FM Fracht+Materialfluss 06.03.2007 Just-in-Time-Versorgung der Luftfahrtindustrie
Airbus Industries in Laupheim verbessert Logistik mit Lagerverwaltungssystem
Auslieferung von Fertigbauteilen für den A 380, die Steuerung und Durchführung der innerbetrieblichen Transporte auf dem Werksgelände sowie die Beschaffungs- und Fertigungsmittellogistik – bei der Prozesssteuerung komplexer Lagerstrukturen, zur Sicherung der Prozessqualität sowie zur termingenauen Produktionsversorgung des Airbus-Werks Laupheim setzt Kontraktlogistiker Stute Verkehrs GmbH auf das Warehouse-Management-System PSI WMS.
Wenn Leonid Stadnik sich neu einkleiden möchte, bekommt er Probleme. Mit einer Körpergröße von 2,53 m ist der gebürtige Ukrainer der größte Mensch der Welt. Was ihm passt, können nur wenige Hersteller anbieten. Wenn ein führender Flugzeugbauer wie Airbus beschließt, das mit 73 m Länge, gut 24 m Höhe und fast 80 m Spannweite größte Flugzeug der Welt in Serie zu fertigen, sind die Herausforderungen ähnlich gelagert – aber ungleich größer: Das 555-sitzige Großraumflugzeug A 380 muss strengste internationale Zulassungsvorschriften erfüllen. Für die Fertigung unterhält Airbus Industriekooperationen und -partnerschaften mit bedeutenden Unternehmen und ein Netz von Zulieferern in der ganzen Welt. Die entsprechenden Bauteile entstehen auf den Montage und Teilmontagebändern der Produktionsstätten von Airbus nach einem genau synchronisierten System. Die von anspruchsvollen zeitlichen Vorgaben geprägte Logistik zur Teileversorgung der Montagebänder sowie der zentralisierten Lagerhaltung übernehmen speziell eingerichtete Materialwirtschaftszentren (MWZ). Beispiel: Das Materialwirtschaftszentrum für die Airbus Deutschland GmbH im schwäbischen Laupheim.
Seit Februar 2006 versorgt der rund 13 500 m² große Komplex des Materialwirtschaftszentrums das Airbus-Werksgelände – ein wichtiger Modul-Lieferant für alle Airbus-Flugzeugmodelle. Betreiber des Materialwirtschaftszentrums ist die Stute Verkehrs GmbH, Bremen, ein Tochterunternehmen der Kühne & Nagel (AG & Co) KG. Zentrale informationstechnische Grundlage für die effizienten Abläufe bei der Bewirtschaftung des Materialwirtschaftszentrums mit dem neuen Hochregallager sowie der zwei bestehenden Altläger ist das Warehouse-Management-System PSI WMS der PSI Logistics GmbH, Berlin. Denn mit dem Leistungsvermögen der Software und dem zuverlässigen Projektmanagement bei der Implementierung konnte der zum PSI-Konzern gehörende Spezialanbieter von Software-Lösungen für Logistikanwendungen Stute bereits in mehreren Referenzanwendungen, unter anderem am Airbus-Standort Hamburg-Hausbruch, überzeugen, wo PSI WMS seit 2004 bei der Optimierung der logistischen Prozessketten zum Einsatz kommt. Das WMS der Berliner Software-Spezialisten zählt zu den umfassendsten Plattformen für effiziente Prozesse im Warehousing-Bereich.
Gemäß den Airbus-Anforderungen waren auch die Vorgaben für das Warehouse-Management-System, das die Lagerung und termingerechte Fertigung von Bauteilen für die Innenausstattung von Airbus-Flugzeugen am Standort Laupheim sichern soll, eindeutig: „Optimierte Abläufe, Transparenz und ganzheitliche Steuerung der Prozesse – von der Materialbeschaffung über die Ein- und Auslagerung und den Versand bis hin zur termingerechten Belieferung der Produktion“, erklärt Hergen Tönnies, Bereichsleiter Logistik der Stute Verkehrs GmbH.
Ungeachtet der spezifischen Anforderungen, die ein Höchstmaß an individuellen Zuschnitten der Software, dem so genannten Customizing, erforderten, konnte das modular konzipierte WMS innerhalb von knapp sechs Monaten installiert werden – „pünktlich und zeitgerecht und ohne großen Aufwand“, urteilt Tönnies. „Die Funktionen der Software wurden schnell und zielsicher auf unsere Anforderungen zugeschnitten.“ Differenzierte Bestandsverwaltung unter anderem nach Verfügbarkeit, Fertigungsdatum, Sonder- und Konsignationsbestand oder die Berücksichtigung spezieller Vorgaben bei Mindesthaltbarkeitsdaten (MHD) beispielsweise für Gummiprodukte und Klebstoffe oder die Einbindung der luftfahrttechnisch vorgeschriebenen durchgängigen Rückverfolgbarkeit auf Charge und Lot sind dabei fast zu normalen Funktionsumfängen von PSI WMS geworden.
