http://www.abendblatt.de/daten/2008/11/21/976082.html
Freenet beschließt Kahlschlag in Elmshorn 500 Jobs fallen bei der Tochter Talkline weg. Standort Hamburg von Kürzungen kaum betroffen. Von Volker Mester
Die Mitarbeiterin am Empfang bei Talkline in Elmshorn versucht, den Fotografen abzuwehren. Informationen über das Unternehmen gibt es nur noch von Freenet.
Hamburg - Kahlschlag vor den Toren Hamburgs: Der Büdelsdorfer Mobilfunkkonzern Freenet streicht 1000 Vollzeitstellen. Am härtesten trifft es den Standort Elmshorn mit mehr als 650 Arbeitsplätzen - er wird vollständig geschlossen. Den rund 160 Beschäftigten in der IT-Abteilung biete man eine Stelle im 80 Kilometer nördlich gelegenen Büdelsdorf an, sagte Freenet-Sprecherin Elke Rüther dem Abendblatt. Die übrigen rund 500 Stellen, vor allem im Kundenservice, fielen weg.
Bis wann die Streichungen umgesetzt werden und ob es dabei zu Entlassungen kommen wird, stehe noch nicht fest: "Die Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern beginnen erst."
Begründet wird der Jobabbau mit der Reduzierung von Doppelarbeiten nach der Übernahme des Stuttgarter Konkurrenten Debitel im Sommer. Elmshorn ist der Sitz der Debitel-Tochter Talkline. In der früheren Debitel-Zentrale in Stuttgart soll den Angaben zufolge rund die Hälfte der 600 Arbeitsplätze wegfallen. Auf den Standort Hamburg mit etwa 350 Freenet-Beschäftigten hätten die Pläne nur geringfügige Auswirkungen, sagte die Firmensprecherin. Insgesamt hatte der Konzern per Ende September rund 7700 Mitarbeiter, ungefähr die Hälfte von ihnen frühere Debitel-Angestellte.
"Wir wollen uns mit diesen Veränderungen optimal aufstellen, um am Markt angreifen und um in den vertriebsnahen Bereichen wachsen zu können", erklärte Freenet-Chef Eckhard Spoerr. Zusammen mit der "Verschlankung von zentralen Bereichen" werde dies "langfristig Arbeitsplätze in Deutschland sichern".
Spoerr hatte den Kauf von Debitel im Sommer gegen den heftigen Widerstand seiner Großaktionäre Drillisch und United Internet durchgesetzt. Der bisherige Debitel-Eigentümer, der Londoner Finanzinvestor Permira, erhielt im Gegenzug eine Kapitalbeteiligung von 24,99 Prozent an Freenet.
Durch die Übernahme der Stuttgarter Wettbewerber stieg Freenet mit 19 Millionen Mobilfunkkunden und 20 Prozent Marktanteil zum drittgrößten Anbieter in Deutschland nach T-Mobile und Vodafone auf. Unter den netzunabhängigen Anbietern hat Freenet sogar einen Marktanteil von 90 Prozent. "Die Konsolidierung der Serviceprovider-Landschaft in Deutschland ist damit weitgehend abgeschlossen", sagte Spoerr. Er will sich künftig auf die Mobilfunksparte (Marken: Mobilcom, Klarmobil und Debitel) konzentrieren, das Festnetzgeschäft mit den DSL-Internetzugängen steht zum Verkauf. Denn Spoerr ist überzeugt, dass das Internet per Handy nach und nach die Festnetzanschlüsse ablöst.
An der Börse stürzte der Kurs der Freenet-Aktie gestern um fast zehn Prozent auf 3,43 Euro ab. Dies sei offenbar nicht die Reaktion auf die Ankündigungen zur Restrukturierung, hieß es aus Analystenkreisen gegenüber dem Abendblatt. Zuletzt seien vielmehr erhebliche Zweifel aufgekommen, ob sich der geplante Verkauf des DSL-Geschäfts in absehbarer Zeit realisieren lasse. Zusammen mit der hohen Nettoverschuldung könne dies zur Belastung für Freenet werden. Erst am Vortag hatte United Internet als potenzieller Käufer der DSL-Sparte klargestellt, man sei nicht mehr interessiert.
Zwar hatte Freenet vorige Woche über einen Gewinnsprung im dritten Quartal auf 133 Millionen Euro (Ebitda) bei einem Umsatz von gut einer Milliarde Euro berichtet. Das defizitäre DSL-Geschäft hatte man aber herausgerechnet. Spoerr warnte zudem vor dem härter werdenden Wettbewerb auf dem Mobilfunkmarkt. Auch sei die Auswirkung der Rezession in Deutschland noch nicht absehbar.
erschienen am 21. November 2008
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Stimmen aus Elmshorn - und von direkt Betroffenen
Hans-Dieter Haase (60), Galerist aus Elmshorn: "Der Mensch zählt doch heute gar nicht mehr. Die Mitarbeiter sind für viele Chefs nur noch Nummern. Dabei haben doch die Beschäftigten Talkline aufgebaut. Und das sind jetzt auch die Ersten, die gehen müssen."
