SPIEGEL ONLINE - 22. April 2006, 10:09 URL: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,412246,00.html Rassistische Gewalt "Sollen wir Bannmeilen um ostdeutsche Städte ziehen?"
Angst vor Gewalt gehört zum Alltag von ausländischen Studenten und Wissenschaftlern. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt Georg Schütte, Generalsekretär der Humboldt-Stiftung, wie sein Institut die Stipendiaten vor rassistischen Pöbeleien warnt und schützt. SPIEGEL ONLINE: Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung fördert die internationale Kooperation in der Forschung und holt jedes Jahr rund 2000 Wissenschaftler aus aller Welt nach Deutschland. Herr Schütte, müssten Sie den Stipendiaten nicht von einem Aufenthalt in Ostdeutschland abraten? | Humboldt-StiftungGeneralsekretär Schütte: "Wir dürfen nicht zurückweichen" |
Georg Schütte: Überspitzt gesagt würde das ja heißen: Wir akzeptieren, dass Teile der Bevölkerung ausländerfeindlich sind, und erklären ostdeutsche Städte zum Sperrgebiet. Sollen wir Bannmeilen um alle Städte ziehen, in denen es Überfälle gab? SPIEGEL ONLINE: Immerhin liegt in Potsdam Ermyas M., ein Deutscher äthiopischer Herkunft und Wissenschaftler am Leibniz-Instut, im Koma. Seit der Wende gab es mehr als 90 Mordopfer und allein 2005 rund 600 Gewalttaten gegen Ausländer in Ostdeutschland. Schütte: Ich will den Übergriff in Potsdam nicht als Einzelfall abtun, jedes Opfer ist eines zu viel. Das ist moralisch die einzig richtige Antwort. Die Frage nach den Konsequenzen ist hingegen schwieriger. SPIEGEL ONLINE: Sie könnten die Bewerber zumindest darüber aufklären, dass das Risiko von Gewalttaten in Halle für einen Afrikaner höher ist als in Heidelberg. Schütte: Das sehe ich zwiespältig. Auf der einen Seite müssen wir unsere Stipendiaten schützen. Natürlich sind wir für sie verantwortlich. Andererseits wollen und brauchen alle Hochschulen, ob in West- oder Ostdeutschland, ausländische Wissenschaftler. Es kann doch nicht sein, dass die östlichen Bundesländer in der Forschung isoliert werden, weil es Rechtsradikalen gelingt, ein Klima der Unsicherheit zu schaffen. Die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland ist nicht fremdenfeindlich. Wir dürfen uns die erfolgreiche internationale Zusammenarbeit nicht zerstören lassen. Chinesen liegen vorne An deutschen Universitäten studieren rund 240.000 Ausländer, das entspricht einem Anteil von etwas mehr als 10 Prozent. 60.000 ausländische Studierende leben dauerhaft in Deutschland. 190.000 kommen als Gaststudenten an deutsche Universitäten. Am stärksten sind die Chinesen vertreten (25.000). Dann folgen Studenten aus Bulgarien, Polen, Russland, Marokko und Kamerun. Laut Informationen vom Deutschen Akademischen Austauschdienst hat es bisher keinen Rückgang bei den Bewerberbungen gegeben, auch nicht nach früheren Anschlägen auf Ausländer. Angst, dass keiner mehr kommt Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Leibniz- Stiftung befürchten, dass es nach dem Überfall auf Ermyas M. schwieriger wird, ausländische Wissenschaftler anzuwerben. Theodor Rietschel, Präsident der Leibniz- Stiftung, sagte: "Wer Angst um Leben und Gesundheit hat, den können auch die besten Rahmenbedingungen nicht dazu bewegen, nach Deutschland zu kommen." Die DFG erklärte sich mit allen ausländischen Wissenschaftlern solidarisch und bietet betroffenen Familien Unterstützung an. Henkel fordert harte Strafen 5000 Euro hatte Hans- Olaf Henkel, langjähriger Präsident der Leibniz- Stiftung, zur Ergreifung der Täter ausgesetzt. Ermyas M. war bisher an einem Leibniz- Institut in Potsdam tätig. Es ist das erste Mal, dass ein Mitglied der Stiftung Opfer eines rassistischen Überfalls geworden ist. Trotzdem wolle man weiterhin Studenten in ostdeutsche Länder schicken und auch nicht auf mögliche Gefahren hinweisen, sagte Henkel. "Wir brauchen keine Anleitung für Deutschland. Sonst könnten wir ja gleich die ganze Fußball- WM absagen." |
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SPIEGEL ONLINE: Gab es in der Vergangenheit bereits Überfälle auf Humboldt-Stipendiaten? Schütte: Es gab zwei Übergriffe auf asiatische Studenten, das ist aber schon länger her. Eigentlich hatte sich die Probleme in den vergangenen fünf Jahren ja etwas entschärft. Nun macht der Überfall in Potsdam mit einem Schlag wieder das kaputt, was sich dort positiv entwickelt hatte. Zeitungen in aller Welt schreiben, dass Deutschland ausländerfeindlich ist. SPIEGEL ONLINE: Liegen bereits Anfragen von Wissenschaftlern vor, die jetzt ihren Standort wechseln oder ihr Stipendium absagen möchten? Schütte: Momentan nicht. Dennoch beschädigt jeder Überfall und jede Pöbelei das Ansehen Deutschlands. Im Ausland wird jede Tat aufmerksam beobachtet. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden sich die besten Köpfe für andere Wissenschafts-Standorte entscheiden. SPIEGEL ONLINE: Welche Vorkehrungen treffen Sie konkret, um die Humboldt-Stipendiaten vor Übergriffen zu schützen? Schütte: Wir sind auf die Hilfe der Universitäten und Institute angewiesen, da sie die Bedingungen vor Ort besser kennen. Die neuen Kollegen klären unsere Stipendiaten über gefährliche Ecken auf. Das genügt in der Regel. Allerdings mussten in der Vergangenheit auch schon mal Notrufhandys ausgegeben werden, weil sich fremdenfeindliche Übergriffe häuften. Inzwischen haben wir in den ostdeutschen Städten internationale Gästehäuser aufgebaut, in denen sich die Wissenschaftler sicher fühlen können. Das Interview führte Antonia Götsch
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