10 000 Palettenstellplätze gibt es im Hochregallager (HRL), weitere 10 000 Palettenstellplätze stehen in einer Verschieberegalanlage zur Verfügung. Hinzu kommen 13 000 Paletten, die konventionell gelagert werden können, sowie 8 000 Stellplätze in einem Fachbodenregal. Insgesamt erfolgen für die Beschaffungslogistik, die Fertigmittellogistik, das Handling und den Versand von Fertigteilen sowie für die rund 112 000 internen Transporte zur Produktionsversorgung auf dem Werksgelände in Laupheim jährlich etwa 120 000 Ein- und 273 000 Auslagerungen. Hinzu kommen 14 500 Lagerspiele im Hochregallager bei der Behandlung von Fertigungsmitteln. Darüber hinaus sind täglich ein bis zwei Transporte zwischen den Airbus-Standorten Laupheim und Hamburg zu organisieren. Das MWZ Laupheim übernimmt auch Aufgaben als Pufferlager für Fertigteile zur Endmontage von Baugruppen des A 380 in Hamburg. „Dabei erfolgen die Bestandsführung und Prozessteuerungen generell vom WMS“, so Tönnies.
Die Erfassung des mehrstufigen, per Avis aus dem überlagernden Host-System gemeldeten Wareneingangs erfolgt mit eingebetteter Qualitätssicherung und einer probenbezogenen Einlagerungsstrategie. Für Material, das zur Direktanlieferung an die Produktionsstätten vorgesehen ist, erzeugt WMS die entsprechenden Transportaufträge. Vollgüter aus der Produktion, die für den Versand nach Hamburg vorgesehen sind, werden in verplombten Containern gepuffert, bis sie eine Ganzsendung ergeben. Dabei sorgt die Bestandsführung durch das Lagerverwaltungssystem dafür, dass die Einzelcontainer zur optimalen Frachtraumnutzung gegebenenfalls von Stute zusätzlich befüllt werden. Kleinteile kommen auf Tablaren im Automatischen Kleinteilelager mit 16 Paternoster-Systemen zur Einlagerung, die von WMS als jeweils eigener Lagerbereich verwaltet werden.
Auslagerungen werden nach Produktionsversorgung, Versandaufträgen und Eilaufträgen unterteilt und im Auftragsmanagement nach Optimierungsstrategien geklammert. Außerhalb des Hochregallagers, wo die Werkzeuge, die so genannten Fertigungsmittel, gelagert sind, werden alle Lagerbewegungen und die zweistufige Kommissionierung nach dem Prinzip ,Mann zur Ware‘ wegoptimiert und beleglos über Datenfunk gelenkt. Dabei ermöglicht die Auftragsbearbeitung mit dem Warehouse-Management-System auch die Planung lieferterminabhängiger Aufträge sowie spezieller Eilaufträge mit sehr kurzen Lieferzeiten. In der mehrstufigen Auftragszusammenführung sortiert das WMS bis zu 999 Auftragsstufen unter anderem nach Prioritäten, Beständen und Terminvorgaben und bildet – für den Versandcontainer zum Werk in Hamburg – Auslieferungseinheiten mit produktionskonformen Abladereihenfolgen für verschiedene Abgabestationen.
Die innerbetrieblichen Transporte zur zeitnahen Versorgung der Airbus-Produktionsstätten auf dem Werksgelände in Laupheim erfolgt mit Elektro-Fahrzeugen. Die entsprechende Tourenplanung für alle Transporte dieser Shuttlezüge, die Auftragszuordnung und Ladereihenfolge liegen in der Verantwortung des Lagerverwaltungssystems. Parallel zur Versorgung der Produktionsstätten werden mit den innerbetrieblichen Touren Leergutbehälter aufgenommen, die per Avis gemeldet und im Leergutlager vereinnahmt werden. Für diese Aufnahmetransporte generiert das Host-System die Aufträge.
Weitere Besonderheit: „Über die Transportsteuerung von PSI WMS erfolgt bei Stute in Laupheim in einem erweiterten Funktionsumfang der Software auch die Verteilung von Verbrauchsmitteln wie Büroartikel und die Auslieferung der Eingangspost an die Empfänger-Abteilungen“, erläutert Hartmut Braun, Senior Berater von PSI Logistics. „Nach Poststellen gebündelt generiert das WMS dabei spezielle Transportaufträge auch für die Eingangspost.“ Für den projektspezifischen Datenaustausch von Stammdaten, Wareneingangsdaten sowie Planungs- und Auftragsdaten mit dem Airbus-Host (SAP R/3) sorgen zudem – in Abhängigkeit der jeweiligen Geschäftsprozesse – mehrere WMS-Schnittstellen für Idocs (Intermediate Documents).
„Darüber hinaus können wir mit PSI WMS die Prozesse der Kunden, sowohl der Lieferanten von Kaufteilen als auch der Produktionsstätten von Airbus, transparent abbilden und mit zahlreichen Funktionen Leistungsindikatoren, Inventur und Statistiken abrufen“, resümiert Tönnies. „Auf diese Weise sorgt das Warehouse-Management-System nicht nur für effiziente Warenflüsse und einen wirtschaftlichen Betrieb des komplexen Lagers, sondern gewährleistet auch die anspruchsvolle Integration des Materialwirtschaftszentrums in die Fertigungs- und Montageprozesse von Airbus.“ Ein Maß an Flexibilität, das ein Leonid Stadnik sich wahrscheinlich auch von manch einem Textilwarenhersteller oder Schuhproduzenten wünschen würde.
Rainer Barck |