http://www.handelsblatt.com/politik/...t=ftprint,doc_page=0;printpageJapan steckt in der Schuldenfalle. Die Misere betrifft aber auch Deutschland, und das nicht nur, weil es um einen wichtigen Handelspartner geht. Der Blick auf die Herkunft des Schuldenbergs fördert einige beunruhigende Fakten zutage. Japan hat die exzessiven Verbindlichkeiten nicht in erster Linie durch Misswirtschaft aufgehäuft. Sie sind Altlasten einer endlosen Folge von Konjunkturprogrammen nach der Finanzkrise in den 90er-Jahren.
Am Anfang ähnelt die Geschichte erschreckend der aktuellen Krise. Damals wie heute galten hohe Staatsausgaben als das richtige Mittel, die Wirtschaft vor dem freien Fall zu bewahren und die ehrlichen Bürger vor den Folgen verantwortungsloser Spekulationen zu schützen. Bis dahin hatte Japan vergleichsweise solide gewirtschaftet. Für das Jahr 1990 verzeichnet die Statistik ausstehende Staatsanleihen in Höhe von 166 Bill. Yen, nach heutigem Wechselkurs sind das 1,3 Bill. Euro. Großzügige Sozialleistungen, die in Deutschland die Schulden hochgetrieben hatten, brauchte Japan angesichts praktischer Vollbeschäftigung nicht.
Wie anders sieht die Lage heute aus. Ende Juni dieses Jahres standen Anleihen im Wert von 684 Bill. Yen aus. Die Kaufkraft der Währung ist in dieser Zeit nicht gesunken - wir erleben also eine Vervierfachung der Belastungen in nur zwanzig Jahren. Ende des Jahres wird die Staatsschuld voraussichtlich bei umgerechnet über sechs Bill. Euro liegen. Und das ganz ohne Wiedervereinigung, ohne Krieg, ohne außergewöhnliche Ereignisse.
Jedes Jahr aufs Neue kündigten die Politiker an, dass der Konjunkturmotor jetzt aber wirklich wieder anspringen werde. Dann gehe auch die Tilgung los, versicherten sie. Jedes Mal verharrte das Wachstum jedoch auf niedrigem Niveau, nur in einem Jahr gelang eine Rückführung der Kreditaufnahme. In der derzeitigen Rezession warnt die japanische Notenbank - nun weise geworden -, dass auch der nächste Aufschwung ziemlich lau ausfallen wird.
Die bittere Wahrheit ist, dass Japans Wirtschaft zu keinem Zeitpunkt zu selbsttragendem Wachstum zurückgekehrt ist. Es war nur eine neue Blase, die von 2002 bis 2007 die Statistik besser aussehen ließ. Die amerikanische Geldmaschine um Subprime-Papiere hat auch die japanische Wirtschaft zeitweilig aus dem Sumpf gezogen. Wegen der Kreditlust in den USA fanden sich Abnehmer für all das, was die Japaner so gut herstellen können: Digitalkameras von Sony, Kleinwagen von Toyota oder die Festplatten in Apples iPod.
Jetzt ist die Unterstützung durch die neue Blase vorbei, und Japan ist in den Sumpf zurückgerutscht. Die alten Schulden verursachen derweil immer neue Kosten. Schon 23 Prozent des Haushalts fließen in diesem Jahr in Zinszahlungen. Hier bietet sich der Vergleich mit einem rollenden Schneeball an: Je größer er wird, desto mehr Schnee nimmt er auf. Vielleicht kann die Regierung in Tokio den Ball noch zehn Jahre weiterrollen lassen, vielleicht sogar noch zwanzig. Doch das heißt nicht, dass so lange alles in Ordnung wäre. Denn schon jetzt lähmt die Überschuldung die wirtschaftliche Initiative.
Es sind mehrere Mechanismen, über die das große Minus den Schwung der Regierung und der Bürger bremst. Auffallendstes Beispiel ist die Angst vor Wachstum. Tatsächlich: Die Aussicht auf Hochkonjunktur bereitet Japans Fiskalpolitikern Alpträume. Denn dann müsste die Notenbank die Zinsen anheben, die seit einem Jahrzehnt nahe null liegen. Erhöht die Bank of Japan jedoch den Leitzins, muss auch der Finanzminister mehr Anreize für den Kauf seiner Anleihen bieten. Da er die Schulden ständig um- und neu finanziert, würde die Zinsbelastung explodieren. Nur der Nullzins dämpft noch den Anstieg der Billionenschulden ins Unermessliche. Doch wie soll ein Wirtschaftspolitiker mit voller Kraft auf Wachstum hinarbeiten, wenn er weiß, dass es den Staat ruinieren würde?