Mißtrauen, Rivalität, Haß / Von Johannes Leithäuser
BERLIN, 15. Dezember. Das Mißtrauen, die Rivalität, der Haß zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz haben tiefe Wurzeln. Nicht nur daß und wie sie ihn am 24. September, zwei Tage nach der verlorenen Wahl, im Vorsitz der Unionsfraktion ablöste, hat ihr Verhältnis zerrüttet. Der Anfang ihres Zweikampfes liegt im Winter des Jahres 2000, in den Februar- und Märztagen, in denen beiden je zur Hälfte das bedrohte Erbe der Volkspartei CDU in die Hand gegeben wurde. Schon damals war die Teilung der Macht zwischen einer Parteivorsitzenden und einem Fraktionsvorsitzenden ein fragwürdiges Modell. Ein näherer Blick auf die handelnden Personen - gleich alt und vollkommen gegensätzlich von Herkunft, Geschlecht, Religion, Ausbildung und familiären Umständen - machte wahrscheinlich, daß es scheitern werde.
Beide waren sich darüber auch selbst klar, nahmen sogar ihre Gegensätzlichkeit als Erklärung zu Hilfe, um plausibel zu machen, warum sie einander bekriegen müßten. Frau Merkel beschrieb sich und ihn vor eineinhalb Jahren einmal als "sehr unterschiedliche Charaktere mit sehr unterschiedlichen Biographien" und fand für den Machtkampf die Bezeichnung eines "natürlichen Wettbewerbs"; Merz gab an, beide seien "in unterschiedlichen politischen Systemen großgeworden"; auch sprach er gelegentlich von einer "naturgegebenen Konkurrenz".
Nun hat der Unterlegene drei Monate nach seinem Amtsverlust in einem Zeitungsgespräch, das für den Informationsbrief "Hauptstadtdienst" geführt und zugleich auch in der "Berliner Zeitung" gedruckt wurde, zu erkennen gegeben, daß er die Niederlage nicht akzeptiert: "Man muß in der Politik manchmal einen Schritt zurückgehen, um anschließend zwei Schritte nach vorn machen zu können." Und Merz fügt, wider den Eindruck der Verletztheit, die aus seinen Sätzen spricht, hinzu: "Ich bin da ziemlich emotionslos; wahrscheinlich mußte auch ich diese Erfahrung einmal machen." Außerderm relativiert er seine Niederlage mit dem Satz: "Ich glaube, daß ich eine Kampfabstimmung in der Fraktion gewonnen hätte." Das Wohl der Partei habe ihn bewogen, darauf zu verzichten.
Die kommentierenden Stimmen des Wochenendes aus der Parteiführung deuten an: Es geht jetzt wieder los. Die Getreuen der Parteivorsitzenden, etwa der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Böhr, äußern sich mit Bekundungen wie: "Angela Merkel war und ist die absolute Nummer eins der CDU. Sie macht ihre Arbeit sehr gut." Die Lösung, Partei- und Fraktionsvorsitz zu vereinen, sei die beste für die Oppositionsarbeit der Union. So sagte das auch der mecklenburg-vorpommersche CDU-Vorsitzende Rehberg, der Merz empfahl, er solle sich "auf seine Kerngebiete Wirtschaft, Finanz- und Steuerpolitik konzentrieren". Die Schar der Anhänger Merz', oder jedenfalls der einstigen Gegner Frau Merkels, mischen am Wochenende Lob mit Tadel, wobei der Tadel nur dem Zeitpunkt gilt. Er frage sich, ob das der Union in der gegenwärtigen Lage besonders helfe, sagte etwa der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Bosbach, und der brandenburgische CDU-Landesvorsitzende Schönbohm äußerte, er halte "Zeitpunkt und Art der Diskussion für unglücklich".
Solche vorsichtigen öffentlichen Kommentare geben einen Hinweis, daß in der Union manche hoffen, die Antwort auf die Machtfrage sei doch noch nicht endgültig gefunden. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende selbst hegt womöglich eine solche Ahnung, jedenfalls ließ sie sich in einem eigenen Zeitungsgespräch, das sie am Wochenende dem Spiegel gab, zu der Feststellung reizen: "Ich bin als Parteivorsitzende ganz unangefochten die Nummer 1 in der CDU und auch die Vorsitzende der gemeinsamen Fraktion."
Allerdings gesteht die Nummer 1, angesprochen auf die weitergehenden Ambitionen des hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Koch, durchaus abermals zu, daß es "Wettbewerb" in den Parteien gebe. Bislang hat sie diesen "Wettbewerb" eher als Bedrohung empfunden und als - vergebliches - Bemühen anderer, sie in ihrem Aufstieg an die Partei- und Fraktionsspitze zu hindern. Vor ihrer offiziellen Kandidatur zur Parteivorsitzenden sah sie mit begründetem Argwohn auf ein vertrauliches Treffen der Unionspolitiker Merz, Rühe, Stoiber und Biedenkopf zu Beginn des Jahres 2000, auf dem die Möglichkeit erörtert wurde, Biedenkopf zu einem Übergangsvorsitzenden in der Partei zu machen. Die bald darauf von der Sympathiewoge der CDU-Mitglieder an die Spitze getragene Vorsitzende zeigt allgemein Unbehagen über einen solch "männerbündlerischen" Politikstil; sie ist umgekehrt Ziel von Beschuldigungen, mit grundlegendem Mißtrauen ausgestattet zu sein, das womöglich aus ihrer Sozialisation in der DDR herrühre, das sie jedenfalls unfähig mache, im Team zu arbeiten und loyal mit anderen umzugehen. So sprach auch Friedrich Merz am Wochenende über die Parteivorsitzende: Sie sei "leider nie bereit" gewesen, "sich in den Wochen vor der Wahl in der öffentlichen Pesonaldebatte um meine Person schützend vor mich zu stellen".
Merz deutet durch seine Wortwahl an anderer Stelle in dem Interview vom Wochenende freilich selbst an, daß seine Vorstellungen von "Loyalität" und von "Team" sich auf einen Kollegenkreis beziehen, zu dem eine Person wie die Partei- und Fraktionsvorsitzende nach seinem Empfinden gar nicht gehören kann. Nach seinem Verhältnis zu Roland Koch gefragt, sagt er: "Für mich ist persönliche Solidarität und Loyalität keine Einbahnstraße. Ich habe Roland Koch immer verteidigt, als er sich in den Wirren des Parteispendenskandals verfing. Wir sind in der Jungen Union groß geworden, kennen uns seit rund fünfundzwanzig Jahren. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen. Wir haben uns gegenseitig keine Dankesschuld abzutragen. Zwischen uns - und da beziehe ich andere wie etwa Peter Müller aus dem Saarland mit ein - herrscht so etwas wie eine Grundloyalität. Wenn dann auch noch die Personen dazu passen und sich emotional auf einer Linie bewegen, dann fällt der Rest leicht." Die CDU hat es schwer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2002, Nr. 292 / Seite 3 |