Die Stunde der Patrioten Der Kanzler distanziert sich, die SPD teilt aus - Auf der Strecke bleiben die wichtigen Fragen Von Nikolaus Blome
Patriotismus kontra Globalisierung: Während sich deutsche Manager den internationalen Markt anpassen und im Ausland Arbeitsplätze schaffen, um selbige zu Hause zu sichern, nennen Teile der SPD solche wirtschaftlichen Zwänge unpatriotisch.
Berlin - Vorhang auf für eine Debatte, die im Ausland "typisch deutsch" genannt werden wird: DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun "handelt unpatriotisch, wenn er deutschen Unternehmen empfiehlt, ins Ausland zu gehen". Sagt der neue SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter. "Ein unpatriotischer Akt". So der Kanzler. "Vaterlandslos (...) sind Grüne und Sozialdemokraten, die deutsche Unternehmen ins Ausland vertreiben." Sagt FDP-Chef Guido Westerwelle. "Das Handwerk hat lebenslänglich Deutschland. Das ist auch Patriotismus." So Handwerksverbandschef Dieter Philipp. Das Echo aus dem Lager der Unternehmenschefs ist gespalten. Dann, am Montagnachmittag, liest Gerhard Schröder endlich nach, was Braun wirklich gesagt hat, greift zum Telefon und distanziert sich von "Aufgeregtheiten in der SPD". Antwort Brauns: "Was wir brauchen, ist ein Reformpatriotismus."
Alles wieder gut? Alles nur ein Missverständnis, weil selbst theoretisch nicht mehr als fünf Prozent der deutschen Arbeitsplätze für Verlagerung in Frage kommen, stattdessen aber allein 2003 rund 175 000 durch Pleiten und Rationalisierung verschwanden?
Nein. Schon auf dem SPD-Sonderparteitag am Sonntag hatte Franz Müntefering den Ton vorgegeben: Unternehmen dürften von dort, "wo sie mit den Menschen reich geworden sind", nicht "für 2,50 Euro weglaufen, wenn Gegenwind herrscht". Das gehöre zu "Unternehmermoral und Ethik". Die Delegierten applaudierten hellauf begeistert. Für viele von ihnen ist der Staat wie eh' und je in seinen nationalen Grenzen sowohl aufgerufen als auch stark genug, der Wirtschaft die Bedingungen ihres Wirtschaftens zu diktieren. Koste es, was es wolle.
Denn Unternehmerkritik hat tiefe Wurzeln in der Sozialdemokratie. Viele davon sind längst gekappt, spätestens unter dem zeitweiligen "Genossen der Bosse", Gerhard Schröder. Derzeit erwächst der meiste Unmut aus zwei frischen Strängen: SPD und Kanzler werfen mehreren Verbandschefs der Industrie und der Arbeitgeber vor, sich im Wahlkampf 2002 allzu willfährig auf die Seite der Union geschlagen zu haben. Über Monate herrschte Eiszeit, das persönliche Vertrauen gilt weiterhin als zerrüttet.
Die SPD erscheint derzeit wie auf der Suche nach einem "Feindbild", das die eigenen Reihen schließen könnte. Einzig die Wirtschaft wird dafür verantwortlich gemacht, dass nicht alle Schulabgänger eine Lehrstelle finden, weshalb die Unternehmen im Wiederholungsfall Strafe zahlen sollen. Mindestens im Kanzleramt schwingt zudem das Gefühl mit, die Unternehmen seien undankbar: Gegen alle Widerstände seien wirtschaftsfreundliche Reformen durchgepaukt und die Steuern besonders für Aktiengesellschaften gesenkt worden - doch zurück käme nur Häme.
Im Grunde aber scheint der "Patriotismus"-Streit nichts anderes zu sein als eine weitere Facette des Ringens der Sozialdemokraten um Schröders Reformen: Dessen Agenda 2010 nimmt Globalisierung und internationalen Wettbewerb als gegeben an und sucht nach den Veränderungen, die am deutschen Sozial- und Arbeitsmarktsystem nötig sind, um bestmöglich damit zurecht zu kommen. Nicht viel anders gehen Unternehmen vor, wenn sie über Produktionsstandorte entscheiden - nicht erst seit gestern: Was die EU-Osterweiterung den Unternehmen an Chancen bringt, wird längst genutzt und erreicht keineswegs neue Dimensionen, wenn die Osteuropäer am 1. Mai formal beitreten. Mitte der 90er Jahre plante etwa das Heiztechnik-Unternehmen Viessmann, neue Produktionsteile in Tschechien anzusiedeln, der Lohnkosten wegen. Die deutsche Belegschaft bot drei Stunden unbezahlter Mehrarbeit an und rettete die Jobs, während die IG Metall gegen die Betriebsvereinbarung klagte. Heute geht es einem Unternehmen wie Audi nicht mehr allein um geringere Lohnkosten, schon gar nicht um Sozialdumping. Der Autobauer hat ein Werk in Ungarn eröffnet, weil es kleiner als im Inland sein kann, wenn die Belegschaft, anders als in Deutschland, je nach Bedarf und nicht nach Regelarbeitszeit am Band steht. Diese Möglichkeit besserer Auslastung spart Investitionen.
Deshalb meint die Kritik der Linken an der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins produktionsgünstigere Ausland das gleiche wie ihre Kritik an gelockertem Kündigungsschutz oder der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose in Deutschland. Und deshalb wird sich der Streit um die Reformen zumindest im Berliner Betrieb bald wieder vom Begriff des "Patriotismus" lösen.
Bei all dem gibt es Fragen, die sich trotz all der Anti-Rhetorik der SPD ernsthaft stellen: Wenn sich bei großen Konzernen überhaupt noch sagen lässt, sie seien "deutsch", was schulden sie dann Deutschland? "Eigentum verpflichtet", heißt es im Grundgesetz-Artikel 14. "Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Aber wie? Nachweislich macht eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland die im Inland verbleibenden insgesamt sicherer - aber reduziert sie zugleich. Und wenn allein die Verlagerung eines Teils die Rettung des ganzen Unternehmens bedeutet, kann sie nicht unmoralisch sein. Zwar gibt es keine Teststelle für lupenreinen deutschen Patriotismus - aber Konkurs ist nicht Bürger- und auch nicht Firmenpflicht. Messen die Unternehmen sich und das Land an derselben Elle, stellt sich noch eine Frage: Verbandsvorsitzende und Konzern-Chefs rufen mit guten Argumenten zum Verzicht auf Sozialleistungen und Lohnzuwächse auf. Müssten sie dann nicht auch selbst bereit sein, auf einen Teil erzielbarer Rendite zu verzichten - wenn maximale Rendite nur um den Preis des Wegzuges möglich ist?
Allein: Wie patriotisch darf ein angestellter Vorstandschef überhaupt sein, wenn Patriotismus etwas kostet und er nicht wissen kann, wie viel seine Aktionäre sich davon leisten mögen? Wer aber "Patriotismus" wie eine Keule benutzt, der verhindert, dass sich gerade international agierende Unternehmen sinnvoll mit Fragen von Moral und Ethik auseinander setzen. Die SPD tut sich keinen Gefallen.
© Berliner Morgenpost 2004
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