Geburtstag ohne Jubilar
10. März 2007 Der Neue Markt hatte ein kurzes und turbulentes Leben. Heute wäre er zehn Jahre alt geworden. Am 10. März 1997 hob das damalige Vorstandsmitglied der Deutschen Börse Reto Francioni das Börsensegment für kleine und innovative Unternehmen aus der Taufe. Sechs Jahre und etliche Schlagzeilen später löste die Deutsche Börse das Segment auf und schuf den Tec-Dax.
Was im Jahr 1997 als gute Idee daherkam, entpuppte sich bald als Albtraum für viele Beteiligte. Die Deutsche Börse hatte ungewollt eine Zockerbude eingerichtet. Am Anfang gewannen fast alle. Es kamen Unternehmen an die Börse, die zwar noch keine Gewinne erwirtschafteten, aber Zukunftsvisionen hatten. Einige wenige gläubige Aktienkäufer reichten aus, um die Kurse steigen zu lassen.
Vermögen auch mit kleinen Einsätzen möglich
Dies wiederum lockte andere Käufer an. Eine Spirale setzte sich in Gang, die eine Aktie wie Intershop von 100 auf 1600 Euro trieb, Mobilcom stiegen von 4 auf mehr als 200 Euro, und ungeschlagen sind die Aktien des Medienunternehmens EM.TV der Brüder Thomas und Florian Haffa, die sich von umgerechnet 36 Cent um mehr als 30.000 Prozent auf 120 Euro erhöhten.
Selbst mit kleinen Einsätzen konnten Anleger ein Vermögen erwirtschaften. Neue Börsengänge kamen einer Lotterie gleich. Aktien wurden ohne Kenntnis der Unternehmen gezeichnet, die vielfach überzeichneten Aktien dann oft verlost. Die glücklichen Gewinner konnten sich am ersten Börsenhandelstag über Verdopplungen und Verdreifachungen ihres eingesetzten Kapitals freuen. Bis zu 350 Unternehmen notierten einst am Neuen Markt. Der Nemax 50 stieg von weniger als 1000 Punkten auf fast 10.000 Punkte.
So schnell sie stiegen, so schnell fielen sie auch
Die Stimmung wurde getrübt, als sich die hochfliegenden Pläne einiger Unternehmen als Luftschlösser herausstellten. Die Gewinnschwellen wurden nicht erreicht, prognostizierte Umsätze nicht generiert, die Liquidität wurde knapp. Einem Unternehmen wie Comroad konnte nachgewiesen werden, 96 Prozent seiner Umsätze erfunden zu haben. Die Aufzählung aller Betrügereien und Prozesse würde den Rahmen sprengen.
So schnell wie die Kurse bis zum März 2000 gestiegen waren, so schnell fielen sie auch wieder. Im Oktober 2001 traten die Delisting-Regeln für „Penny-Stocks“ der Deutschen Börse in Kraft. Nötig geworden waren die neuen Regeln, weil viele Unternehmen kaum noch einen Börsenwert aufwiesen. Viele Kurse lagen unterhalb von einem Euro. Der Auswahlindex Nemax 50 fiel von seinem Hoch um 97 Prozent bis auf gut 300 Punkte. 97 Prozent bildet dabei den durchschnittlichen Kursrückgang und keinen Ausreißer.
Neuer Markt? Hauptsache man war dabei
Betrüblich war das Geschehen für jene Anleger, die zunächst wenig von der Zockerei hielten, dann aber angesichts täglicher Jubelberichte in den Medien über steigende Kurse, frisch gebackene Millionäre und visionäre Geschäftsmodelle doch nicht nur als Zuschauer am Rande dabei sein wollten. Sie stiegen zu Höchstkursen ein und verloren fast alles. Aber auch Anleger der ersten Stunde konnten das Depot nicht voll genug bekommen und kauften nicht selten kreditfinanziert Aktien nach.
An der Börse selbst herrschten allgemeine Betroffenheit und beschämtes Schweigen. Die Analysten hatten munter die Kursziele in stets neue Höhen gehoben, später mussten sie die Kursziele häufig auf null senken. Die Banken hatten eifrig Börsenkandidaten rekrutiert, Hauptsache, man war dabei. Und auch die Medien müssen sich ohne Ausnahme den Vorwurf gefallen lassen, nicht immer mit der nötigen kritischen Distanz vorgegangen zu sein.
Hohe Gewinne hier und empfindliche Verluste da
Dabei hatte es bereits vor der Gründung des Marktsegmentes warnende Einschätzungen gegeben. So hieß es in dieser Zeitung am 21. Januar 1997: „Für den Privatanleger ist das neue Handelssegment nach Ansicht von Experten nicht geeignet. Aktien von jungen und innovativen Unternehmen können zu extremen Kursschwankungen neigen, auch das Konkursrisiko ist größer. Im Neuen Markt locken zwar hohe Gewinne, es lauern aber auch empfindliche Verluste.“
Die Deutsche Börse hat den Exzessen ein Ende bereitet. Durch zahlreiche Eskapaden beschädigt, hat sie ihr eigentlich hochreguliertes Marktsegment im Jahr 2003 eingestellt. Neu geschaffen hat sie dafür den Technologieindex Tec-Dax. Hier finden sich noch einige der Neue-Markt-Werte wieder. Viele andere sind ganz von der Börse verschwunden oder dümpeln unbeachtet von der Öffentlichkeit außerhalb von Indizes vor sich hin.
United Internet als positives Gegenbeispiel
Es werden aber bei weitem nicht alle einstigen Börsenneulinge als Kapitalvernichter in die Geschichte eingehen. United Internet dient als positives Gegenbeispiel. Am 23. März 1998 hat das Internetunternehmen aus Montabaur im Westerwald seine Börsenkarriere am Neuen Markt gestartet. Für umgerechnet einen Euro war eine Aktie damals zu haben.
Ihr Wert stieg in der allgemeinen Euphorie bis auf fast 13 Euro, sank in der Krise auf 40 Cent, erreichte aber in diesem Jahr mit fast 16 Euro ein neues Allzeithoch. Ralph Dommermuth hat mit seinen Marken GMX, Web.de und 1&1 ein ertragsstarkes Unternehmen aufgebaut. Es ist nicht das einzige im Tec-Dax.
http://www.faz.net/s/...85850B329F9618ECBA~ATpl~Ecommon~Scontent.html |