Ein neues AKW kostet rund 8 Milliarden Von Martin Läubli. Aktualisiert am 21.01.2011 Artikel als E-Mail versenden Empfänger (E-Mail)* Absender (E-mail)* Schliessen Deutsche Forscher glauben wegen der hohen Sicherheitsanforderungen nicht mehr an billigen Atomstrom. 
Kostspielige Umsetzung: Wird aus dem Modell des neuen Kernkraftwerks Mühleberg Realität, dürfte das rund 8 Milliarden kosten. Bild: Keystone 25 Jahre sind seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vergangen. In der Schweiz scheint der Unfall Geschichte zu sein, der öffentliche Aufschrei gegen Atomenergie ist Erinnerung. Der Schweizer Kernenergiestrom fliesst seit Jahrzehnten ohne grosse Zwischenfälle. Doch heute, wenige Wochen vor der Berner Volksabstimmung über die Zukunft der Atomkraft im Kanton, steht die Frage wie einst im Zentrum: Wie sicher ist ein Atomkraftwerk? «Das Gefährdungspotenzial ist gross», betont der ehemalige Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi), Ulrich Schmocker, in einem Interview im «Ensi-Magazin». Man müsse alles tun, damit die Radioaktivität eingeschlossen bleibe. Der schwere Reaktorunfall in Tschernobyl hat laut Schmocker zu einem Wandel im Sicherheitsdenken geführt: «Die Nuklearindustrie wusste genau, dass sie ein zweites Tschernobyl nicht überleben würde.» Riesiger Aufwand Allerdings ist der Aufwand allein für die Sicherheit, die letztlich nichts mit der eigentlichen Stromproduktion zu tun hat, immens. Die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke haben viel investiert, um ihre in die Jahre gekommenen Anlagen auf den neusten technischen Stand zu bringen. Die Nachrüstung kostete allein für das älteste Kernkraftwerk Beznau insgesamt 1,5 Milliarden Franken. Der finanzielle Aufwand entspricht gemäss dem Schweizer Stromversorger Axpo etwa der dreifachen Summe der Erstinvestition. Heute könne rein rechnerisch eine Schädigung der Brennelemente, im schlimmsten Fall eine Kernschmelze alle 100'000 Jahre eintreten, sagt Michael Prasser, Leiter des Instituts für Energietechnik an der ETH Zürich. Und: «Das ist ein Wert, den die Internationale Atomenergiebehörde auch für Neubauanlagen fordert.» Die umfassende Nachrüstung hat das Risiko zu einem Restrisiko gemacht. Die ersten Sicherheitsanalysen Ende der 1960er-Jahre gingen noch von einer Wahrscheinlichkeit von 1000 bis 10'000 Jahren aus. «Das wurde damals als ein zu hohes Risiko empfunden», sagt Prasser. Worst Case: Kernschmelze Erstes Gebot für Betreiber von Atomkraftwerken ist es, eine Überhitzung des Kernreaktors und den Austritt radioaktiver Stoffe in die Umgebung zu verhindern. Das heisst zum Beispiel, Notkühlungspumpen müssen sofort anspringen, falls die Kühlung in einem Druckwasserreaktor etwa durch ein grosses Leck an der Kühlmittelleitung ausfällt. Verschiedene unabhängige Kühlsysteme, die mehrfach gesichert mit Strom versorgt werden, sollen dabei garantieren, dass Brennelemente nicht länger als fünf Minuten ungekühlt bleiben. Sonst ist eine starke Schädigung der Elemente nicht mehr zu verhindern. Der schlimmste Fall wäre der vollständige Ausfall der Notkühlung. Dann käme es zu einer Kernschmelze. Verschiedene Sicherheitsbarrieren sind in einem AKW eingebaut, damit bei schweren Störungen die Umgebung nicht radioaktiv verseucht wird (siehe Grafik). Betreiber müssen Jahr für Jahr nachweisen, dass diese Sicherheit gewährleistet ist. Dabei geht es nicht nur um technische Anforderungen. Auch die Organisation einer Anlage, sprich der Mensch, wird stets überprüft. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, bei dem rund 130 Angestellte arbeiten, führt jährlich etwa 300 Inspektionen durch. Die Axpo beispielsweise hat eine nukleare Sicherheits-Charta entwickelt, in der sich der Stromversorger eine Selbstverpflichtung in Aus- und Weiterbildung für die Mitarbeiter auferlegt. Zudem ist die Axpo Mitglied der Wano, der World Association of Nuclear Operators, und lässt sich freiwillig regelmässig analysieren und bewerten. Allein diese Sicherheit zu gewährleisten, kostet Milliarden. Der Aufwand wird weiter steigen, weil die technischen Ansprüche immer grösser werden. Das Barrieresystem ist grundsätzlich in neuen Anlagen wie dem europäischen Druckwasserreaktor (EPR) der französischen Herstellerfirma Areva oder AP 1000 von Westinghouse Toshiba nicht wesentlich anders, jedoch stärker dimensioniert. Diese beiden Typen kämen unter anderen infrage, falls die Schweiz neue AKW zulassen würde. Neu ist auch, dass alle diese Reaktoren über eine Einrichtung verfügen, zum Beispiel eine Wanne (beim EPR), um im schlimmsten Fall die Kernschmelze aufzufangen. Hohe finnische Anforderungen Der EPR, der derzeit in Finnland und Frankreich gebaut wird, ist das beste Beispiel für gestiegene Sicherheitsanforderungen. Der Bau des EPR in Finnland kommt nicht planmässig voran. Ein Grund dafür sind die hohen Sicherheitsansprüche der finnischen Atombehörde. «Finnland ist pronuklear eingestellt, aber sie wollen das Optimum an Sicherheit», sagt Michael Sailer, Experte für nukleare Sicherheit am Öko-Institut in Darmstadt. So forderten die Finnen laut Sailer auch Sicherheitssysteme gegen elektromagnetische Störungen oder gegen Angriffe auf das Computersystem. Zudem wollten sie einen umfassenden Sicherheitsnachweis, falls die «grosse Leitung» abreisst, welche den Reaktor mit Kühlwasser speist. Hier gilt es nicht nur die Notkühlung zu simulieren, wenn sich der Kernreaktor allmählich überhitzt. Die Atombehörde wollte auch wissen, welchen Schaden das auslaufende Kühlwasser sonst noch anrichten könnte. Teure Simulationen Nicht nur die technische Umsetzung ist teuer. Auch die unzähligen Störfallsimulationen können kostspielig sein. Computermodelle waren in den 1970er- und 1980er-Jahren nur beschränkt möglich. «Heute können die insgesamt notwendigen Simulationen bis zu einer halben Milliarde Euro kosten», sagt Sailer. Der EPR gehört heute zum Vorzeigemodell punkto Sicherheit – vor allem weil die finnischen Betreiber hohe Anforderungen stellten. Das ist ein wesentlicher Grund neben Bauverzögerungen und Konstruktionsmängeln, dass sich die Bauzeit massiv verlängert und die Kosten vermutlich doppelt so hoch sein werden, als Areva budgetiert hat. Es ist absehbar, dass der Bau mit 6 Milliarden Euro teuer zu stehen kommt. «Atomstrom ist nicht günstig» Trotz den hohen Sicherheitskosten glaubt ETH-Experte Michael Prasser, dass der Strompreis pro Kilowattstunde gegenüber den preiswerten fossilen Energien konkurrenzfähig bleibe. Doch Michael Sailer vom Öko-Institut zieht ein anderes Fazit: «Nuklearenergie ist nicht günstig.» Neue Atomkraftwerke sind zum Beispiel gegenüber neuen Gaskraftwerken unwirtschaftlicher geworden. Untersuchungen des Öko-Instituts würden zeigen, dass auch regenerative Energien wie Wind, Biomasse oder Wasserkraft billiger sein können als Atomstrom. «Studien zu den künftigen Stromkosten gehen vielfach vom ursprünglichen Preis der Areva aus.» Hält man sich aber an die 6 Milliarden Euro, dann wird laut Sailer Atomstrom teuer. Er glaubt auch nicht daran, dass mit jeder neuen Anlage die Kosten sinken. Dafür würden zu wenige EPR gebaut. Wie teuer AKW tatsächlich sein werden, ist letztlich erst abschätzbar, wenn sie einmal in Betrieb sind. Sicher scheint: Neue Atomkraftwerke können wegen der höheren Sicherheitsansprüche doppelt so teuer sein wie frühere. |