FAZ.NET - ständig aktualisierte Nachrichten. Analysen, Dossiers, Audios und Videos AktuellWirtschaftKonjunktur Konjunktur Das Wirtschaftswachstum löst sich vom Energieverbrauch
Von Holger Schmidt In Brüssel haben Bauern, Kraftfahrer und Taxichauffeure einen Tag vor dem EU-...
In Brüssel haben Bauern, Kraftfahrer und Taxichauffeure einen Tag vor dem EU-Gipfeltreffen teilweise den Verkehr lahmgelegt, um gegen die gestiegenen Treibstoffpreise zu protestieren
18. Juni 2008 Obwohl die Weltwirtschaft seit Jahren konstant stark wächst, geht das Wachstum des Energieverbrauchs seit 2004 stetig zurück. „Die Industrieländer haben ihr Wachstum vom Energieverbrauch entkoppelt“, sagte Christof Rühl, Chefvolkswirt des britischen Energiekonzern BP, bei der Vorstellung des jährlichen Energiereports „Statistical Review of World Energy“. Legte der Energieverbrauch im Jahr 2003 in den Industrieländern für 1 Prozent Wirtschaftswachstum noch um rund 0,6 Prozent zu, betrug dieser Wert im vergangenen Jahr nur noch 0,1 Prozent.
Eine Vorreiterrolle hat Deutschland inne. Im vergangenen Jahr sank der Energieverbrauch in Deutschland um 5,6 Prozent und damit so stark wie in keinem anderen großen Industrieland. Auch in Japan, Großbritannien und Frankreich wurde weniger Energie verbraucht.
Energiehunger der Welt ungedrosselt
Die Entkoppelung in den Industrieländern hat aber nicht ausgereicht, den Energiehunger der Welt zu drosseln. Die Nachfrage nach Öl legte 1,1 Prozent zu, die Nachfrage nach Gas um 3 Prozent und die nach Kohle um 4,5 Prozent. Der Grund ist außerhalb der Industrieländer zu finden: „Der Anteil der Nicht-Industrieländer am Weltwirtschaftswachstum hat sich seit den neunziger Jahren fast verdoppelt – auf mehr als 40 Prozent. Diese Länder wie China oder Indien benötigen aber weit mehr Energie für die Erstellung ihres Sozialprodukts als die Industrieländer“, sagte Rühl. Zum Thema * „Größtes Klimaschutzprogramm weltweit“ * EU will Glühbirnen verbieten Für 1000 Dollar ihres Bruttoinlandsprodukts brauchen die Länder außerhalb der OECD umgerechnet 4,4 Barrel ( je 159 Liter) Öl, während die OECD-Länder mit 1,4 Barrel auskommen, hat BP errechnet. Eine Entkopplung zwischen Energie und Wachstum ist noch nicht in Sicht: Für 1 Prozent ihres Wirtschaftswachstums haben diese Länder ihren Energieverbrauch in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt um 0,8 Prozent erhöht. Vor allem die starke Nachfrage in schnell wachsenden Schwellenländern wie China und den erdölexportierenden Staaten selbst hat den Energieverbrauch der Welt trotz der stark gestiegenen Preise im vergangenen Jahr um 2,4 Prozent hochgetrieben, hat Rühl vorgerechnet.
„Energiesubventionen verzerren den Markt“
Hauptverantwortlich für diesen Anstieg sind nach seiner Ansicht Eingriffe der Politik in die Märkte. „Energiesubventionen verzerren den Markt, vor allen in den Schwellenländern und ölexportierenden Ländern“, sagte Rühl. In Ländern wie China, Indien, Thailand, Indonesien, Venezuela oder Saudi-Arabien hält der Staat den Energiepreis niedrig und treibt damit den Verbrauch hoch. „Ein Viertel des globalen Verbrauchs wurde im vergangenen Jahr zu subventionierten Preisen verkauft. In den Volkswirtschaften, in denen Öl subventioniert wird, lag die Verbrauchssteigerung mit 190.000 Barrel am Tag über dem Zehnjahresdurchschnitt, während der Verbrauch in den Ländern mit Energiesteuern um 360.000 Barrel sank“, sagte Rühl. Der Marktmechanismus, dass die stark gestiegenen Preise den Verbrauch drosseln, funktioniert in den Ländern mit Subventionen nicht. Die Hilfen bringen inzwischen zwar einige kleinere Länder in Bedrängnis, aber der Großverbraucher China könne die Energiesubventionen noch lange Zeit finanziell stemmen.
Staatseingriffe haben nicht nur die Nachfrage hochgetrieben, sondern auch das Angebot an Öl beschränkt und damit den Preisanstieg mit verursacht, sagte Rühl. Die gesamte Ölfördermenge ist im vergangenen Jahr auf 81,5 Millionen Barrel gefallen, vor allem weil Saudi-Arabien, Norwegen, Mexico und Venezuela ihre Förderung gedrosselt haben. „In den OECD-Ländern lag der Grund unter der Erde, nämlich in einem Erschöpfen der Reserven“, sagte Rühl. Zudem begrenze der Staat in vielen großen Ölregionen wie Russland oder Venezuela den Zugang privater Gesellschaften zu den Ölfeldern. „Wenn die Staaten ihre Ölfelder selbst ausbeuten, sinkt die Produktivität. Auch die Investitionen in neue Felder unterbleiben oft“, sagte Rühl. Bestes Beispiel dafür sei Russland, wo die Produktion trotz der hohen Preise im vergangenen Jahr gesunken sei.
Kohle erlebte stärksten Verbrauchsanstieg
Der Erdgasverbrauch ist im vergangenen Jahr um 3,1 Prozent gestiegen. „Erdgas war der einzige fossile Brennstoff mit einem beschleunigten Wachstum“, sagte Rühl. Ein kalter Winter, vor allem in den Vereinigten Staaten, und die Substitution von Öl durch Erdgas haben diesen Mehrverbrauch verursacht. Gas befindet sich nach Einschätzung Rühls im Umbruch „von einem regional verfügbaren Brennstoff, bei dem Verbraucher und Produzenten über Pipeline-Systeme verbunden sind, zu einem global integrierten Markt, in dem Frachter das verflüssigte Erdgas (LNG) an verschiedene Orte bringen können“. LNG unterlaufe die Kontrolle, die das Pipeline-System bisher gebracht habe. „Die Abschaffung der Ölpreisbindung lässt den Preis zwar stärker schwanken, macht Gas aber systematisch billiger“, sagte Rühl.
Die Kohle erlebte im vergangenen Jahr den stärksten Verbrauchsanstieg unter den fossilen Brennstoffen. Der Grund dafür ist China. „Mehr als die Hälfte des weltweiten Anstiegs des Primärenergieverbrauchs wird mit Kohle gedeckt. 70 Prozent dieses Anstiegs entfallen auf China. Anders formuliert: 40 Prozent des weltweiten Anstiegs des Primärenergieverbrauchs entfallen auf einen einzigen Brennstoff in einem einzigen Land“, sagte Rühl.
Text: F.A.Z.
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