„Der König ist tot, es lebe der König“
Er oder wir Ulrich Schumacher, Chef des Münchner Halbleiterkonzerns Infineon, hat mit seinen Eskapaden viele verprellt und wenig gewonnen — jetzt sind ihn seine Vorstandskollegen los. Von Nina Bovensiepen und Nikolaus Piper
Am Morgen danach sind alle in der Münchner Sankt-Martin-Straße paralysiert. Im Betriebsratsbüro am Sitz von Infineon wimmelt die Sekretärin Anrufer ab. Wer irgendwie wichtig ist, hat sein Handy abgeschaltet, hört die Mailbox nicht ab oder ruft aus anderen Gründen nicht zurück. Und Mails bleiben sowieso unbeantwortet. Es scheint, als müsse sich die Belegschaft erst einmal sammeln nach der spektakulären Demission ihres Chefs Ulrich Schumacher, die von vielen gewünscht, aber so abrupt von niemandem erwartet worden war.
Beruhigung tat not
Um halb acht Uhr morgens informieren die übrig gebliebenen Vorstände in einer Telefonkonferenz die Gemeinde der Analysten kurz und knapp, wie es jetzt weitergeht. Der Aktienkurs von Infineon war am Donnerstag gegen den Trend um 1,2 Prozent gefallen, da tat Beruhigung not. Ein paar Minuten später regt sich das Internet.
Um 7.53 Uhr schreibt "Fantomas" auf der Infineon-Seite der IG Metall: "Der König ist tot, es lebe der König. Oder überspitzt gesagt: Jetzt hat er bekommen, was er wollte. Minderleister sollen aus der Firma ausscheiden. Die Leute, die er mit seinem Führungsstil um den Arbeitsplatz gebracht hat, werden jubeln. .... Aus 5 to 1 ist 08/15 geworden."
5 to 1, sprich five to one, hieß der große Wurf, mit dem Ulrich Schumacher die Infineon Technologies AG in fünf Jahren an die Spitze der Halbleiterwelt katapultieren wollte. Aus der schlimmsten Krise in der Geschichte der Branche sollte der Konzern gestärkt hervorgehen. Ob das gelingt, weiß man heute noch weniger als vor ein paar Tagen. Nun, da das Unternehmen in einer Art Palastrevolution seinen Kopf verloren hat.
Rekonstruktion der Revolution
Wie diese Revolution ablief, lässt sich inzwischen rekonstruieren. Erst am Mittwoch war der Aufsichtsrat für den nächsten Tag zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen worden. Einige Teilnehmer hatten dabei einen klar definierten Plan: Schumacher muss weg, und zwar sofort.
Seine drei Vorstandskollegen, vor allem Finanzchef Peter Fischl und der für das operative Geschäft zuständige Andreas von Zitzewitz, waren den autokratischen Führungsstil Schumachers schon lange leid. Bisher hatte der Aufsichtsratsvorsitzende Max Dietrich Kley, so sagen Eingeweihte, Schumacher "mehr oder weniger loyal" gestützt.
Nun aber stellten ihm die anderen Vorstände, neben Fischl und von Zitzewitz auch Peter Bauer, ein Quasi-Ultimatum: Sie sähen keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: "Der oder wir". In der Situation schwenkte der Chef des Aufsichtsrats um. "Kley verlor den Mut", sagt einer, der die Beteiligten sehr gut kennt, aber natürlich seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Keine Hilfe von Siemens
Von Seiten des Großaktionärs und früheren Mutterkonzerns Siemens war kein Widerstand zu erwarten. Auch dort regte man sich über manche Eskapade Schumachers auf. Der Infineon-Chef selbst konnte wenig zu seiner Verteidigung tun. In der vergangenen Woche, als der Aufstand geplant wurde, war Schumacher im Urlaub gewesen. Wie das bei Palastrevolutionen eben so ist. Als er in die Sitzung ging war Schumacher wohl in letzter Konsequenz noch nicht klar, dass der Stab über ihn längst gebrochen war.
Auf der offiziellen Tagesordnung standen die Verlagerung weiterer Firmenteile und die strategische Neuausrichtung – Vorstandsangelegenheiten eben. Wichtiger war die implizite Tagesordnung, und auf der hatte sich viel angestaut. Ulrich Schumacher führte Infineon überwiegend im Alleingang.
Gereizt bis aufs Blut
Nicht nur Vorstandskollegen, auch Mitarbeiter, Arbeitnehmervertreter, kleine und große Aktionäre hat der 45-Jährige in den vergangenen fünf Jahren immer wieder bis aufs Blut gereizt, wenn er mit einer wilden Idee in der Öffentlichkeit vorpreschte. Zum Beispiel, als er die Autotechnik wegen der Arbeitskosten ins österreichische Villach und die Konzernzentrale wegen der Steuern nach Zürich verlagern wollte.
Die Beschäftigten versetzte er mit "Minderleisterprogrammen" in Aufruhr: Regelmäßig sollten zehn Prozent der schlechtesten Mitarbeiter definiert werden; diese bekamen eine Chance zur Besserung, fruchtete das nichts, sollten sie sich einen anderen Job suchen. So jedenfalls die Theorie, die aber nie so in die Praxis umgesetzt wurde, wie Schumacher sich das vorgestellt hatte — auch das ein typisches Problem des forschen Chefs.
