Mit mehr als 10.000 Mitarbeitern und Milliardenumsätzen gehört ElringKlinger zu den Schwergewichten der global aufgestellten Autozulieferer. Vorstandschef Stefan Wolf zieht im Interview eine Corona-Zwischenbilanz, spricht über seine Geschäfte mit Tesla und erklärt seine Batterie- und Wasserstoff-Strategien.
Herr Wolf, welche Erwartungen haben Sie an den in gut einer Woche anstehenden Autogipfel mit der Kanzlerin?
Ich hoffe, dass auf dem Autogipfel konkret besprochen wird, wie insbesondere den kleineren und mittelgroßen Unternehmen im Zuliefererbereich, die neben Corona auch tief im Transformationsprozess stecken, jetzt geholfen werden kann. Unser Ziel muss es sein, diesen Unternehmen eine Zukunftsperspektive zu geben – um damit auch so viele Arbeitsplätze wie möglich zu sichern.
Wie geht es ElringKlinger?
Uns geht es ganz gut. Wir hatten einen schwierigen April und einen schwierigen Mai, im Juni und Juli hat es wieder angezogen und wir waren auch beim Ertrag gut dabei, weil die Sparmaßnahmen wirken. Da wir eine hohe Liquidität und eine hohe Eigenkapitalquote haben, geht es uns im Vergleich zu vielen anderen in der Branche sehr ordentlich.
Aber der Auftragseingang hat sich halbiert.
Wir haben stark an der Kostenschraube gedreht und die Investitionen deutlich reduziert, sodass wir jetzt auf einem guten Weg sind.
Wo endet der Weg, wenn kaum noch investiert wird?
Wir investieren stark in die neuen Geschäftsfelder, also Brennstoffzelle und Batterietechnologie, und nicht mehr viel in die klassischen Geschäftsfelder, obwohl es noch lange Verbrennungsmotoren geben wird. Investitionen gehen häufig in Kapazitätserweiterungen, und die brauchen wir in den alten Geschäftsfeldern nicht mehr. Wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr nur rund 65 Millionen Fahrzeuge weltweit gebaut werden nach knapp 90 Millionen im vergangenen Jahr.
Mit alternativen Antrieben hat ElringKlinger im zweiten Quartal gerade mal sechs Millionen Umsatz erwirtschaftet...
Es gibt aber immer mehr Projekte und Entwicklungsaufträge, sodass wir in dem Bereich Batterien/Brennstoffzelle in den nächsten fünf Jahren deutlich mehr Umsatz erwarten.
Sind Sie zufrieden mit der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?
Im Prinzip schon. Im Pkw-Bereich ist der Einsatz von Wasserstoff in der Brennstoffzelle nicht so energieeffizient wie ein batterieelektrisches Fahrzeug, aber in der Gesamtschau ist es das deutlich umweltfreundlichere und leistungsfähigere System – auch wegen der größeren Reichweite und der möglichen Infrastruktur.
ElringKlinger bewirbt sich beim Bundeswirtschaftsministerium um Fördermittel in Rahmen der IPCEI-Programme zum Aufbau von Batterieproduktionen. Was haben Sie vor mit dem Geld?
Es geht um Batterietechnologie. Wir haben ein Batteriegehäuse entwickelt, mit dem wir den Asiaten Paroli bieten können. Und beim Thema Wasserstoff arbeiten wird am Stack, also dem Stapel aus Brennstoffzellen, in dem Wasserstoff in elektrische Energie umgewandelt wird. Wir haben die leistungsfähigsten Stacks und wollen den Vorsprung vor den Wettbewerbern mindestens halten und die Technologie verbessern.
Im Pkw-Markt dürfte die Brennstoffzelle frühestens in den 2030er Jahren eine Rolle spielen.
Das glaube ich nicht. Wir werden natürlich mit den schweren Nutzfahrzeugen einsteigen, weil man nie einen großen Lkw batterieelektrisch fahren kann. Die Batterie müsste so groß sein, dass es kaum noch Ladefläche gibt. Die Brennstoffzelle ist hier viel besser geeignet. Wenn wir alle Müllfahrzeuge in Deutschland mit Brennstoffzellen ausrüsten würden, hätten wir schon viel erreicht. Für die Luftqualität in den Städten und für den Klimaschutz, sofern grüner Wasserstoff eingesetzt wird.
Welche Zeiträume haben Sie im Blick?
Mitte des Jahrzehnts werden viele Lastwagen mit Brennstoffzelle ausgerüstet sein, weil die auch zur Erreichung der CO2-Ziele unverzichtbar ist. Und nach 2025 dürfte es große Pkw mit Brennstoffzelle geben, also etwa Vans oder SUV. Einen VW Polo oder Opel Corsa werden wir nie mit einer Brennstoffzelle antreiben, das ergibt keinen Sinn. In den nächsten 15 Jahren erwarte ich einen Dreiklang: Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, mit Brennstoffzelle und rein batterieelektrische Autos. Dazu kommt eine Vielzahl an Hybriden geben, die diese Antriebsarten kombinieren.
Was fahren Sie?
