SPORT/PORTRÄT: Robert Enke - der Torwart der anderen Art
HANNOVER (dpa-AFX) - Leise, still und höflich - das sind Vokabeln, die einem
für einen Torwart eher selten einfallen. Nachdenklich, ruhig und zuvorkommend -
das sind Beschreibungen, die auf Robert Enke zutrafen. Der 32 Jahre alte
Fußball-Profi, der an schweren Depressionen litt und sich am Dienstag das Leben
genommen hat, war ein Torwart der anderen Art: Als Sportler ungewöhnlich und als
Mensch außergewöhnlich. Kein Lautsprecher, doch einer mit einer klaren Meinung.
Kein Showmann, aber bei aller Sachlichkeit auch mit aufsehenerregenden Aktionen.
Einer, der im Stadion Zehntausende Fußballfans mit spektakulären Paraden
begeistern konnte und außerhalb ganz unspektakulär auftrat.
Nach seinem Tod wurde aber nun auf erschreckende Weise auch klar: Enke war
ein Mann, der aus Angst um seine Karriere und das Sorgerecht für seine
Adoptivtochter sein Seelenleiden vor der Öffentlichkeit, Freunden und
Teamkollegen verbarg. Er hatte Versagensängste, Antriebsstörungen. Als letzten,
für alle unfassbaren Ausweg, sah er nur den Freitod.
Dass die Menschen in Hannover, und das waren nicht nur die Anhänger von 96,
ein ganz besonderes Verhältnis zu dem Torwart hatten, lag an Enkes Auftreten. An
seiner Zurückhaltung auf und neben dem Platz. An seiner Bescheidenheit. An
seinem unaufgeregten Verhalten in der zuweilen schrillen Welt des Fußballs. Und
es lag natürlich an der traurigen Geschichte seiner herzkranken Tochter Lara, an
dem Leidensweg des Mädchens und an ihrem frühen Tod im Alter von zwei Jahren.
Nur zwei Tage nach dem tragischen Tod am 17. September 2006 begann der
Tormann wieder mit dem Training. Sechs Tage nach dem Schicksalsschlag stand Enke
im Kasten von Hannover 96. Äußerlich war dem Keeper nichts anzumerken. Enke
wirkte gefasst - so gefasst, wie ein Mensch in solch einer Situation nur wirken
kann. Es schien, als wenn der schnelle Weg zurück auf den Fußballplatz ein Teil
seiner Trauerbewältigung war. Das war aber - wie jetzt schmerzlich zu erfahren
war - offenbar Fassade.
Die Menschen litten mit, sie nahmen Anteil am Leiden der Familie Enke. Aus
Respekt stellte kein Journalist Fragen nach jenem Heimspiel gegen Bayer
Leverkusen, bei dem er wieder einmal tadellos gehalten hatte. Bei einer
Pressekonferenz vor dem Länderspiel gegen Georgien sprach Enke dann von sich aus
über den Tod der kleinen Lara und bedankte sich für die Anteilnahme. Ihren Namen
trug er als Tätowierung auf dem rechten Arm.
Dass Enke labil war, wie 96-Clubchef Martin Kind am Abend seines Todes
erklärte, überraschte viele. Kind, der den Profi besser als die meisten Menschen
kannte, sagte, dass Enke das überspielen konnte. Nach außen waren tatsächlich
keine Stimmungsschwankungen erkennbar. Kinds Beschreibung rief daher große
Verwunderung hervor. Sie passte nicht zum Bild der öffentlichen Wahrnehmung, zum
ausgeglichenen und stets gefassten Auftreten. Und sie zeigte, wie wenig Sätze
bei Pressekonferenzen, nach Fußballspielen oder am Trainingsplatz über einen
Menschen verraten.
Dass Enke auch eine unsichere und verletzliche Seite hatte, ließ sich
höchstens bei seiner sportlichen Odyssee durch Südeuropa erahnen. Nach einem
gelungenen Bundesligaeinstand bei Borussia Mönchengladbach und erfolgreichen
Jahren bei Benfica Lissabon erlebte Enke eine wechselhafte Karriere mit
Tiefpunkten, die einen zerbrechen lassen können. Beim FC Barcelona musste Enke
unter dem jetzigen Bayern-Trainer Louis van Gaal einen ersten Rückschlag
hinnehmen, wurde nach einem verkorksten Auftakt gegen einen Drittligisten
zunächst auf die Bank gesetzt und später ausgeliehen. Aus Istanbul floh Enke
nach nur einem Spiel, als er nach Unsicherheiten gnadenlos niedergemacht worden
war. Er landete in der 2. spanischen Liga.
Erst bei Hannover 96, nach fünf Jahren zurück in Deutschland, fand Enke zu
sportlicher Sicherheit zurück. Er schaffte den Sprung ins Nationalteam, obwohl
er bei einem Mittelklasse-Team spielte. Vor den Toren Hannovers, wo er mit
seiner Frau, vielen Tieren und seit Mai mit einer Adoptivtochter lebte, schien
er zu Hause zu sein.
Während es bei 96 rund lief, musste Enke in der Nationalmannschaft - wegen
einer Handverletzung und zuletzt wegen einer rätselhaften bakteriellen
Erkrankung - zweimal wichtige Qualifikationsspiele ausfallen lassen. Seine
Stellung als Nummer eins drohte er damit zu verlieren. Nur ein einziger Satz
deutete angesichts dieser Rückschläge auf eine Form von Verzweiflung hin, als er
angesichts seiner Bakterieninfektion im September fragte: "Warum immer
ich?"/mr/hü/DP/wiz
NNNN
2009-11-11 14:30:46
2N|SPO|GER||
-----------
"Wer gegen den Strom schwimmt, sollte das möglichst in der Nähe des Ufers tun."
"Wenn man in der falschen Richtung läuft, hat es keinen Zweck, das Tempo zu erhöhen"