Ein jahrzehntealtes Präparat verlängert offenbar das Leben von Brustkrebspatientinnen Ein Waschmittelzusatz hilft gegen Krebs Von Anna Trömel Ein Entkalkungsmittel macht Karriere: Das ursprünglich als Waschmittelzusatz entwickelte Clodronat hat gute Chancen, als erstes Mittel zur Vermeidung von Tochtergeschwülsten (Metastasen) in den Knochen von Brustkrebspatientinnen zugelassen zu werden. Die unter dem Handelsnamen Bonefos vermarktete Substanz senkte in klinischen Studien nicht nur das Risiko der Metastasenbildung, sondern auch die Sterblichkeit erheblich.
DÜSSELDORF. In der vergangenen Woche sagte die US-Zulassungsbehörde FDA zu, über die erweiterte Anwendung auf dem Wege des beschleunigten Zulassungsverfahrens des Berliner Pharmakonzerns Schering zu entscheiden. Diese seltene Sonderregelung gewährt die Behörde nur, wenn ein Medikament besonders nötig gebraucht wird.
Die schon im nächsten halben Jahr erwartete Zulassung würde den Herstellern ein riesiges Umsatzpotenzial eröffnen. Bislang Präparat nur bei einem erhöhten Kalziumspiegel (Hyperkalzämie) verordnet werden, oder wenn sich bereits Knochenmetastasen gebildet haben. Das passiert nach Einschätzung des Gynäkologie-Professors Ingo Diel nur etwa jeder fünften Brustkrebs-Patientin.
Das Okay der FDA würde die Zahl der potenziellen Anwenderinnen also mit einem Schlag verfünffachen. In den USA müsste Schering die Umsätze dabei vorerst noch nicht einmal mit den Herstellern preiswerter Nachahmerpräparate (Generika) teilen. Denn die US-Gesetze würden den Berlinern für die zusätzliche Anwendung eine fünfjährige Marktexklusivität gewähren.
Eine höchst lukrative Klausel, denn in den Vereinigten Staaten erkranken derzeit jedes Jahr etwa 240 000 Frauen an Brustkrebs. Scherings Bonefos wäre das einzige Präparat, das verordnet werden dürfte, um sie vor der Bildung von Knochenmetastasen zu schützen. Bislang vermarktet Schering den Wirkstoff in den USA überhaupt nicht. In Europa ist das Präparat überraschend teuer, obwohl es schon längst den Patentschutz verloren hat.
In Deutschland zum Beispiel verlangt Schering für die Packung à 120 Filmtabletten in einer Dosierung von 800 mg knapp 700 Euro. In klinischen Studien wurde die Sterblichkeit mit einer Tagesdosis von 1600 mg verringert. In dieser Dosierung reicht die Packung also für zwei Monate. Die generischen Versionen kosten gerade mal 100 Euro weniger. „Ich verstehe nicht, warum ein so alter Wirkstoff so teuer sein muss“, sagt Diel, der die vorbeugende Wirkung des Clodronats bereits Anfang der neunziger Jahren an der Uni-Klinik Heidelberg erforschte. Die Tatsache, dass die Substanz erstmals für die Konsumgüterindustrie hergestellt wurde, spreche nicht gerade für hohe Herstellkosten, findet der Spezialist für Knochenmetastasen, der inzwischen in Mannheim als niedergelassener Gynäkologe tätig ist.
Beim Berliner Schering-Konzern war gestern niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Der Generikahersteller Hexal begründet den Preis mit dem geringeren Absatz des Produktes. Das Unternehmen verkauft derzeit nach eigenen Angaben etwa 200 Packungen im Monat und ist damit der größte Anbieter der generischen Variante. Sollte sich die Zahl der Anwenderinnen durch eine neue Zulassung erhöhen, seien drastische Preissenkungen möglich.
Ende der sechziger Jahre begann der Schweizer Herbert Fleisch, die Wirkung der Bisphosphonate in der Medizin zu erforschen. Die Wirkstoffklasse erwies sich nicht nur als geeignet, um Knochenschwund zu bekämpfen, sondern half auch gegen Knochenmetastasen. Da hierfür hohe Dosierungen notwendig sind, war das nebenwirkungsarme Clodronat bald das Mittel der Wahl.
Diel und andere Wissenschaftler vermuten, dass der Wirkstoff die Metastasenbildung in zweifacher Weise bekämpft. Clodronat lagert sich am Knochen an und wirkt von dort aus wahrscheinlich toxisch auf die Tumorzellen. Darüber hinaus beinflusst Clodronat aber offenbar auch indirekt den Knochenstoffwechsel, indem es die für den Knochenabbau zuständigen Zellen hemmt. So wird die Freisetzung von Wachstumsfaktoren aus dem Knochen unterdrückt.
In einer Studie mit 300 Teilnehmerinnen konnte Diel nachweisen, dass die regelmäßige Einnahme von Clodronat die Sterblichkeit bei Brustkrebspatientinnen senkt. Den selben Zusammenhang stellte auch der britische Mediziner Trevor Powles fest, der eine Studie mit über 1 000 Teilnehmerinnen leitete, auf den sich Scherings Zulassungsantrag stützt.
In der Praxis wird Clodronat schon von vielen Ärzten vorbeugend verordnet. Schon bald nachdem Diel seine Ergebnisse 1998 im angesehenen „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte, begannen informierte Patientinnen, diese Therapie einzufordern. In diversen Patientinnenforen im Internet kann man besichtigen, wie Hinweise auf Ärzte herumgereicht werden, die das Präparat in dieser Off-Label-Anwendung verordnen.
Diese Situation ist für den Arzt in doppelter Hinsicht riskant. Einerseits droht die Regressforderung durch die Kassen. Verweigere der Arzt aber das Rezept, könne ihn theoretisch die Patientin wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen, behauptet Diel. Wie viele Kollegen hofft er deshalb, dass Schering nicht nur in den USA erfolgreich ist, sondern auch bald die Ankündigung wahr macht, auch in Europa die Zulassung zu beantragen. |