Als Dienstwagen eine S-Klasse von Mercedes. Und seit zwei Jahren einen Tesla X, weil Tesla ein Kunde von ElringKlinger ist.
Kommt ElringKlinger bei der neuen Tesla-Fabrik in Brandenburg auch ins Geschäft?
Wir führen derzeit Gespräche. In der Tesla-Fabrik in Fremont sind wir mit Karosserieleichtbauteilen und Türmodulen eingestiegen und haben dazu in Fremont ein Werk gebaut. Auch in Shanghai sind wir dabei, sodass es aus meiner Sicht logisch wäre, dass wir den Auftrag für Grünheide bekommen, da die Teile baugleich sind.
Wann wird das entschieden?
In den nächsten drei Monaten rechnen wir damit. Das bedeutet aber nicht, dass die Teile auch sofort vor Ort produziert werden. In der Tesla-Fabrik in Shanghai werden zum Beispiele Module verbaut, die von Fremont nach China transportiert werden. Das ist durchaus typisch für die Anlaufphase einer neuen Fabrik. Perspektivisch ist die Tesla-Strategie, alles zu lokalisieren und die Teile eben nicht um die Welt zu transportieren.
Einer Umfrage zufolge wollen 60 Prozent der deutschen Autozulieferer in den kommenden Monaten Personal abbauen. Wie dramatisch wird der Herbst?
Wir werden viel an Personalabbau sehen, vor allem in Unternehmen, die von einem oder zwei Kunden abhängen und hochspezialisiert sind. Bei uns im Unternehmen lassen wir beispielsweise vermehrt befristete Arbeitsverträge auslaufen. Wir haben auch weitere Arbeitsplätze sozialverträglich über Ruhestand und natürliche Fluktuation abgebaut.
Die Bundesregierung verlängert die Kurzarbeit bis Ende 2021. Wirkt das nicht als Instrument gegen einen massiven Personalabbau?
Es gibt Unternehmen, denen hilft das sehr, wenn dann irgendwann der Markt wieder anzieht. Aber es gibt auch Firmen, die strukturelle Probleme haben, und diese auch schon vor Corona hatten. Hier hilft die Kurzarbeit nicht. Oder noch schlimmer: Die Kurzarbeit würde in diesem Fall dazu beitragen, die Lösung des strukturellen Problems aufzuschieben.
Was halten Sie vom „Tarifvertrag Transformation“ bei ZF, der für 50000 Beschäftigte gilt: Nach der Kurzarbeit wird die Arbeitszeit mit einem Teillohnausgleich um 20 Prozent reduziert. Im Ergebnis werden die Kapazitäten schnell und sozialverträglich reduziert, und bis 2022 gibt es keine Kündigungen.
Das passt sicherlich auf das Unternehmen und auch bei anderen ist so etwas möglich, aber nicht bei allen. ZF wendet im Prinzip die tarifliche Kurzarbeit, die es bei uns in Baden-Württemberg gibt. Deshalb hat mich der Vorschlag von Jörg Hofmann zur Einführung einer Vier-Tage-Woche überrascht, weil der IG Metall-Vorsitzende aus Baden-Württemberg kommt und unsere Tarife kennt.
Es ist halt teuer und wird deshalb von vielen Unternehmen nicht genutzt. Dieses Modell erhöht die Arbeitskosten pro Stunde, und das können wir jetzt überhaupt nicht brauchen. Wir müssen wettbewerbsfähig werden gegenüber anderen Ländern, vor allem in Südosteuropa, die gerade sehr für sich werben und Wertschöpfung aus dem Westen anzulocken versuchen.
Bei Daimler und Bosch hat die IG Metall ähnliche Vereinbarungen wie bei ZF abgeschlossen.
Das sind Konzerne. Die große Masse in unserer Industrie sind kleine oder mittelgroße Betriebe, und die tun sich unheimlich schwer, mit der IG Metall solche Vereinbarungen zu treffen, die ihnen Luft geben. Und wenn man sich auf der betrieblichen Ebene auf Lösungen verständigt hat, dann kommt am Ende die Bezirksleitung der Gewerkschaft und legt ihr Veto ein. So ist die Realität, und das verbittert viele Firmen in diese Krise, die deutlich gravierender ist als 2009.
Es sieht doch gar nicht mehr so schlecht aus.
China läuft sehr gut. Unsere beiden Tochtergesellschaften liegen in diesem Jahr sogar über Plan. Nordamerika läuft auch noch gut, weil jetzt die großen Händlerparkplätze nach dem Lockdown im April/Mai wieder aufgefüllt werden. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass die deutsche Autoindustrie bereits 2019 in der Rezession war mit einem Minus von fünf Prozent. Dann kam Corona. Es wird noch lange dauern, bis wir wieder bei dem Niveau von 2018 sein werden.
Reicht das Konjunkturpaket oder muss die Regierung nachlegen?
Im Moment ist das mal ausreichend. Anfang 2021 kann es anders aussehen, wenn wir im Herbst oder Winter wieder einen Lockdown kriegen. Interview: Alfons Frese
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