesehen hatten.
Clemens Binninger erklärte in dem oben bereits erwähnten Interview, „… dass wir in Heilbronn vier Zeugen haben, die alle unabhängig voneinander kurz nach der Tat blutverschmierte Männer gesehen haben, die in ein Fahrzeug springen. Wenn die Zeugenaussagen zutreffen, woran ich keine Zweifel habe, wären mindestens sechs Personen involviert gewesen. Diese Spur wurde vor 2011 vom LKA auch als sehr relevant eingestuft, dann aber, als der NSU aufflog, wieder verworfen. Ich fürchte, da hat man sich möglicherweise zu früh festgelegt.“
Ein ausführlicher Versuch einer Rekonstruktion der Geschehnisse ist im STERN nachzulesen.
Zeugensterben Seit einigen Jahren sterben wichtige Zeugen aus der Naziszene. Florian Heilig, der in der Heilbronner Szene aktiv war offiziell durch Selbstverbrennung, Melisa Marijanovic offiziell an einer Lungenembolie als Folge einer Knieprellung und Thomas Richter (alias Corelli), offiziell an einer unerkannten Diabetes. Florian Heilig verbrennt acht Stunden vor seiner Zeugenvernehmung in seinem Auto – Suizid aus Liebeskummer, so die offizielle Version. Wolf Wetzel nimmt sich in seinem Buch dieses Falles näher an und beschreibt aufschlussreiche Details über den 21-Jährigen, der aus der Szene aussteigen wollte, und bringt damit viele Belege für seinen Zweifel an der Selbstmordthese. Florian Heilig hatte z.B. von einer weiteren neonazistischen Terrorgruppe (NSS – NeoSchutzStaffel) berichtet. Bei seinen Aussagen zum Mordanschlag auf die Polizisten in Heilbronn nannte er mehrere Personen, die beteiligt gewesen sein sollen. Inzwischen ist die Zahl der verstorbenen Zeugen noch weiter gestiegen. Widersprüche und Ungereimtheiten zur These „erweiterter Selbstmord“ 1) Nur wenige Sekunden – etwa 20 – sollen zwischen dem Schuss liegen, mit dem Mundlos Böhnhardt tötete, und dem Schuss, mit dem er sich dann selber umbrachte und dabei noch das Feuer im Wohnmobil legte. Ist das möglich? 2) Bei der Obduktion der Leichen am 5.11. wiesen ihre Lungen trotz des Brandes keine Rußpartikel auf, was jedoch nach Expertenmeinung für wissenschaftlich möglich gehalten wird. 3) Die tödlichen Schüsse sollen aus einer Pumpgun abgegeben worden sein. Also aus einem Repetiergewehr. D. h., die Hülsen werden erst ausgeworfen, wenn nachgeladen wird. Mundlos musste also wieder nachladen, nachdem er Böhnhardt umgebracht hatte, um sich selber zu töten. Da man jedoch zwei Hülsen am Boden fand, würde das bedeuten, dass Mundlos nach seinem Selbstmord noch einmal nachgeladen hat. Aber Menzel hatte auch dafür eine Erklärung: Durch ein Stauchen der Pumpgun, etwa durch den Aufprall auf dem Boden, könne die verbrauchte Munition auch ohne Nachladen aus dem Schacht gefallen sein.
Die Frage nach einem „dritten Mann“ drängt sich jedoch auf. Und es gab tatsächlich zahlreiche Hinweise auf eine dritte Person, denen jedoch nicht weiter nachgegangen wurde. Die offizielle Version hält sowohl am erweiterten Selbstmord als auch an der 2-Täter-Version fest. Hier der gesamte Vorgang dargestellt in der ZDFinfo-Doku „Tod im Wohnmobil„.
Am 11.11.2011 – mitten im Kölner Karnevalstrubel – läuft beim Bundesamt für Verfassungsschutz außerhalb der Dienstzeit die „Aktion Konfetti“ an: In großem Umfang werden Akten zu V-Leuten der Thüringen Neonaziszene in den Jahren 1997 bis 2003 geschreddert. Später hieß es, in den Akten sei kein brisantes Material gewesen.
Auf Widersprüche hinweisen! 13 Jahre haben die Mörder eine Blutspur im ganzen Land hinterlassen. 13 Jahre blieben sie bis zu ihrem Tod unerkannt, obwohl es – so kann man durch zahlreiche Medienveröffentlichungen erfahren – Möglichkeiten gegeben hätte, sie zu stellen. Immer wieder werden die Fragen laut: Waren die Dienste so unfähig? Oder waren sie involviert? Die belegbaren Widersprüche in der offiziellen Version der NSU-Mordserie sind zahlreich. Doch die Anwälte der NSU-Opfer sind sehr aktiv und weisen immer wieder auf die vielen Ungereimtheiten hin. Wie viel inzwischen in unserem Staat geheim ist, zeigt sich gelegentlich, wenn sich eine kleine Spalte öffnet. Im Zusammenhang mit der Absage des Länderspiels in Hannover vier Tage nach den Terrorangriffen in Paris während des Spiels der DFB-Elf gegen Frankreich im November 2015, erklärte Innenminister de Maizière, er könne nicht alles offen legen, denn „ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ Er bitte die Öffentlichkeit um einen Vertrauensvorschuss. Kann er dieses Vertrauen überhaupt noch einfordern"?
Artikel von Ende 2017 https://www.tichyseinblick.de/meinungen/...-aufklaerung-unerwuenscht/ |