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Landis gewinnt die 93.Tour de France Vive le Tour! Tour de France: LIVE-Ticker, Etappen, Startliste, Palmares, Ergebnisse > PARIS, 23.07.06 (rsn) - Mag auch der ein oder andere Professor durch die deutschen Fernseh-Lande ziehen und versuchen glauben zu machen, dass Profiradsport organisiertes Verbrechen ist, so zeigt sich die Tour de France doch weiter putzmunter. Die 93.Ausgabe der "Großen Schleife", die erste der Nach-Armstrong-Ära, begann mit einem Riesenskandal, über den die größten Stars der Gegenwart stolperten. Und drei Wochen später staunt die Radsportwelt über eines der aufregendsten Rennen der letzten Jahre und einen Sieger, der sich als ein wahrer Champion zeigte. Einmal mehr erwies sich der alte Spruch als Wahrheit: Nicht die Helden machen die Tour, die Tour macht Helden. Eddy Merckx ist sich sicher: "Er wird die Tour de France wieder gewinnen". Mit seiner fantastischen Aufholjagd hat sich der Sieger der 93. Frankreich-Rundfahrt, Floyd Landis, bereits jetzt einen Platz in der Tour-Geschichte gesichert. "Er ist gut in den Bergen und im Zeitfahren", bescheinigte die belgische Radsport-Legende dem Amerikaner die Qualitäten eines Allround-Fahrers. Merckx höchstpersönlich, hatte Landis und Phonak-Teamchef John Lelangue, Sohn von Merckx' früherem Sportdirektor Robert Lelangue, wieder aufgebaut vor der erstaunlichen Etappe nach Morzine, bei der der Toursieger einen Tag nach der schlimmsten Niederlage seines Karriere ("Ich war gedemütigt") wieder aufstand und einen der bemerkenswertesten Siege der Radsportgeschichte feierte. <!--FOTO_EINSCHUB--> Tableau der 93.Tour de France Gesamtwertung: Floyd Landis (USA/Phonak) Bergwertung: Michael Rasmussen (DEN/Rabobank) Punktewertung: Robbie McEwen (AUS/Davitamon) Nachwuchswertung: Damiano Cunego (ITA/Lampre) Mannschaftswertung: T-Mobile (GER) Offensivster Fahrer: David de la Fuente (ESP/Saunier Duval) | <!--FOTO_EINSCHUB-->"Es ist seine Tour" würdigte die Sportzeitung L'Equipe am Sonntag den Triumph eines weiteren Amerikaners in Paris. Der 30- Jährige aus Pennsylvania, der sich mit seinem sensationellen Husarenritt in den Alpen und dem Sprint gegen die Uhr den Weg zum Gelben Trikot bahnte und drei Mal während des Rennens die Spitzenposition zurückeroberte, gab nach den Doping-Ausschlüssen der Favoriten wie Jan Ullrich oder Ivan Basso der Tour wieder ein Gesicht. 200 000 Menschen jubelten am Sonntag auf den Pariser Champs-Elysées dem neuen Helden im Gelben Trikot zu. Von einer tiefen Krise des Radsports war bei dieser Tour - weder am Straßenrand noch bei den TV-Quoten in Frankreich - nicht viel zu merken. "Mich hat das Gefühl getragen, etwas Großes zu vollbringen", brachte Landis den Grund für seinen Erfolg auf den Punkt. Der Sprössling einer Mennoniten-Familie aus Pennsylvania, tief im Glauben verwurzelt, musste gegen seine Eltern ein bisschen rebellieren, als er als Teenager sein erstes Mountainbike bekam und die Liebe zum Radsport entdeckte. Als er dann aus dem betulichen "Amish County" Lancaster/Pennsylania, wo die Familie Landis als "liberal" galt, weil sie Radio hörte, nach Kalifornien kam, habe er sich gefühlt "wie auf dem Mars". Als Amateur war er