...aus ähnlichen Gründen wie in USA - Überschuldung.
Agenda Bang of England
Jahrelang haben die britischen Banken prächtig verdient - indem sie großzügig Kredite an Kleinkunden vergaben. Nun explodiert die Zahl der Privatinsolvenzen. Und die Institute müssen Milliarden abschreiben.
Über mangelnde Aufträge kann sich Mike Blackburn derzeit nicht beklagen. Er ist Vorstandsmitglied von Debt Free Direct, einem Unternehmen, das überschuldeten Briten hilft, private Insolvenz anzumelden. Immer mehr seiner Landsleute nehmen diesen Service inzwischen in Anspruch. Und Blackburn weiß auch, wem er das zu verdanken hat. "Die Banken haben fahrlässig Geld an Leute verliehen, die es im Leben nicht zurückzahlen können", sagt er. Blackburn hat leicht reden. Auch er könnte am Mittwoch am Pranger stehen. Schließlich leitete er früher Halifax, eine der größten britischen Banken. Doch der Branchenveteran hat gerade noch rechtzeitig die Seiten gewechselt.
Die Kreditinstitute im Vereinigten Königreich haben in den vergangenen Jahren an den Kleinkunden prächtig verdient. Lange Zeit haben die Briten auf Pump konsumiert, als gäbe es kein Morgen mehr - mitgerissen vom "Feelgood Factor" der wirtschaftlich boomenden Blair-Ära.
Doch die fetten Jahre sind vorbei. Die Zeche für das "Debt Booze" - Schuldenbesäufnis - wie das Phänomen genannt wird, steht in den Büchern der Finanzkonzerne. Am Dienstag hat Barclays, eine der Top-Retailbanken des Landes, die Bilanzsaison eröffnet. 7,1 Mrd. £ Gewinn im letzten Jahr - das kann sich sehen lassen. Doch allein 2,1 Mrd. £ müssen für ausgefallene Kredite abgeschrieben werden, der Großteil davon Konsumentenkredite. Und die Zahlen von Barclays sind nur ein Vorgeschmack auf das, was von den Jahresergebnissen der Konkurrenz zu erwarten ist.
Jahrelang wurden die britischen Banken weltweit für ihre kaufmännische Brillanz und Profitabilität bewundert. Hätten Barclays, HSBC und die Royal Bank of Scotland allerdings nicht hervorragend laufende Kapitalmarkttöchter, würden Investoren wohl personelle Konsequenzen fordern.
1200 Mrd. £ private Außenstände - etwa 1800 Mrd. Euro - sind im Vereinigten Königreich inzwischen angefallen, auf Kreditkarten, in Form von Konsumentenkrediten, Kauffinanzierungen, Studentendarlehen und Hypotheken. Das macht 20.000 £ pro Kopf. Acht Briten pro Stunde haben im vergangenen Jahr privaten Konkurs angemeldet. Noch in den 90er-Jahren registrierte der staatliche Insolvency Service jährlich eine konstant bleibende Zahl von ein paar Tausend Privatinsolvenzen. 2006 waren es bereits beängstigende 70.000. Jede Erhöhung des Leitzinses, die die Bank of England beschließt, stößt mehr Briten in die Zahlungsunfähigkeit.
Barclays Chef wiegelt ab
"Die Bedingungen bei Karten und Privatkrediten ist schwierig", sagte am Dienstag Barclays-Chef John Varley, "aber das Ärgste ist vorüber." Harmlose Worte für ein ernstes Problem. Auch neutrale Kenner der Szene sind sich einig, dass die Kreditwirtschaft Mitschuld an der privaten Schuldenmisere trägt. "Vergessen Sie nicht, dass die Institute jahrelang den Markt mit Kreditprodukten gemästet haben", sagt Malcolm Hurlston, Chef von CCCS, der größten Wohlfahrtsorganisation, die sich in Großbritannien um überschuldete Haushalte kümmert. Nicht selten hätten Kunden, die bei CCCS Rat suchten, bis zu sechs Kreditkarten von derselben Bank bekommen. Mancher Problemfall würde sogar auf bis zu zwölf Karten kommen.
Die Regierung ist alarmiert. Sie will nun ihren Bürgern helfen, von der Droge Schulden loszukommen. Weil bisher nichts geholfen hat, plant das Kultusministerium, das Thema Schulden als Teil des Mathematikunterrichts in Schulen einzuführen. Briten sollen sich bereits in jungen Jahren vorstellen können, was sie sich für Lasten auftürmen, wenn sich Zins zu Zinseszins gesellt. Und sie in einen Strudel geraten, der immer öfter nicht mehr aufzuhalten ist. Die Aufklärung ist gut gemeint. "Doch das Problem wird das nicht lösen", sagt ein Sprecher der Beratungsstelle Citizens Advice.
