Das Stadtzürcher Stimmvolk muss entscheiden, ob die seit 1994 praktizierte ärztlich kontrollierte Heroinabgabe unbefristet weitergeführt werden soll. Hauptziel des Programms ist eine Verbesserung des geistigen, körperlichen und sozialen Zustands der Süchtigen. Die jährlich vom Gemeinderat zu genehmigenden Nettokosten der Heroinabgabe betragen knapp eine Million Franken. Die SVP bekämpft die Vorlage als einzige namhafte Partei, da sie das Ziel der Abstinenz vernachlässigt sieht.
Keine offene Drogenszene mehr wie am Letten Der Stadtrat und eine grosse Mehrheit des Gemeinderats empfehlen, die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe an Schwersüchtige als Gemeindeaufgabe zu verankern. Sie ist ein unerlässlicher Bestandteil einer pragmatischen und ausgewogenen Drogenpolitik, die es Zürich ermöglicht hat, das Elend der offenen Drogenszenen hinter sich zu lassen.
Anfang der neunziger Jahre schwankte die Zürcher Drogenpolitik ohne Erfolg zwischen Laisser- faire und Repression. Das Drogenelend und die Verwahrlosung der Süchtigen waren unbeschreiblich, die Polizei lieferte sich mit den Drogenabhängigen ein frustrierendes Katz-und-Maus- Spiel, die Kriminalität, der Drogenstrich und Aids breiteten sich drastisch aus, und ganze Quartiere drohten zu verslumen. In dieser Notsituation entstand die Einsicht, dass dem Drogenphänomen nur durch eine ausgewogene Kombination von Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression (Vier-Säulen-Politik) erfolgreich begegnet werden kann. Polizeiliche Interventionen führen erst dann zu einer Stabilisierung, wenn sie durch medizinische und soziale Massnahmen flankiert werden. Dank dieser Einsicht konnten beachtliche Erfolge erzielt werden: Reduktion der Anzahl Drogentote, Bekämpfung der suchtbedingten Kriminalität und Prostitution, Eindämmung der Verbreitung von HIV/Aids und Hepatitis, Verbesserung der urbanen Lebensqualität.
Für eine kleine Gruppe von Schwersüchtigen stellt die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe einen unerlässlichen Bestandteil dieser erfolgreichen Politik dar. Für sie ist die heroingestützte Behandlung die letzte Option vor der Beschaffungskriminalität, der Verelendung und dem Drogentod. Entgegen der Polemik der Gegnerschaft, die diesen therapeutischen Ansatz immer noch als staatliches Heroin für alle hochstilisiert, handelt es sich um ein Angebot für wenige Süchtige: In der ganzen Schweiz werden nur 1260 Menschen zur ärztlich kontrollierten Heroinabgabe zugelassen - ungefähr 4 Prozent aller Opiatabhängigen. In der Stadt Zürich sind es deren 260. Es bestehen keine Pläne, diese Quoten zu erhöhen. Die in die städtischen Polikliniken aufgenommenen Patienten sind im Schnitt 36 Jahre alt, seit 14 Jahren abhängig und haben sich bereits sechsmal erfolglos anderen Therapien unterzogen. Angesichts dieser Ausgangslage wäre es vermessen, den Erfolg der ärztlich kontrollierten Heroinabgabe allein anhand der erreichten Abstinenz zu beurteilen. Aber immerhin haben viele eine abstinenzorientierte Therapie in Angriff genommen, und 16 Prozent der bisher behandelten Menschen konsumieren heute keine harten Drogen mehr. Der von den Gegnern geforderte Zwangsentzug würde lediglich zum Rückfall oder gar zu gefährlichen Überdosierungen führen.
Nachdem die Stimmberechtigten die heroingestützte Behandlung bereits mehrmals klar befürwortet haben, geht es am 26. September darum, diese als Bestandteil der erfolgreichen, ausgewogenen Vier-Säulen-Politik zu bestätigen. Das ist auch ein wichtiges Signal für die ganze Schweiz.
Rund zehn Jahre ist es her, dass auf Bundesebene ein Versuch von sogenannten heroingestützten Behandlungen von drogensüchtigen Menschen bewilligt wurde. Die Stadt Zürich machte von Beginn weg mit. In der entsprechenden Verordnung sind die Ziele der Drogenabgabe schon im Art. 1 geregelt. Das angestrebte Primärziel - die Abstinenz des Individuums - ist kaum erreicht worden. Nur wenige Süchtige haben den dauerhaften Ausstieg geschafft: etwa 15 Prozent. Zudem nehmen rund 75 Prozent der Versuchspersonen neben dem ärztlich abgegebenen Heroin andere Drogen wie Kokain. Diese Substanzen besorgen sie sich illegal auf der Gasse.