nicht der Beste und beinahe wäre schon 1998 alles vorbei gewesen. Doch dann bekam er doch noch einen Profivertrag und fasste Tritt in der großen, weiten Welt. 1999 fuhr er die Zukunfts-Tour de France für Nachwuchsfahrer und wurde Dritter. "Ich sage Euch: Floyd gewinnt mal die Tour!", hatte Landis damaliger Teamchef gegenüber den Organisatoren schon zuvor geschwärmt, als er um eine Einladung zur Zukunfts-Tour bettelte (s.Story). Verantwortlicher des Rennens war damals John Lelangue, der heutige Phonak-Teamchef. Landis wusste schon vor seinem ersten Gelben Trikot, wie das ist, welcher Wirbel, welcher Druck, das ominöse Maillot jaune mit sich bringt. Bevor er als Kapiitän bei Phonak anheuerte, fuhr er als Helfer von Lance Armstrong. "Diese Erfahrung machen nur wenige", beschrieb er seine Zeit an der Seite des siebenfachen Toursiegers. An den Rundfahrt-Siegen von 2002 bis 2004 seines Lehrmeisters war Landis als Team-Kollege beteiligt. Allerdings war Landis, der im vergangenen Jahr Tour-Neunter wurde, nicht gerade ein buddy des Texaners. "Von mir hast Du nichts zu befürchten, ich trete zurück. Aber meine Mannschaft wird Dich nie in Ruhe lassen", gab der Seriensieger vor seinem Rückzug dem Phonak- Kapitän mit auf den Weg. Doch Discovery, das von seinem Kapitän Hincapie enttäuscht war, hatte bei dieser Tour mit sich selbst genug zu tun. Während einer Stippvisite in den Alpen lenkte Armstrong (oportunistisch?) ein: "Floyd ist der Favorit". Landis belegt im Schlussklassement mit 59 Sekunden vor dem Spanier Oscar Pereiro und 1:29 Minuten vor Andreas Klöden den ersten Rang und setzt die amerikanische Tradition in Paris nach sieben Jahren Lance Armstrong fort. Zum elften Mal gewann ein Amerikaner die Tour. Die 20. und letzte Etappe über 154,5 Kilometer zwischen Sceaux-Antony und Paris gewann der Norweger Thor Hushovd und setzte damit Schlusspunkt, nachdem er als Prolog-Sieger auch das erste Ausrufezeichen gesetzt hatte. 139 Fahrer von 176 gestarteten erreichten die französische Hauptstadt. Der französische Meister Florent Brard musste auf den Start verzichten, nachdem er sich bei seinem Sturz im Zeitfahren am Samstag die Hand gebrochen hatte. Der Australier Robbie McEwen verfehlte als Zweiter in Paris seinen vierten Etappensieg, sicherte sich wie 2004 und 2002 aber das Grüne Trikot. Zweiter in der Punktewertung wurde der sechsfache Gewinner der Sprinterwertung (1996-2001) Erik Zabel, am Sonntag Vierter. Der 13. Etappensieg seiner Karriere blieb ihm bei seiner 12. Tour-Teilnahme versagt, der Berliner aus dem Milram- Team erinnerte bei seinen beiden dritten Plätzen in Straßburg und Dax nur noch entfernt an große Zeiten. Sein Milram-Team, das ohne den verltetzten Alessandro Petacchi auskommen musste, spielte bei der Tour kaum eine Rolle. Auch bei Gerolsteiner blieb man hinter den Erwartungen zurück. Den besten Eindruck machte der 24-jährige Markus Fothen, der zwar im Zeitfahren am Samstag gegen Damiano Cunego (Italien) im Duell um das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers unterlag, aber ansonsten als Tour-Debütant auf Rang 15 eine sehr gute Figur abgab. "Cunego ist ja als Giro-Gewinner nicht irgendjemand. Mit dem Trikot hätte ich eine zufrieden