Björn Rohlff (32) , Betriebsrat bei Talkline: "Wir sind von den Nachrichten bestürzt. Das sitzt in den Knochen. Und als Begründung wird uns einfach gesagt, wir seien in der Kundenbetreuung 80 Prozent teurer als die anderen Standorte von Freenet."
Angelika Carstens (44), seit elf Jahren Kundenbetreuerin bei Talkline: "Ich habe Sozialversicherungsfachangestellte gelernt, bin aber über 40 Jahre alt. Es wird schwierig, wieder etwas Neues zu finden. Wahrscheinlich werde ich jetzt eine ganze Weile zu Hause sein."
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Bürgermeisterin hofft auf Betreiber für das Callcenter
Für Angelika Carstens wird der Weg ins Büro nie wieder so sein wie zuvor. Seit elf Jahren ist sie jetzt bei Talkline, dem Elmshorner Telekommunikationsanbieter, der sich mit seiner vorbildlichen Unternehmenskultur schon vor Jahren weit über die Grenzen der Stadt hinaus einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. Zur Philosophie gehörten regelmäßige Feedbackgespräche, Mitarbeiterbefragungen, das Prinzip der offenen Tür selbst in der Chefetage. Nicht selten bekamen die Talkliner Besuch von Bewunderern ihres Managements, die sich hier etwas abschauen wollten. "Wir haben immer gerne hier gearbeitet", sagt die 44-Jährige.
Doch das ist bald Vergangenheit. Die Firma, die mit Mobilfunkkunden und Call-by-Call-Nummern einmal gutes Geld verdient hatte, wanderte durch die Hände immer neuer Eigentümer. Jetzt steht Talkline, neben Unternehmen wie Kölln Flocken oder Autoliv einer der größten Arbeitgeber in Elmshorn, vor dem Aus. Zu teuer. Die Telekomfirma Freenet streicht nach der Übernahme ihres Rivalen Debitel jede siebte Stelle im Konzern, zu dem eben seit einigen Monaten auch Talkline gehört. Die Zentrale von Talkline in dem Städtchen gut 30 Kilometer von Hamburg entfernt, wo mehr als 650 Beschäftigte arbeiten, werde geschlossen, hieß es von Freenet. Etwa 160 Mitarbeitern werde ein Arbeitsplatz am Freenet-Standort im rund 80 Kilometer nördlich gelegenen Büdelsdorf angeboten. Angelika Carstens aber musste gestern in der Betriebsversammlung hören, dass sie ihre Stelle verliert. "Es war furchtbar, wie gefühllos die das gemacht haben", sagt die Kundenbetreuerin noch sichtlich verstört. "Und das, obwohl sie uns vor einem Jahr noch für unsere Superqualität gelobt haben. Und jetzt treten die einen einfach weg."
500 Menschen verlieren wie die Elmshornerin, Mutter einer erwachsenen Tochter, ihren Arbeitsplatz. "Das wird heftig werden." Einige Kollegen haben eine rote Talkline-Fahne aus dem Fenster gehängt, die im kalten November-Wind aus dem Bürokomplex im Gewerbegebiet flattert, andere haben ein Plakat an die Fensterscheibe geklebt: "Ausverkauf in Elmshorn! Nicht mit uns!", haben die Beschäftigten dort in ihrer spontanen Wut auf ein großes Stück Papier geschrieben.
Auch Bürgermeisterin Brigitte Fronzek versteht die Welt nicht mehr. "Im letzten Sommer bin ich richtig erleichtert in Urlaub gefahren. Damals hatte uns die Debitel-Führung die Standortgarantie für Elmshorn gegeben." Jetzt gibt es plötzlich keine Hoffnung mehr. "Dabei haben die doch immer gute Profite gemacht."
Bester Beweis: Talkline habe immer einen Großteil der Gewerbesteuern bezahlt, darauf konnten sich die 49 000 Elmshorner verlassen. 2006 waren das noch 31 Millionen Euro, dieses Jahr muss Fronzek mit 17 Millionen auskommen, heißt es von den Behörden. Der neue Eigentümer Debitel habe immer weniger an Steuern überwiesen, bald gibt es gar nichts mehr. "Dabei haben wir uns immer für die Firma bemüht, etwa Kindergartenplätze für die Mitarbeiter garantiert", seufzt Fronzek, "Talkline war einfach ein Teil von uns." Jetzt bleibt der Politikerin nicht mehr, als mit dem Betriebsrat und mit Freenet-Chef Eckhard Spoerr, der jetzt für Talkline verantwortlich ist, letzte Dinge zu besprechen. Wie die Schließung ablaufen soll. "Wir werden auch das Land Schleswig-Holstein einschalten", sagt Fronzek. Sie kämpft an allen Fronten, denn eine kleine Hoffnung bleibt ihr noch: "Vielleicht können wir wenigstens das Callcenter erhalten." Gut geschulte Leute und die entsprechende Infrastruktur, das sei doch alles da. "Jetzt brauchen wir nur noch einen Betreiber." ----------- nimms einfach hin ... |