Die Große Koalition will die Energiewende fortsetzen, doch mit gedrosseltem Tempo: Union und SPD setzen sich vor allem für die Interessen der Industrie und der großen Energiekonzerne ein. Der Klimaschutz kommt erst an zweiter Stelle - mahnende Stimmen in den eigenen Reihen finden kaum Gehör.
Berlin - Die Fotomontage zeigt Hannelore Kraft als kohletreues Ruhrpottgewächs: Die SPD-Spitzenfrau trägt rußverschmierte Wangen zum derben Arbeiterinnen-Outfit, in den Händen hält sie ein qualmendes Kraftwerk in Miniaturformat. Das Motiv ziert neuerdings die Startseite der Protest-Plattform Campact. "Volle Kohle-Kraft voraus?", spotten die Betreiber.
Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen ist in diesen Tagen das Feindbild von Umweltaktivisten und Klimaschützern. Gemeinsam mit CDU-Umweltminister Peter Altmaier handelt Kraft ab Donnerstag die energiepolitischen Leitlinien einer künftigen Großen Koalition aus.
Die stellvertretende SPD-Chefin steht dabei für einen Kurs, der traditionelle Stromerzeuger schützen will, etwa vor kostspieligen Beteiligungen am Netzausbau. Ihr Motto: Arbeitsplätze und bezahlbare Preise sind wichtiger als eine überstürzte Energiewende.
Der Gassenhauer vom Winter-Blackout
Das scheint nun auch das Motto für die künftige Große Koalition zu sein. Zwar soll die Energiewende nach dem Willen von Union und SPD fortgesetzt werden, doch besonders eilig hat man es dabei nicht.
So will die SPD in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen der Industrie in einem wichtigen Punkt entgegenkommen: Energieintensive Unternehmen sollen laut eines Positionspapiers auch in Zukunft weitgehend von teuren Ökostromumlagen befreit werden. Statt wie bisher 2300 Unternehmen würden laut SPD-Konzept zwar nur noch knapp tausend in die Gunst der Ausnahmeregelung kommen. Doch die ganz großen Verbraucher wären weiter befreit. Damit liegen die SPD-Verhandler auf einer Linie mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).
Auch in einem anderen Punkt könnten Ökopositionen in der Großen Koalition in die Defensive geraten. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es zu einer Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) kommt. Im Gespräch ist, die sogenannte generelle Einspeisevergütung abzuschaffen. Mit dieser staatlich festgelegten Vergütung für die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien werden bislang die Betreiber von Solar- oder Windanlagen gefördert.
Angedacht ist, die Vergütung für erneuerbare Energien künftig marktnäher zu gestalten und den Ökostrom direkt zu vermarkten. Was das genau bedeutet, ist offen. Produzenten von Ökostrom und Klimaschützer fürchten aber eine Schwächung der erneuerbaren Energien.
Unklar ist noch, wie die Große Koalition künftig mit Kraftwerken, insbesondere mit Kohlekraftwerken umgehen wird. Die großen Energieerzeuger machen massiv Druck und fordern Subventionen dafür, dass sie mit ihren Kraftwerken die Energieversorgung auch in Flautezeiten sicherstellen, wenn zum Beispiel nicht genug Strom aus Windrädern zur Verfügung steht.
Mächtige Verbündete, schwache Gegner
Um ihr Ziel zu untermauern, sind die Bosse der Energieriesen seit Tagen mit ihrem Gassenhauer unterwegs: Sie warnen vor winterlichen Stromausfällen in ganz Europa - obwohl sich die Versorgung nach Ansicht von Experten durchaus mit bestehenden Mitteln sichern lassen würde.
Die Konzernchefs haben mit Ministerpräsidentin Kraft eine mächtige Verbündete. Sie will den großen Energieunternehmen, die in NRW viele Arbeitsplätze garantieren, helfen. Deshalb wird sie in den Koalitionsverhandlungen und parteiintern besonderen Druck machen.
Die Chancen stehen gut, dass sie sich durchsetzt. Denn es gibt in den Reihen der SPD und auch der Union kaum jemanden, der lautstark widersprechen könnte. So hat die SPD immer weniger Umweltpolitiker von Rang vorzuweisen. Der einstige Solarpapst Hermann Scheer starb vor drei Jahren. Seitdem sieht es mit prominenten Ökos in der SPD mau aus. Zugleich weiß Kraft die mächtigen Gewerkschaften auf ihrer Seite.
Michael Müller, einst parlamentarischer Staatssekretär unter dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel, sieht das gesamte umweltpolitische Profil seiner Partei in der Krise. "Die SPD hat nicht geklärt, welchen Stellenwert die ökologische Frage bei ihr hat, obwohl sie eigentlich über sehr weit gefasste Grundsatzbeschlüsse verfügt", sagte er SPIEGEL ONLINE.
Das schwache Stimmchen umweltpolitischer Belange in den Koalitionsverhandlungen hat auch andere altgediente SPD-Energiepolitiker auf den Plan gerufen. Sie ermahnten die Parteispitze per Brief, man dürfe den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie nicht bremsen. "Wir erwarten ein klares Eintreten für Langfristigkeit, Klima und Umwelt", schrieben sie.
Diese Hoffnung dürfte sich wohl nur bedingt erfüllen. Denn in die Koalitionsverhandlungen hat die SPD kaum Verfechter einer grüneren Energiezukunft entsandt. Zwar sitzt Hermann Scheers Tochter, die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer, in der Verhandlungsgruppe. Doch auf Unterstützung muss sie verzichten: SPD-Vize Ulrich Kelber, ein Befürworter erneuerbarer Energien, wollte nach eigener Aussage lieber die Verbraucherschutzgruppe leiten, anstatt im Energie-Team mitzumischen.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/...-defensive-a-930643.html |