SPIEGEL ONLINE - 06. November 2006, 12:58 URL: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,446736,00.html
INTERNATIONALE PRESSESCHAU
"Nicht einmal Saddam Hussein hat die Todesstrafe verdient"
Tod durch Erhängen lautet das Urteil gegen Saddam Hussein. Vor allem in Europa glauben viele Kommentatoren, dass eine lebenslange Haft für den irakischen Ex-Diktator das eindrucksvollere Signal auf dem Weg des Iraks zur Rechtsstaatlichkeit wäre.
Hamburg - Die großen US-Zeitungen weisen auf ihren Meinungsseiten darauf hin, dass der Prozess gegen Saddam Hussein zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd westlichen Standards entsprochen habe. "Eine beispielhafte Übung in Rechtsstaatlichkeit" hätte der Prozess werden sollen, schreibt die "New York Times", "mit dem Ziel, Saddam Hussein zur Verantwortung zu ziehen, aber genauso, eine auf unbarmherzige Art und Weise geteilte Nation zu heilen und zu erziehen."
Die nun ausgesprochene Todesstrafe werde diesen Zielen nicht gerecht. "Von Anfang an waren die nun vorherrschenden Schiiten und Kurden entschlossen, den Prozess und die Strafe gegen Saddam Hussein zu nutzen, um ihre politischen Ziele voranzutreiben (...) Erwartungsgemäß versuchte Saddam Hussein wiederholt, das Gericht zu verspotten. Schlimmer war jedoch, dass mächtige Politiker immer wieder versuchten, den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen, dass Richter nicht unparteiisch arbeiten konnten und dass Verteidigern notwendige Sicherheitsmaßnahmen und Dokumente verweigert wurden."
Auch der Kommentator der "Washington Post" konstatiert, dass der neunmonatige Prozess nicht "das Modell von Fairness" gewesen sei, "das die Bush-Regierung und viele Iraker sich erhofft hatten". "Nichtsdestotrotz kann es keinen Zweifel daran geben, dass Gerechtigkeit zuteil wurde in einem Prozess gegen einen Tyrannen, der nie zögerte, die Ermordung Zehntausender Iraker zu befehlen. (...) Gestern feierten die Schiiten in Bagdad zurecht die Verurteilung eines Mannes, der wahllos Massaker gegen ihre Glaubensbrüder ausführen ließ. Doch schiitische Milizen, einige von ihnen im Gewand der Regierungstruppen, entführen, foltern und ermorden nun ihrerseits Dutzende Sunniten. Die Sunniten im Irak und in den benachbarten arabischen Ländern werden in dem Urteilsspruch statt einer gerechten Strafe wohl eher einen Racheakt der Schiitisch-geführten Regierung oder ein Bauernopfer der Bush-Administration kurz vor den US-Wahlen erkennen."
In vielen europäischen Blättern wird darüber diskutiert, ob die Todesstrafe im Falle Saddams angemessen ist. "Und was passiert, wenn alle juristischen Instanzen beendet sind?" fragt heute die britische Tageszeitung "The Times". "Das ist ein Thema, das vor allem die Iraker und nicht die Außenstehenden betrifft. Die Todesstrafe ist in ganz Westeuropa abgeschafft. Falls sie vollstreckt wird, würde dies verständlicherweise Abscheu auslösen - selbst wenn die betroffene Person Saddam ist. Dagegen hat der Gedanke, Saddam bis zum Ende seiner Tage im Gefängnis zu behalten, viel für sich - eine Person, die sich einem Volk so aufgezwängt hat. Dies wäre ein besseres Signal für einen neuen Irak als eine Hinrichtung."
"The Independent" dagegen schreibt: "Wenn irgendein gestürzter Staatschef die Todesstrafe verdient, dann Saddam. Selbst die entschiedensten Kritiker der Invasion und der Besetzung des Iraks müssen zugeben, dass die irakische Justiz das Recht hatte, ihm den Prozess zu machen - auch wenn ein internationales Gericht den Fall vermutlich besser geregelt hätte. Und, was das Urteil betrifft: Alles andere als ein Schuldspruch wäre eine Beleidigung gegenüber den unzähligen getöteten Kurden, Schiiten und anderen gewesen."
Die spanische Tageszeitung "El Mundo" ist anderer Meinung:"Nicht einmal ein Saddam Hussein hat die Todesstrafe verdient. Er ist ein Mörder, der wegen seiner Verbrechen lebenslang hinter Gittern gehört. Aber nichts rechtfertigt es, ihm das Leben zu nehmen. Mit einer Vollstreckung der Todesstrafe ließe man zudem eine exzellente Gelegenheit ungenutzt zu beweisen, dass im Irak eine neue Ordnung entsteht, die besser ist als die vor der Invasion. Das Urteil ist die Krönung eines Prozesses, der von Anfang an unkorrekt war. (...) Das Gericht konnte sich auch nie vom Verdacht befreien, dass es politischem Druck unterlag und das Urteil schon vorher feststand."
Das sieht die römische "La Repubblica" ähnlich: "Für George W. Bush ist der irakische Tyrann die einzige Trophäe eines unglücklichen Krieges, die er vorweisen kann. Und die Todesstrafe für den Auftraggeber und Ausführer so vieler Massaker durch das Sondertribunal in Bagdad war schon im Vorfeld sicher. (...) Auch wer - wie unser Land - aus Prinzip gegen die Todesstrafe ist, hätte es sonderbar, ja überraschend gefunden, wenn das Urteil weniger drastisch ausgefallen wäre, in einem Land, wo das Blut - von meist Unschuldigen - täglich pünktlicher fließt als das Trinkwasser und wo man im Gefängnis sicherer ist, als auf der Straße."
Die liberale polnische Zeitung "Gazeta Wyborcza" hält dem Irak zu Gute, "nach bestem Vermögen" geurteilt zu haben. "Man kann dem Tribunal Fehler unterstellen, aber den Prozess und seine Rechtskräftigkeit muss man akzeptieren. Selbst wenn nur ein Zehntel der Vorwürfe zutrifft, verdiente Saddam die höchste im irakischen Gesetz vorgesehene Strafe. Das ist der Tod durch den Strang. Und wieder - werden europäische Standards angewendet - lässt sich dieses Urteil verurteilen. (...) Es ist leicht, die Todesstrafe prinzipiell abzulehnen, wenn man in einem ruhigen und relativ rechtsstaatlichen Land in Europa im 21. Jahrhundert vor dem Fernseher sitzt. Leider ist Bagdad eine andere Welt und eine völlig andere Epoche."
Der französische "Le Figaro" glaubt nicht, dass der Prozess dazu beigetragen hat, die Iraker miteinander auszusöhnen, "weil er seine Erbsünde nie loswurde: Dass er nämlich von - und damit teilweise für - eine Besatzungsmacht organisiert wurde. Um zumindest als unparteiisch zu erscheinen, hätte das Weiße Haus die Verkündung des Urteils auf einen Zeitpunkt nach den Kongresswahlen vom Mittwoch verlegen müssen, denn bei diesen Wahlen kann es nur den Republikanern zugute kommen. (...) Es ist schade, dass dieses Urteil den Eindruck erwecken kann, dass es nachträglich eine unter falschen Vorwänden unternommene militärische Intervention rechtfertigen soll. Dabei sollte es - nach 24 Jahren Diktatur - vor allem ein Akt zur Schaffung eines Rechtsstaates sein."
phw/dpa
...da frag ich mich jetzt:
Warum und nach welchem "ordentlichen" Verfahren wurden eigentlich seinerzeit Ceaucescu und seine Madame erschossen ...??
MfG kiiwii |