Die US-Regierung wird nach den Worten des AIG-Chefs womöglich für immer der Haupteigentümer des ehemaligen Versicherungsgiganten bleiben. Bei der ersten Hauptversammlung nach der Implosion der American International Group (AIG) in New York sagte der von der Regierung im September eingesetzte Edward Liddy, es gebe keine Garantie dafür, dass sich an der staatlichen Beteiligung von knapp 80 Prozent jemals etwas ändern werde. Die Wahrscheinlichkeit sei jedoch groß, dass AIG die staatlichen Kredite über 83 Mrd. $ irgendwann zurückzahlen könne. Gebeutelten Aktionären - deren Papiere im Sog der Finanzkrise von 100 $ auf gut 1 $ gefallen sind - sprach Liddy sein Beileid aus.
An dem nur knapp einstündigen Aktionärstreffen nahmen im Gegensatz zu den Massenaufläufen der Vergangenheit weniger als 200 Aktionäre teil. Die Stimmung unter den Anlegern war erwartungsgemäß gedrückt, aber nur wenige nutzten die Gelegenheit, um ihrem Ärger über den Kollaps des einst wertvollsten Versicherers der Welt Luft zu machen. Das Aktionärstreffen fand in einem AIG-Gebäude an der Wall Street statt, das - ebenso wie so viele andere Firmenteile - bald verkauft werden soll, um Regierungskredite zurückzuzahlen. Anstatt eines Hochglanz-Jahresberichtes gab es für die Aktionäre nur Kopien auf billigem Zeitungspapier.
Große Risiken im Derivateportfolio Erst am Montagabend hatte der Versicherungskonzern die Börsenaufsicht SEC in einer Pflichtmitteilung geschrieben, dass Verluste in unbekannter Höhe aus Derivategeschäften mit europäischen Banken drohen. "Sollten sich die Kreditmärkte weiter verschlechtern, könnte AIG gezwungen sein, Verluste aus Wertberichtigungen auf das Kreditderivateportfolio zu realisieren. Das könnte negative Auswirkungen auf das Finanzergebnis haben", teilte das Unternehmen mit.
Konkret geht es um ein Portfolio an Kreditderivaten (Credit Default Swaps, CDS) im Umfang von 192,6 Mrd. $. Mit CDS-Papieren versicherten sich Banken gegen Zahlungsausfälle. 99,4 Mrd. $ entfallen auf Unternehmenskredite, 90,2 Mrd. $ auf Hypotheken. Ende März bezifferte AIG den Marktwert der daraus resultierenden Verbindlichkeiten auf 393 Mio. $. Die SEC-Pflichtmitteilung stellt klar, dass die Summe letztendlich deutlich höher ausfallen könnte.
Minus hängt von Gegenparteien ab
Die American International Group in New York City war einmal der weltgrößte VersicherungskonzernDer ehemals weltgrößte Versicherungskonzern AIG geriet im Zuge der Kreditkrise in Schieflage - und musste durch Staat sowie Notenbank mit insgesamt 182,5 Mrd. $ gestützt werden. Hauptursache für die existenzielle Bedrohung waren Transaktionen der Tochter AIG Financial Products Corp, die Banken für Gebühren über Derivate Ausfallrisiken abnahm. Die fälligen Auszahlungen zehrten die Liquidität auf. Nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 sprang dann Washington ein.
Um das Derivateportfolio aufzulösen, verpflichtete AIG im November den Morgan-Stanley-Experten Gerry Pasciucco. Er steht unter erheblichem Zeitdruck. Schließlich entwickeln sich die Kreditmärkte derzeit so, dass für den Versicherer das Verlustrisiko steigt. Die Arbeit kommt nur mühsam voran: Von Ende Dezember bis Ende März schrumpfte Pasciucco den Bestand an CDS-Papiere um 18 Prozent.
Abhängig von den Vertragspartnern Die Höhe der Verluste hängt vom Verhalten der europäischen Banken ab. Sie zeichneten die CDS-Papiere, um unter den Baseler Vorschriften weniger Eigenkapital vorhalten zu müssen. Da das zukünftige Regelwerk diese Erleichterung nicht mehr erlaubt, geht AIG davon aus, dass die Banken den Großteil der Kontrakte in den kommenden zwölf Monaten vor Ende der Laufzeit auflösen werden. Für AIG wäre das zwar mit Auszahlungen verbunden. Es hätte aber den Vorteil, dass das Portfolio an problematischen Papieren kleiner würde.
Allerdings ist das mit einem großen Fragezeichen versehen. Es besteht die Gefahr, dass die Banken sich mit der Auflösung der Positionen Zeit lassen. Dementsprechend stiege dann auch das Abschreibungsrisiko. "Angesichts der sich verschlechternden Kreditmärkte gibt es keine Garantie, dass AIG Verluste durch Wertberichtigungen nicht noch realisieren muss. Das Risiko könnte länger bestehen bleiben als gedacht, wenn die Gegenparteien wider Erwarten ihre Positionen doch nicht auflösen", hieß es in der SEC-Mitteilung.
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