Vor einem Jahr rechneten die Befürworter des staatlichen Lotteriemonopols in Deutschland mit dem Schlimmsten. Womöglich werde das Bundesverfassungsgericht das Monopol mit Verweis auf das Grundrecht der Berufsfreiheit verwehren, so ging die Sorge in vielen Staatskanzleien um.
Für die Monopol-Befürworter wäre das ein herber Schlag gewesen. Denn der Jahresumsatz der Lottobranche in Deutschland beträgt rund 8,5 Milliarden Euro, und ein Großteil der Ländereinnahmen fließt in die Sport- und Kulturförderung. Um den Schaden zu begrenzen, begann man in einigen Regierungen mit konkreten Kompromiss-Erwägungen. Im Rahmen eines Konzessionsmodells könne man ja Lizenzen an private Wettunternehmen vergeben und so über Konzessionsgebühren und Steuern weiter am Wettgeschäft mitverdienen.
Unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit
Doch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März vergangenen Jahres verflüchtigte sich die Bereitschaft zum Kompromiss mit der privaten Wettwirtschaft schlagartig. Dabei fiel die Entscheidung alles andere als schmeichelhaft für die Länder aus: Das Bundesverfassungsgericht bewertet das staatliche Sportwettenmonopol in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung als unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit. Mit dem Grundgesetz sei es nur dann vereinbar, wenn es „konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist“. Damit war klar: Das Lotteriemonopol ist nur mit einem neuen Staatsvertrag zu retten.
Die Arbeiten daran begannen umgehend. Zugleich nutzen die Monopolisten das Karlsruher Urteil für einen Generalangriff auf private Anbieter. Mitte August verbot Sachsen dem in Neugersdorf ansässigen Unternehmen Bwin, Sportwetten anzubieten. Die Genehmigung zur „Eröffnung eines Wettbüros für Sportwetten“ hatte ein findiger sächsischer Unternehmer in der Endphase der DDR vom Rat des Bezirkes Löbau bekommen. Nun berief sich der Freistaat bei seinem Schritt ausgerechnet auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Mitte Oktober gab allerdings das Verwaltungsgericht Dresden einem Eilantrag von Bwin gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verbotsverfügung statt. Schließlich sei die Tätigkeit von Bwin jahrelang vom Freistaat Sachsen nicht beanstandet worden. Auch sei es zweifelhaft, ob das staatliche Sportwettenmonopol nicht gegen Europarecht verstoße. Das Interesse des Wettanbieters an vorläufigem Rechtsschutz überwiege gegenüber dem staatlichen Interesse am Sofortvollzug, zudem drohe in der strukturschwachen Oberlausitz der Verlust von 52 Arbeitsplätzen.
Königsteiner Schlüssel
Die Sächsische Staatsregierung legte gegen die Entscheidung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein und gab sich in der parlamentarischen Auseinandersetzung mit der FDP unbeeindruckt. Auf die Frage, wie hoch die Staatsregierung das Haftungsrisiko in Sachen Bwin einschätze und welche finanzielle Vorsorge getroffen wurde, antwortete Innenminister Albrecht Buttolo (CDU), das Vorgehen gegen Bwin sei rechtmäßig. Vorsorge für eventuelle Schäden sei daher nicht erforderlich. Auch träfen Berichte nicht zu, wonach im Falle von Schadensersatzforderungen gegen den Freistaat die anderen Bundesländer „mitzahlen“ sollten.
Tatsächlich ist die sächsische Regierung längst nicht so siegesgewiss. Der Ausgang einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Bwin über den Schadensersatz gilt als ungewiss, das Haushaltsrisiko als erheblich. Der sächsische Ministerpräsident Milbradt (CDU) machte seinen Kollegen auf der Konferenz der Länderregierungschefs am 13. Dezember in Berlin deutlich, dass er dem neuen monopolsichernden Staatsvertrag nur zustimme, wenn sich alle anderen Länder am Bwin-Risiko beteiligten.
Im Ergebnisprotokoll treffen die Regierungschefs deshalb für den Fall, dass den Ländern Berlin, Thüringen und Sachsen aus der Aufhebung der DDR-Konzessionen für private Wettanbieter Kosten erwachsen sollten, wie folgt Vorsorge: „Die Lasten werden nach Königsteiner Schlüssel auf alle Länder verteilt.“ Aus sächsischer Sicht ist das höchst erfreulich, sieht der Königsteiner Schlüssel für das größte ostdeutsche Land doch nur eine Beteiligung von etwa 5,25 Prozent vor.
„Fiskalische Interessen des Staates“
Die Einigung auf den Königsteiner Schlüssel illustriert, ein wie ausgefuchster Haushälter der sächsische Ministerpräsident ist. Ganz allgemein scheint Milbradt das Wettspielproblem vor allem unter haushälterischen Aspekten zu betrachten. „Ohne die Lotterieeinnahmen müssten die Länder drei bis vier Milliarden Euro für Sport und Kultur aus anderen Mitteln finanzieren“, gibt der Ministerpräsident zu bedenken.
Diese Argumentation entspricht nicht dem Geist des Verfassungsgerichtsurteils, in dem es heißt, „fiskalische Interessen des Staates“ schieden „als solche zur Rechtfertigung der Errichtung eines Wettmonopols aus“. Legitime Ziele eines Wettmonopols seien dagegen die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht, der Schutz der Spieler vor betrügerischen Wettanbietern, die Abwehr von Gefahren aus Folge- und Begleitkriminalität. Tatsächlich spielen fiskalische Überlegungen im Entwurf des Staatsvertrags deshalb wohlweislich keine Rolle.
Frist bis Ende des Jahres
Einstweilen wird um das Monopol noch heftig gerungen. Bei der Konferenz der Ministerpräsidenten im Dezember stimmte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gegen den Staatsvertrag, da sein Land verfassungsrechtliche, wettbewerbsrechtliche und europarechtliche Bedenken habe. Tatsächlich dringt die EU-Kommission schon seit langem darauf, das Sportwettengeschäft zu liberalisieren.
Das wirft die Frage auf, ob nicht spätestens mit dem Ende der Gültigkeit des jetzt geplanten Staatsvertrags im Jahr 2012 das Staatsmonopol fällt und durch ein Konzessionsmodell ersetzt wird. In ihrem Urteil setzten die Verfassungsrichter den Ländern eine Frist bis Ende 2007 für eine Einigung auf einen neuen Staatsvertrag. Ein überdeutlicher Wink mit dem Zaunpfahl ist ihr Hinweis, dass laut Grundgesetz für eine Neuregelung auch der Bund in Betracht komme.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung Bildmaterial: AP
Beitrag kommentieren |