stellende Bilanz ziehen können", war Hans-Michael Holczer, Manager des Gerolsteiner Teams, am Sonntag etwas enttäuscht. Sein Star Levi Leipheimer, der nach seinem Sieg bei der Dauphine als Favorit gehandelt wurde, fightete, hatte aber schon im ersten Zeitfahren nach einer schwachen Leistung seine Chancen auf eine Podiumsplatzierung eingebüßt. Er wurde schlussendlich 13. Ein Etappensieg, wie ihn der Österreicher Georg Totschnig 2005 schaffte, fehlt diesmal in der Bilanz der Mineralwassertruppe, die ihren Sprinter Robert Förster, der die Giro-Etappe in Mailand gewonnen hatte, bei der Tour zuhause ließ, um sich aufs Gesamtklassement zu konzentrieren. T-Mobile dagegen konnte in Frankreich glänzen. Auch mit einem Jan Ullrich hätte das Team kein viel besseres Ergebnis holen können. Zu siebt zeigten Andreas Klöden und Co. eine Trotzreaktion. Drei Etappensiege holte die Magentatruppe. Matthias Kessler feierte wie Jens Voigt einen schönen Ausreißer-Sieg. Der 36-jährige ukrainische T-Mobile-Neuzugang Sergej Hontchar, der am Samstag auch das zweite Zeitfahren gewann, bescherte den Bonnern zwei weitere Etappensiege und das Gelbe Trikot für drei Tage. Andreas Klöden, Tour-Zweiter von 2004, sicherte sich beim alles entscheidenden Zeitfahren am Samstag noch vor Konkurrent Carlos Sastre den letzten Podiumsplatz. An den aufopfernd kämpfenden Pereiro und dem phänomenalen Amerikaner kam er aber nicht mehr heran. "Ich freue mich riesig", sagte Klöden, der den dritten Gesamtrang seinem bei T-Mobile entlassenen Freund Jan Ullrich widmete. "Wir sind für Jan gefahren. Er kann stolz auf uns sein", sagte Klöden, der zum zweiten Mal nach 2004 (Zweiter) in Paris auf dem Treppchen stand. T-Mobile gewann auch die Mannschaftswertung. Landis ungewisse Zukunft Trotz des Riesenerfolgs steht Landis' sportliche Zukunft auf wackligen Beinen. Wie der geheilte Krebspatient Armstorng hat auch er eine Leidensgeschichte: "Vor anderthalb Jahren wurde mir bewusst, dass meine Karriere nicht so weiter gehen kann". Eine schlecht auskurierte Hüftverletzung nach einem Sturz im Januar 2003 hinterließ bleibende Schäden. Landis leidet an Knochenfraß, einer schmerzhaften Krankheit. Schon Ende des Jahres will sich der rotblonde Amerikaner einer Operation unterziehen: "Es wird meine letzte Tour mit eigener Hüfte sein." Schmerzen begleiten Landis auf Schritt und Tritt. Ob er auf das Rad steigt, sich streckt oder wieder absteigt - "es ist eine langsame, schleichende Krankheit, kein katastrophaler Einschnitt". Fachleute können sich einen Radprofi mit künstlicher Hüfte vorstellen, vorausgesetzt bei dem Eingriff in Gelenke und Muskeln werden die besonderen Bedürfnisse eines Radprofis berücksichtigt. «Ich kenne keinen Radprofi mit Hüftprothese, aber vielleicht ist es möglich», meinte T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich. "Ich bin jetzt entspannt", sagte Toursieger Landis. "Ich wäre sehr enttäuscht, wenn ich die Tour nicht gewonnen hätte und nicht mehr zurückkommen könnte nach einer Operation. Nun habe ich sie gewonnen und ich werde kämpfen, um zurückzukommen. Vielleicht nächstes Jahr, vielleicht übernächstes. Dieser Sport ist der schönste von allen und ich bin glücklich, Teil davon zu sein." |