Dankfeier österreichischer «Schweizerkinder»
Rund 200 ehemalige österreichische «Schweizerkinder», Angehörige ihrer Gastfamilien, die beiden Aussenministerinnen und Vertreter humanitärer Organisationen haben an einer Feier in Bern der Erholungsaufenthalte nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht. Die damalige tätige Mitmenschlichkeit wurde besonders auch als Vorbild gewürdigt.
C. W. Bern, 4. November
Des Dankes schien an der Gedenkfeier ehemaliger österreichischer «Schweizerkinder» in Bern sehr, sehr viel zu sein. Aber wenn 200 Personen nach 50 bis 60 Jahren weder das Elend ihrer Kinderzeit noch die erhaltene Hilfe vergessen oder verdrängen, eine Bahnreise in die Schweiz unternehmen und alte Beziehungen aufleben lassen, muss es sich um mehr als oberflächliche Emotionen und die übliche nachbarschaftliche Freundlichkeit handeln. Die in der Regel dreimonatigen Aufenthalte bei Familien, die von 1945 bis 1955 insgesamt 35 000 Kindern gute Ernährung, Geborgenheit und auch Zuversicht schenkten, hatten als humanitäre Aktion offenkundig eine dauerhafte Wirkung (vgl. NZZ 2. 11. 05).
Eine «schweizerische» Tat
Die österreichische Aussenministerin Ursula Plassnik hatte noch als Botschafterin in Bern die Vorbereitungen für die Gedenkveranstaltung eingeleitet, die, von «Präsenz Schweiz» unterstützt, am Freitag unter dem Titel «Danke Schweiz» im «Bernerhof» stattfand. In einer sehr herzlichen Ansprache würdigte sie jene Hilfe der «humanitären Grossmacht Schweiz» als Ausdruck von Beziehungen zutiefst nachbarschaftlicher, europäischer Natur. Die damaligen Gastfamilien hätten bei den Kindern aus dem Nachkriegselend von Österreich, das viel Schuld auf sich geladen hatte, die Hoffnung wiederaufleben lassen. Auch für andere Länder erbrachte die Schweiz humanitäre Leistungen; für Österreich waren sie insofern besondern wichtig, als im sowjetisch besetzten Teil nur Hilfe aus dem neutralen Staat zugelassen war.
In Österreich selber und mit der Organisation der Ferienaufenthalte war namentlich das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) engagiert. Der Bund leistete Beiträge, zu deren ungeschmälerter Verlängerung Wien 1947 einen dringenden Appell nach Bern richtete. In Erholungsaufenthalten nach dem Ersten Weltkrieg hatte die «Verschickung» in die Schweiz ihre Vorläufer - ein damaliges Gastkind war ebenfalls anwesend. Nun aber ist Österreich seit langem selber wohlhabend und humanitär aktiv. Aus Anlass der Gedenkfeier wurden denn auch Spenden für ein gemeinsames Projekt der beiden Länder in Kosovo gesammelt.
Kraft der konstruktiven Veränderung
Nach Bundesrätin Micheline Calmy-Reys Worten entsprach die Solidarität mit dem kriegsversehrten Europa nicht nur der humanitären Tradition (von der sie ohne Einschränkung sprach), sondern auch der Pflicht der Schweiz. Die Kinderhilfe sei auch ein Ausdruck des Danks für die Fügung des Schicksals, die uns die Not der Nachbarn erspart hatte, sagte SRK-Präsident René Rhinow. Die schweizerische Aussenministerin wandte sich besonders der Gegenwart zu und bezeichnete es als inakzeptabel, dass so oft das Leid der Kinder, der «schutzlosesten Opfer jedes Kriegs», gelindert werden müsse - ein Leid, das es gar nicht geben dürfte. So steht das Jahr 1945 nicht nur für den Neubeginn ausgezeichneter bilateraler Beziehungen - am 2. November anerkannte der Bundesrat die provisorische Regierung Renner -, sondern auch für den Ausgangspunkt einer beispielhaft entwickelten «Kraft der konstruktiven Veränderung».
Vertreter österreichischer humanitärer Organisationen und eines der «Schweizerkinder»-Klubs betonten ihrerseits die Nachhaltigkeit der Hilfsaktion, die prägend für das Leben der Betroffenen gewesen sei und den Grund für analoge eigene Gastfreundschaften gelegt habe. Zeitgenössische Filmdokumente und ein Video mit dem Dank der Schauspielerin Christiane Hörbiger trugen das Ihre zum gefühlreichen Treffen bei.
Quelle: NZZ
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