Wer behauptet, es gebe wegen der Heroinabgabe in Zürich keine Drogenszenen oder keine Drogenprobleme mehr, verkennt die Realität. Wer sagt, dass es den Süchtigen besser gehe, der missachtet die Ziele der Abgabeversuche. Die Stadt Zürich ist sogar vom Primärziel abgewichen. Dies ist eine Kapitulation vor der Realität. In Inseraten vor der letzten Heroinabstimmung in der Stadt Zürich hiess es von der befürwortenden Seite, dass man unbedingt Ja stimmen sollte, damit «nie mehr eine offene Drogenszene entsteht».
Dieses Versprechen hat sich als illusorisch erwiesen. Dass das Drogenproblem mit dem Vier- Säulen-Modell nicht auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen ist, zeigen noch weitere Fakten: Für die Bevölkerung steht die Drogensituation in der Stadt weit vorne auf der Problem- Rangliste. Zweifellos hat diese Tatsache die Mehrheit des Nationalrats dazu bewogen, nicht auf die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes einzutreten. Man muss sich fragen, was neben der Heroinabgabe sonst noch in den Köpfen der Stadtzürcher Vorsteherin des Sozialdepartements und ihrer Mitarbeiter herumgeistert. Heute ist es Heroin, morgen Kokain und übermorgen LSD, das man den Leuten staatlich abgibt. Was soll ein junger Mensch denken, wenn der gleiche Staat, der ihm sagt, Heroin sei gefährlich und illegal, diese Droge abgibt? Für die SVP ist eine sogenannt betäubungsmittelgestützte Behandlung von drogensüchtigen Menschen der falsche Weg.
Das Einbetten in eine verheerende Drogensucht kann nie eine Hilfe für Süchtige sein. Damit wählt man den Weg des geringsten Widerstands. Natürlich geht es einem Menschen, der stark drogenabhängig ist, allenfalls etwas besser, wenn man ihm das Rauschgift gibt. Aber gesund ist er deswegen nicht. Gesund ist er erst, wenn es ihm ohne Drogen gut geht. Das ist ein langer, teurer und beharrlicher Weg. Ein Entzug von Drogen ist für den Süchtigen der Weg durch die Hölle. Natürlich wählt er diesen nicht freiwillig, wenn es ihm mit dem Heroin vom Staat - so meint er wenigstens - besser geht. Wir sind bereit, diesen Weg mit einem drogenkranken Menschen zu gehen und dafür die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Am Ende des Wegs steht wieder ein gesunder Mensch - das muss das Ziel einer vernünftigen Drogenpolitik sein. Die staatliche Verabreichung von Suchtstoffen jeglicher Art hintertreibt sämtliche Therapieanstrengungen.
Die SVP ist davon überzeugt, dass die Drei- Säulen-Drogen-Politik - eine gute Prävention, eine konsequente Repression und eine umfangreiche Therapie - der einzig richtige Weg ist.
Die Position der NZZ Die seit der Lettenschliessung 1994 in der Stadt Zürich verfolgte Vier-Säulen-Strategie in der Drogenpolitik mit Prävention, Repression, Überlebenshilfe und Therapie hat sich insgesamt bewährt. Auch wenn die ärztlich verordnete Heroinabgabe dem heutzutage verbreiteten Mischkonsum keine Rechnung trägt, ist sie nach wie vor ein zentrales Instrument, um die Schwerstabhängigen von der Strasse fernzuhalten. Die völlige Abstinenz, wie sie die SVP als Ziel formuliert, ist eine Illusion. Vielmehr geht es darum, Schwerstsüchtigen, die mehrere gescheiterte Therapien hinter sich haben, ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Ihr Lebensinhalt soll nicht aus der Suche nach dem Gift bestehen, das sie auf der Gasse beschaffen müssten. Die offene Drogenszene gehört in Zürich weitgehend dank der Überlebenshilfe der Vergangenheit an - daran soll sich nichts ändern. Die NZZ-Redaktion empfiehlt, die Vorlage zur unbefristeten Weiterführung der ärztlich kontrollierten Heroinabgabe anzunehmen. |