Bundesrechnungshof deckt Verschwendung auf
Schein-Arbeitslose kassieren Milliarden
Von Heinz Schmitz, Handelsblatt
Scheinarbeitslose kassieren nach einer Untersuchung des Bundesrechnungshofs unberechtigt Milliarden Euro Unterstützungsgelder. Der Grund: Jeder fünfte in der Statistik von Arbeitsamts-Präsident Florian Gerster geführte Arbeitslose erhält Sozialleistungen, obwohl er „nicht verfügbar und damit nicht arbeitslos“ ist, heißt es in der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt.
BERLIN. Die Union fordert Konsequenzen: „Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) muss dafür sorgen, dass der rechtswidrige Zustand beendet wird und ungerechtfertigte Sozialleistungen eingedämmt werden“, sagte der CSU- Arbeitsmarktexperte Johannes Singhammer dem Handelsblatt. So könnten 7 Mrd. Euro im Jahr gespart werden. Dies sei „ein wichtiger Baustein“, um den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 % auf 5 % zu senken, sagte er.
Clement macht die Arbeitsverwaltung für die Missstände verantwortlich. „Zuständig für die Vermittlung von Arbeitslosen ist die Bundesanstalt für Arbeit. Da kann der Bundesminister nicht viel machen“, sagte ein Sprecher Clements dem Handelsblatt. Er verwies aber darauf, dass die Bundesregierung darüber diskutiere, Leistungsansprüche von Arbeitslosen einzudämmen.
Der Bundesrechnungshof ermittelte mehrere Gruppen von Scheinarbeitslosen: Heranwachsende, die sich arbeitslos melden, damit ihre Eltern weiterhin Kindergeld bekommen. Erziehende Mütter, die sich beim Arbeitsamt registrieren lassen, um ihre Rentenansprüche zu sichern. Sozialhilfeempfänger, die vom Sozialamt zur Arbeitsvermittlung zum Arbeitsamt geschickt werden. „Sozialplanarbeitslose“, die bis zum Eintritt in die Rente Arbeitslosengeld beziehen. Weder die Betroffenen noch die Arbeitsämter bemühten sich bei diesen Personen intensiv um einen Job, stellten die Rechnungsprüfer fest. Nach dem Gesetz sind aber nur Personen arbeitslos, die eine „Beschäftigung suchen und dabei den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung stehen“.
Der Rechnungshof ermittelte, dass „etwa 20,7 % aller derzeit arbeitslos Gemeldeten“, also knapp eine Million, im Sinne des Gesetzes „nicht arbeitslos“ sind und dennoch Sozialleistungen in Anspruch nehmen, die Arbeitslosigkeit voraussetzen. Die Rechnungsprüfer fordern ebenso wie die Union Konsequenzen: Die Arbeitsämter müssten intensiver prüfen, ob die gemeldeten Arbeitslosen überhaupt einen Job antreten wollten, um „dem unberechtigten Erwerb von Ansprüchen auf Sozialleistungen entgegenzutreten“, heißt es in dem Bericht. Denkbar sei auch „eine zeitliche Beschränkung oder betragsmäßige Reduzierung der Ansprüche“.
Gerster leugnet in einer dem Handelsblatt vorliegenden vertraulichen Stellungnahme die aufgedeckten Missstände nicht. Er bedauert aber, dass es wegen der geringen Zahl der Stellenangebote und von „Eignungseinschränkungen“ vieler Bewerber kaum Raum für die Vermittlung der Betroffenen gebe.
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HANDELSBLATT, Montag, 28. April 2003, 19:02 Uhr |