Handelsblatt: Professor Shiller, alle Konjunktursignale deuten darauf hin, dass sich die Immobilienkrise in den USA weiter zuspitzt. Die Hauspreise sinken, die Zahl der Zwangsversteigerungen steigt und große Baukonzerne rutschen in die roten Zahlen. Haben wir die Talsohle noch nicht erreicht?
Shiller: Nein, das glaube ich nicht. Es wird noch viel weiter nach unten gehen. Wir befinden uns in der Bremsphase. Jeder Monat ist etwas schlechter als der Vormonat. Irgendwann sind wir am Wendepunkt. Aber das sehe ich noch nicht. Obwohl es in Boston und Denver erste Anzeichen einer Wende bei den Hauspreisen gibt.
Sie bleiben also pessimistisch?
Bislang sind die Hauspreise ja nur um etwa 3,9 Prozent zurückgegangen. Wenn das so weiter geht und die Zinsen für die flexiblen Hypothekenkredite nach oben angepasst werden, müssen wir uns auf ein pessimistisches Szenario einstellen. In einigen Regionen könnten die Hauspreise über mehrere Jahre hinweg inflationsbereinigt um bis zu 50 Prozent fallen.
Wie lange wird es dauern, bis Amerika diese Krise überwunden hat?
Das kann ein Jahrzehnt dauern. Die Terminmärkte signalisieren bereits weitere Preisrückgänge zwischen fünf und zehn Prozent im nächsten Jahr. In Befragungen mit Hauskäufern haben wir festgestellt, dass selbst die Preiserwartungen für die nächsten zehn Jahre rückläufig sind.
Wie wird sich das auf den Rest der Wirtschaft auswirken?
Es ist die größte Immobilienblase, die es jemals gegeben hat. Wir haben es also mit einer neuen Qualität zu tun und können nur wenig über die Folgen sagen. Entscheidend wird sein, wie sich der Wohlstandseffekt auf den privaten Konsum auswirkt. Die Amerikaner haben eine sehr geringe Sparquote, sie liegt fast bei null. Das heißt, sie konsumieren sehr viel. Ich kann mir also vorstellen, dass die Konsumfreude deutlich nachlässt, wenn der Immobilienmarkt zusammenbricht.
Gibt es eine Rezession?
Ökonomen haben mit Hilfe ökonometrischer Modelle den negativen Wohlstandseffekt untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es zwar nicht unbedingt eine Rezession geben wird, wohl aber eine deutliche Abschwächung des Wachstums. Ich würde dennoch angesichts der unge-wöhnlichen Probleme im Subprime-Sektor sagen, dass die Gefahr einer Rezession recht groß ist und das Risiko mit etwas mehr als 50 Prozent einschätzen.
War es also richtig, dass die US-Notenbank die Zinsen kräftig gesenkt hat?
Die Zinssenkung um 50 Basispunkte war gar nicht so aggressiv. Man muss bedenken, dass auch die Inflation zurückgegangen ist. Die Fed hat also nur den realen Zinssatz wieder ins Lot gebracht. Dennoch hat der Schritt natürlich eine sehr große symbolische Bedeutung, weil die Märkte darin einen Wendepunkt in der Geldpolitik sehen.
Sie rechnen mit weiteren Zinssenkungen?
In ihrer Erklärung lassen die Notenbanker alle Optionen offen. Aber wenn es mit dem Immobilienmarkt weiter bergab geht, und damit rechne ich, wird die Fed die geldpolitischen Zügel weiter lockern.
Hilft die Notenbank damit nicht jenen Investoren aus dem Schneider, die sich gierig in riskante Anlageformen gestürzt haben?
Das Problem des „moral hazard“ lässt sich beim Risikomanagement nie ganz vermeiden. Aber die Aktion der Fed kann tatsächlich zu so etwas wie dem „Greenspan-Put“ führen. Heute spricht man über den „Bernanke-Put“, weil die No-tenbank die Märkte stützt. Das ist nicht wirklich neu, sondern gehört zur amerikanischen Tradition des Krisenmanagements. Vermutlich muss man ein paar Probleme mit dem „moral hazard“ in Kauf nehmen, um das Vertrauen in das Finanzsystem zu erhalten.
<!--nodist-->Lesen Sie weiter auf Seite 2: „Wirtschaft kommt nicht ohne ein Mindestmaß an Vertrauen und Integrität aus“
Sind Sie überrascht, dass der Aktienindex Dow Jones trotz Finanz- und Immobilienkrise immer noch weit über 13.000 Punkte steht?
Das zeigt, dass der Aktienmarkt ein riskanter Platz ist. Die Volatilität hat stark zugenommen. Solche Schwankungen gehen oft einem Markteinbruch voraus. Ich mache mir also etwas Sorgen, wenn ich an den Oktober denke. In diesem Monat ist es schon häufig zu Einbrüchen an den Akti-enmärkten gekommen.
Hat die Fed die Krise zu spät bemerkt?
Die Krise hat einige Facetten, die neu und deshalb überraschend waren. Die Probleme im Subprime-Bereich und das hohe Maß der Verbriefung (securitization) zum Beispiel. Auch die Ratin-gagenturen haben Fehler gemacht.
Wie soll der Staat jetzt reagieren, mit neuen Regeln etwa?
Es gibt eine Krise und die Politik reagiert darauf – so macht man Fortschritte. Nach dem Crash in den 30er Jahren wurden viele neue Institutionen geschaffen. Die Einlagenversicherung FDIC zum Beispiel. Wir haben jetzt eine neue Immobilienkrise und das ist eine gute Zeit darüber nachzudenken, was wir verändern müssen.
An was denken Sie konkret?
Zum Beispiel an einen verstärkten Schutz für Konsumenten. So etwas wie eine Financial Product Safety Commission. Für andere Produkte gibt es das bereits. Eine nationale Aufsichtsbehörde sollte darauf achten, dass Konsumenten anständig behandelt werden.
Brauchen wir auch eine Aufsichtsbehörde für die Ratingagenturen?
Das ist ein interessanter Gedanke. Die Bonitätsprüfer bekommen ihr Geld von den Instituten, deren Finanzprodukte sie prüfen. Das ist nicht ideal. Eine Reform ist aber schwierig. Die Wirtschaft kommt nicht ohne ein Mindestmaß an Vertrauen und Integrität aus.
Was bedeutet die Krise für die Finanzinnovation? Sind wir mit der Syndizierung von Risiken zu weit gegangen?
Einige der Probleme mit der Verbriefung hängen damit zusammen, dass zum Beispiel Hedge-Fonds kaum Transparenz- und Registrierungspflichten unterworfen sind. Zusätzliche Transparenz könnte helfen.