HANDELSBLATT, Sonntag, 28. Oktober 2007, 19:45 Uhr Stanley O’Neal
Merrill-Chef steht vor dem Rücktritt Der Chef von Merrill Lynch, Stanley O’Neal, gibt auf. Nach Informationen des „Wall Street Journal“ hat der 56-jährige O’Neal sich auf Druck des Verwaltungsrats entschieden, von seinem Posten zurückzutreten. Demnach verhandelt das Führungsgremium nur noch über die Einzelheiten der Abfindung und berät bereits über einen Nachfolger an der Konzernspitze.
NEW YORK. O’Neal wäre der erste Wall-Street-Chef, der über die Finanzkrise stolpert. Merrill Lynch musste vergangene Woche 8,4 Mrd. Dollar abschreiben, den Großteil davon auf riskante Hypothekenprodukte. Analysten rechnen mit weiteren Wertberichtigungen von etwa vier Mrd. Dollar im laufenden Quartal. Die Verluste dürften O’Neal nicht nur den Job kosten, sondern haben die fast 100 Jahre alte Investmentbank auch zu einem Übernahmekandidaten gemacht.
Nach einem Bericht der „New York Times“ hat sich der Verwaltungsrat des Brokerhauses nach einer Sondersitzung am Wochenende entschlossen, den 56-jährigen Manager abzuberufen. O’Neal selbst soll bereits Freunden gegenüber das Ende seiner Karriere bei Merrill angedeutet haben. Als Favorit für die Nachfolge an der Konzernspitze gilt Laurence Fink, Chef des Vermögensverwalters Blackrock, an dem Merrill mit 49 Prozent beteiligt ist. Die Bank wollte sich zu den Personalspekulationen nicht äußern.
„Seine Zeit ist um“, sagte James Cullen, Präsident der Investmentgesellschaft Schafer Cullen, der Nachrichtenagentur Bloomberg mit Blick auf O’Neal. Spekulationen über einen Führungswechsel und eine mögliche Übernahme der Bank hatten die Aktie von Merrill am Freitag um fast neun Prozent nach oben getrieben.
O’Neal wäre der erste Wall-Street-Chef, der über die Finanzkrise stürzt. Merrill hatte in der vergangenen Woche Abschreibungen von insgesamt 8,4 Mrd. Dollar für das dritte Quartal bekannt gegeben. Das meiste davon ging auf das Konto von ebenso komplexen wie riskanten Hypothekenprodukten. Ein Geschäft, in das O’Neal die Bank geführt hatte.
Dem Merrill-Chef wird nicht nur angekreidet, dass sein Risiko-Management versagt hat. Für Verärgerung sorgte auch, dass die Bank ihre Verluste aus der Subprime-Krise innerhalb von drei Wochen um mehr als drei Mrd. Dollar erhöhen musste. Analysten rechnen mit weiteren Abschreibungen in Höhe von vier Mrd. Dollar im laufenden Quartal. Das Fass zum überlaufen brachte offenbar, dass O’Neal ohne Rückendeckung des Führungsgremiums Fusionsgespräche mit der Geschäftsbank Wachovia aufgenommen hatte.
Sollte Merrill seinen Chef vor die Tür setzen, dürfte sich auch der Druck auf andere Top-Banker erhöhen, die durch die Finanzkrise angeschlagen sind. Dazu gehört zum Beispiel Citigroup-Chef Charles Prince, der über die Sommermonate durch Abschreibungen und höhere Kreditkosten fast 6,5 Mrd. Dollar verloren hat. In die Kritik geraten ist auch James Cayne, der Chef von Bear Stearns. Die Investmentbank mussten nicht nur zwei ihrer Hedge-Fonds schließen, sondern verzeichnete im Krisenquartal auch einen Gewinneinbruch von 60 Prozent.
Die Führungskrise bei Merrill könnte nicht nur O’Neal den Job kosten, sondern auch der Bank ihre Unabhängigkeit. Der Marktwert von Merrill liegt bei knapp 57 Mrd. Dollar. Die von O’Neal selbst angedachte Fusion mit Wachovia ist nur eine von mehreren denkbaren Alternativen. Als mögliche Interessenten werden auch Bank of America (BoA) und JP Morgan Chase genannt.
Lauren Smith, Analystin beim Investmenthaus Keefe, Bruyette & Woods, hält Wachovia jedoch für den besten Partner. Mit einer Armee von gut 25 000 Brokern würde ein Zusammenschluss beider Häuser aber die Wettbewerbshüter alarmieren.
Noch ist unklar, wer das Schicksal von Merrill künftig bestimmen wird. Neben Fink werden noch die Merrill-Manager Gregory Flemming und Robert McCann sowie der New Yorker Börsenchef John Thain als Kandidaten ins Spiel gebracht. Für Fink spricht jedoch nicht nur, dass er Blackrock zu einem der weltweit größten Asset Manager mit einem verwalteten Vermögen von gut einer Billionen Dollar gemacht hat. Nachdem der 54-jährige Ende der 80er Jahre als Banker bei First Boston selbst verlustreiche Erfahrungen mit verbrieften Hypothekenanleihen sammeln musste, gilt er als einer der gewieftesten Risikomanager an der Wall Street. So hat sich Blackrock frühzeitig aus dem riskanten Hypothekengeschäft zurückgezogen. Fink wurde vor zwei Jahren bereits als Nachfolger für den damals geschasste Morgan-Stanley-Chef Philip Purcell gehandelt. Den Job bekam am Ende John Mack.
Für O’Neal geht es nicht nur um Amt und Ehre, sondern auch um viel Geld. Sollte er vor seinem Abgang noch eine Fusion unter Dach und Fach bringen, könnte er etwa 200 Mill. Dollar mit nach Hause nehmen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Merrill-Chef ohne eine Fusion und mit einer deutlich geringeren Abfindung vor die Tür gesetzt wird.
Gruss Ice __________________________________________________ Börsengewinne sind Schmerzengeld. Erst kommen die Schmerzen, dann das Geld...(A.K.)
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