In den Chefetagen der britischen Kreditwirtschaft haben die Verantwortlichen eine andere Erklärung für das Phänomen, das auf die Ertragsmarge drückt und das Image der Institute nachhaltig schädigt. Ein geändertes Insolvenzrecht macht es nach Meinung der Bankenchefs hoch verschuldeten Kunden zu leicht, in den privaten Konkurs zu flüchten. "Für unsere Eltern war es selbstverständlich, Schulden zurückzuzahlen", schimpft Eric Daniels, Vorstandschef von Lloyds TSB. "Heutzutage rät man Studenten, wenn sie die Universität verlassen, sich für pleite zu erklären." Auch HSBC-Vorstandschef Michael Geoghegan klagt: "Eine ganze Industrie von Finanzberatern lässt sich inzwischen dafür bezahlen, dass sie anderen den Bankrott empfehlen." Von einer neuen Spezies der "Kavalierbankrotteure" ist in der Branche die Rede.
Die 2004 reformierten Privatkonkursregeln sollten eigentlich Kleinunternehmern helfen, das Stigma des Scheiterns nach einem Bankrott abschütteln zu können. Doch die Vorschriften nutzen vorwiegend private Schuldner, die sich Sofas, Autos, Häuser und Reisen weit über ihre Verhältnisse leisteten. Bisher blieben Gläubigern drei Jahre Zeit, Schulden einzutreiben. Nach den neuen Regeln müssen sie das Geld nach einem Jahr als verloren betrachten. In der Praxis strecken die Banken die Verbindlichkeiten über mehrere Jahre, um wenigstens einen Teil - etwa 35 Prozent - ihres Geldes wiederzusehen. Den Rest schreiben sie ab. Allein im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres kostete das die fünf größten britischen Banken 3,23 Mrd. £.
Der Kunde ist fein raus: Nach den neuen Regeln bekommt er am Ende für ein weiteres Jahr einen Negativvermerk bei Bonitätsagenturen - das war's. Dass mit den neuen Privatkonkursregeln eine regelrechte "Entschuldungsindustrie" entstanden ist, zeigt ein Blick ins Internet. "Schulden los in 30 Sekunden!", lauten die marktschreierischen Slogans privater Beratungsanbieter wie Debt Free Direct, Debt Matters oder Accuma. Die Arrangeure solcher Deals verdienen zwischen 1000 und 1500 £ pro Fall.
Kriterien für Kreditvergabe drastisch verschärft
Die Banken treten inzwischen allesamt auf die Bremse. Die Kriterien für die Kreditvergabe wurden vehement verschärft, auch wenn dadurch beispielsweise die Umsätze im Kreditkartengeschäft deutlich einbrechen. Für Marktführer Barclays, der inzwischen jeden zweiten Kreditkartenantrag ablehnt, ist der Gewinn in dieser Sparte 2006 um über 70 Prozent auf 85 Mio. £ gefallen. Der Konzern will sich zudem von der Tochter Monument trennen, die sich um die besonders riskanten Kunden mit niedriger Bonität kümmert. Rivale HSBC hat gleich zwei Patienten im Haus.
Europas größte Bank versucht neben der Malaise in Großbritannien den Schaden vor allem im US-Geschäft einzudämmen. Dort kämpft die Kleine-Leute-Bank Household International inzwischen mit 1,7 Mrd. $ an faulen Krediten.
Bei den britischen Banken geht man davon aus, dass sich das Problem nicht so schnell erledigen wird. Die Zahl privater Insolvenzen könnte sich dieses Jahr sogar bei der Marke von 150.000 einpendeln, schätzen die Wirtschaftsprüfer von KPMG. "Wer ein baldiges Ende erwartet, dürfte sich getäuscht haben. Wir stehen am Anfang einer neuen Ära, in der Privatinsolvenzen ein Alltagsphänomen sein werden", sagt Mark Sands, Schuldenexperte bei KPMG.
Die Finanzaufsicht meldet, dass drei Millionen Briten am laufenden Band Schwierigkeiten haben, ihre Schulden zu bezahlen. Nach anderen Schätzungen haben bereits zwei Millionen Bewohner der Insel Verbindlichkeiten aufgetürmt, die sich nur noch durch betreute Entschuldung bändigen lassen. Mike Blackburn und seine Kollegen wird das freuen.
Autor: von Titus Kroder (London) Quelle: FTD
Chart: Ausstehende Konsumentenkredite im britischen Bankensektor |
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