2001 wurde er von der Branchenkrise kalt erwischt und musste 5000 Mitarbeiter entlassen. Das wirkte auch deshalb so brutal, weil er im Jahr zuvor großzügige Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte durchgesetzt hatte. Für Ärger auf der Chefetage sorgte auch, dass Schumacher um sich herum einen Zirkel von Vertrauten aufgebaut hatte.
Mit denen sprach er sich ab, andere blieben ausgeschlossen. Im so genannten Corporate Center, in dem Strategie, Personal, Investor Relations und Kommunikation angesiedelt sind, habe er die Posten nach und nach mit Getreuen besetzt, hier seien neue Stellen entstanden, während woanders gespart wurde. So die Klagen von Untergebenen. Im Unternehmen wurde über Schumachers "Stasi" gelästert, die zunehmend in das operative Geschäft hineinregiert habe. Es wäre also nur folgerichtig, wenn jetzt noch etliche Manager bei Infineon gefeuert würden.
Schumachers fixe Idee: Outsourcing In letzter Zeit stritt man sich vor allem über Outsourcing. Schumacher wollte weitere Teile der Produktion auslagern. Gegenargumente ignorierte er, sagen seine Gegner. In einer seiner ersten Aktionen hat der Rest-Vorstand unter dem Aufsichtsratschef Kley die Pläne für die Verlagerung von IT-Abteilungen nun gestoppt.
Außerdem beendete Finanzvorstand Fischl am Freitag gegenüber den Analysten endgültig die Diskussion um einen Umzug der Konzernzentrale nach Zürich: "Das Hauptquartier bleibt in Deutschland." Und das "Infineon Management Board" schrieb den Mitarbeitern: "Gerade in dieser unruhigen Zeit ist es besonders wichtig, dass wir alle einen kühlen Kopf bewahren und gemeinsam an einem Strang ziehen."
Nachfolger gesucht
Für Außenstehende ist derzeit nicht zu erkennen, wie es mit dem Unternehmen weiter geht. Vor allem: Wie bekommt Infineon einen neuen Chef? Als erster möglicher Kandidat gilt unter Kennern des Unternehmens Klaus Wucherer. Er ist im Siemens-Vorstand unter anderem für Prozesstechnik zuständig, sitzt außerdem im Infineon -Aufsichtsrat und versteht daher etwa vom Geschäft.
Aber würde er überhaupt wollen? Das Geschäft mit Chips ist zyklisch, der weltweite Konkurrenzdruck gnadenlos. Bei Halbleitern kommt es heute hauptsächlich auf Preise und Tempo an. Jeder Infineon-Chef wird also weiter Kosten drücken müssen und hat keine Chance, sich bei Mitarbeitern und der Öffentlichkeit beliebt zu machen. "Ich würde es mir lange überlegen, den Job zu übernehmen", sagt ein Siemensianer.
Auch das Problem der Verlagerungen ist nach dem Sturz Schumachers nicht vom Tisch, sondern nur verschoben. Das Infineon-Werk in Villach produziert um 20 Prozent billiger als der vergleichbare Betrieb in München – eine Logik, der sich kein Infineon-Vorstand entziehen kann. Mancher bei Infineon glaubt, dass sich das Outsourcing noch beschleunigen wird, wenn ein Manager ohne emotionalen Bezug zum Standort Deutschland an die Spitze kommt. "Gnade uns Gott, wenn wir einen Amerikaner kriegen", sagte einer am Freitag.
Das Drama bei Infineon lässt sich vermutlich nicht verstehen ohne die engen Beziehungen des Unternehmens zum ehemaligen Mutterkonzern. Siemens hält zwar nur noch rund 18 Prozent der Infineon-Aktien, aber der informelle Einfluss ist immer noch groß. Die wichtigsten Entscheidungsträger in der Sankt-Martin-Straße kommen von Siemens.
Schumacher, das Opfer?
Schumacher selbst, ein promovierter Elektrotechniker, begann 1986 seine berufliche Laufbahn bei Siemens. Er führte Infineon in die Eigenständigkeit und war, bei allem raubauzigen Getue, doch noch stark von der alten Siemenskultur geprägt. Zwar trat er bei der Börseneinführung im Rennfahrer-Dress auf – ein Marketing-Gag, den er später bitter bereute –, zwar machte er allen klar, dass ihn Kleiderordnungen und andere Kodizes nicht sonderlich interessieren, und doch erkannte er erst mit gefährlicher Verspätung, wie gnadenlos der Halbleitermarkt ist.
Zwischen Siemens und Infineon menschelte es auch gewaltig. Bekannt ist, dass sich Schumacher und Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger in herzlicher Abneigung verbunden waren, um es vorsichtig zu formulieren. Es waren Siemens-Kreise, die Schumachers Pläne zum Umzug des Konzernsitzes bekannt machten. Manche sagen heute: Siemens wollte einmal testen, wie so etwas in der Öffentlichkeit ankommt. "Die haben Schumacher ins Feuer geschickt", sagt jemand aus der Umgebung des Ex-Chefs.
Wenn andererseits nach einer Palastrevolution die Revolutionäre erklären, sie wollten die Strategie des Königs beibehalten, dann möchte man schon wissen, was denn der Sinn der Revolution war.
(SZ vom 27.3.2004)
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"der krug geht so lange zum brunnen bis er bricht" |