| | Branchen-Analyse Pharmaaktien sind keine sichere Bank mehr Von Carsten Knop
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10. Dezember 2004 Pharmaaktien gelten als sichere Bank, gar als sinnvolle Anlagemöglichkeit für Witwen und Waisen - bis es zur Katastrophe kommt. Das ist den Aktionären des amerikanischen Pharmaunternehmens Merck & Co. in diesem Jahr passiert, denen der deutschen Bayer AG schon im Jahr 2001. Der nach Pfizer zweitgrößte amerikanische Pharmakonzern Merck & Co. mußte Ende September sein Schmerzmittel Vioxx vom Markt nehmen. Die Nachricht löste einen Kurssturz aus. Die Aktionäre wurden auf dem Papier innerhalb kürzester Zeit um 30 Milliarden Dollar ärmer.
Bayer leidet noch heute unter dem vergleichbaren Fall Lipobay - das Unternehmen mußte sich in der Folge eine völlig neue Strategie geben. Die Ambitionen im Pharmageschäft sind deutlich kleiner als früher. Eine sichere Bank ist die Branche somit nicht. Die hohen Renditen, die hier erzielt werden, müssen als Risikoprämien verstanden werden. Schlechtere Entwicklung als der Gesamtmarkt Doch auch abseits solcher Krisenfälle haben die Pharmaaktien ihren Besitzern seit dem Jahr 2002 nicht mehr viel Freude bereitet. Die Diskussionen über leere Forschungspipelines, zahlreiche Medikamente, für die in den kommenden Jahren die Patente auslaufen, und zunehmende staatliche Eingriffe in die Gesundheitssysteme aller industrialisierten Länder der Welt haben dazu geführt, daß sich die Pharmaaktien in den vergangenen beiden Jahren schlechter entwickelt haben als der breite Markt. Nach einer Auswertung der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs haben Pharmawerte in den Jahren 2003 und 2004 um jeweils 13 Prozent schlechter abgeschnitten als der gesamte Aktienmarkt (siehe Graphik). Die meisten großen Pharmakonzerne notieren mit ihren Papieren zur Zeit dann auch nur zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 bis 14, bezogen auf den im Jahr 2004 erwarteten Gewinn. Beim S&P 500 liegt dieses Verhältnis bei rund 17. So niedrig waren Pharmaaktien seit den kontroversen Gesundheitsreformdiskussionen unter Präsident Bill Clinton in den neunziger Jahren nicht mehr bewertet. Die grundsätzlichen Gründe, die für eine langfristige Geldanlage in Pharmaaktien sprechen könnten, sind aber intakt geblieben: Es handelt sich schon heute um einen riesigen Markt mit einem Volumen von mehr als 300 Milliarden Dollar im Jahr. Fortschritte in der Biotechnologie führen zur Entdeckung neuer Medikamente und verkürzen, zumindest theoretisch, die Entwicklungszeit. Der Anteil der Personen an der Weltbevölkerung, die älter als 65 Jahre sind, nimmt unterdessen stetig zu - und in dieser Altersklasse werden dreimal so viele Medikamente konsumiert wie von jüngeren Menschen. Zudem steigt nach einer Zeit der Dürre die erwartete Zahl der Neuzulassungen von innovativen Medikamenten bis 2007 wieder erheblich. Wie vor diesem Hintergrund das Pharmageschäft funktioniert und welche Chancen und Risiken in den Aktien grundsätzlich stecken, läßt sich am Beispiel von Pfizer, dem größten Pharmakonzern der Welt, zeigen. Denn gerade in der Bewertung des Pfizer-Papiers spiegeln sich alle Branchenentwicklungen zugleich wider: Pfizer hat in den vergangenen Jahren mit Pharmacia und Warner Lambert zwei große Wettbewerber gekauft und symbolisiert damit die Konsolidierung, die sich auf dem Markt vollzogen hat. Auslaufende Patente müssen ersetzt werden In den Jahren zwischen 2005 und 2007 wird der Konzern nach den Worten seines Vorstandsvorsitzenden Henry McKinnell andererseits mit dem Ablauf der Patente von mehr als einem halben Dutzend Medikamenten konfrontiert sein. Das betroffene Umsatzvolumen beläuft sich auf 14 Milliarden Dollar oder rund ein Viertel des Konzernumsatzes. "Dies sind harte Zeiten, wir stehen vor Patentausläufen für Medikamente, die für unser Wachstum verantwortlich waren", sagte McKinnell Ende November auf einer Veranstaltung in einem Pfizer-Forschungslabor in Groton (Connecticut). Zwar gehört die Neuproduktpipeline von Pfizer nach Einschätzung der Analysten der UBS zu den besten der Branche: Zwischen 2004 und 2006 werde Pfizer bis zu neun Medikamente auf den Markt bringen, die jeweils ein Vermarktungspotential von mehr als 1 Milliarde Dollar haben. Doch werden diese Neueinführungen die Umsatzverluste durch die Patentausläufe zumindest innerhalb der nächsten drei Jahre wohl nicht ausgleichen können. Hinzu kommt: Zu den Erfolgen bei der Entwicklung hat nur zu einem geringen Teil die eigene Forschung beigetragen. Manche Hoffnungsträger wurden hinzugekauft, andere von deutschen oder europäischen Partnern wie Altana in Bad Homburg, dem größten deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim oder dem französischen Konzern Sanofi-Aventis entwickelt und nun gemeinsam vermarktet. Die steigende Zahl dieser Partnerschaften ist eine weitere wichtige Marktentwicklung, und offenbar ist kein anderes Unternehmen der Branche für Partner so attraktiv wie Pfizer. Die Amerikaner haben viel Geld und eine Vermarktungsmacht, die ihresgleichen sucht. Auch nach Ansicht von Barbara Ryan, Analystin bei der Deutschen Bank, wird der Konzern damit mehr und mehr zu einem Portfolio-Manager und so zu einem Vorbild für viele andere große Pharmakonzerne: "Starke Unternehmen werden in dieser Branche überleben, und sie werden eher mehr wie Pfizer aussehen als weniger", sagt Ryan. Was zählt ist die Produktpipeline Zu diesen starken Unternehmen zählen wohl auch die britische Glaxo Smith Kline und die französische Sanofi-Aventis. Für Glaxo geht 2004 ein Übergangsjahr zu Ende - auf auslaufende Patente hat der Konzern mit einem Sparprogramm reagiert, auf dem Asthma- und Diabetes-Markt ist das Unternehmen aber gut positioniert. Zudem ist die Produktpipeline zumindest mit Präparaten im frühen Forschungsstadium ausreichend gefüllt; die Organisation der Forschung und Entwicklung wurde vollkommen umgekrempelt. Die Zahl der Präparate, die sich im Stadium klinischer Tests befinden, ist binnen Jahresfrist um 41 Prozent gestiegen. Mit einer guten Forschungspipeline glänzt auch das aus dem Kauf von Aventis durch Sanofi-Synthélabo in diesem Jahr neu entstandene Unternehmen Sanofi-Aventis. Wohl wegen der Frage, wie gut es den Franzosen gelingen wird, die beiden früher getrennten Unternehmen nach einem harten Übernahmekampf zu einer schlagkräftigen Einheit zusammenzuschließen, notiert die Sanofi-Aventis-Aktie zur Zeit mit einem Abschlag von rund 10 Prozent gegenüber der Konkurrenz. Aber das muß ja nicht so bleiben. Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.12.2004, Nr. 286 / Seite C12 Bildmaterial: F.A.Z.
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