Samstag, 26. Februar 2011 Tausende fordern Abkehr von AtomkraftAtomgesetz landet vor Gericht Der Streit um längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke geht in eine neue Runde. Fünf Landesregierungen sowie die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen wollen Verfassungsklage einreichen. Mit Menschenketten in etwa 40 Städten fordern Atomkraftgegner eine Umkehr in der Energiepolitik. Rund 8000 Atomkraftgegner haben in etwa 40 Städten mit Menschenketten gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung demonstriert. Aktionen mit jeweils mehreren hundert Teilnehmern fanden in Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Berlin statt. Für den 12. März haben Umweltverbände, Gewerkschaften und weitere Organisationen zu einer Menschenkette zwischen dem baden-württembergischen Atomkraftwerk Neckarwestheim und der Landeshauptstadt Stuttgart aufgerufen. Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg soll sie symbolträchtig den Regierungssitz von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) in Stuttgart mit dem zweitältesten Atomkraftwerk Deutschlands in Neckarwestheim bei Heilbronn verbinden. Mit dem 45 Kilometer langen Menschenband wollen der Naturschutzverband BUND, das Kampagnennetzwerk Campact und andere Verbände die Umkehr in der Energiepolitik und die Abkehr von der Atomkraft fordern. BUND-Landesgeschäftsführer Berthold Frieß rechnet mit rund 40.000 Teilnehmern. Der Reaktor Neckarwestheim I liefert seit 35 Jahren Strom. Am Montag wollen fünf Landesregierungen mit Beteiligung von SPD, Grünen und Linken Verfassungsklage gegen die Mehrbelastungen einreichen, die wegen der längeren AKW-Laufzeiten für die Landesbehörden entstehen. Klagen wollen außerdem die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Die von Union und FDP durchgesetzte AKW-Laufzeitverlängerung werde zu einem "erheblichen Nachrüstungsbedarf" der Atommeiler führen, heißt es nach einem Bericht des "Spiegel" in der von Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg und Bremen vorgelegten Klageschrift. Daher hätte die Neuregelung nach Auffassung der Kläger nicht ohne Zustimmung des Bundesrats erfolgen dürfen. Die den Ländern entstehenden Zusatzkosten für die Nachrüstungen werden dem Bericht zufolge "pro Kernkraftwerk zwischen 600 Millionen und zwei Milliarden Euro" liegen. So müssten etwa Vorrichtungen zur Abwehr von Terroranschlägen geprüft und die Ermüdungsanalysen für jedes einzelne AKW "systematisch" neu bewertet werden. "Der den Landesbehörden entstehende Aufwand kommt dem einer Neugenehmigung zumindest nahe", heißt es laut "Spiegel" in der Klageschrift der Länder. Unabhängig davon wollen auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen kommende Woche eine Verfassungsklage gegen die längeren Laufzeiten einreichen. Sie argumentieren nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung", dass beide von der Koalition vorgenommenen Änderungen des Atomgesetzes "sowohl formell als auch materiell verfassungswidrig sind". Die Fraktionen monieren neben der Umgehung des Bundesrats bei der Gesetzgebung auch inhaltliche Fragen, besonders die Missachtung von Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung durch die längeren AKW-Laufzeiten. Zusätzliche Aufgaben für die Atomaufsicht der Länder ergäben sich nach Ansicht der Oppositionsfraktionen nicht nur aus den längeren Laufzeiten an sich, sondern auch aus dem sich daraus ergebenden höheren durchschnittlichen Alter der Anlagen, hieß es weiter in der "SZ". Die Aufsicht erreiche dadurch "eine neue Dimension". "Statt die Reaktorsicherheit gerade der ältesten Atomkraftwerke zu verbessern, tut Bundesumweltminister Röttgen das Gegenteil", sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin der "Süddeutschen Zeitung". So habe die Koalition mit ihrer Atomgesetznovelle Sicherheitsstandards nicht erhöht, sondern vielmehr abgesenkt. Grüne und SPD sehen dadurch das im Grundgesetz garantierte "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" in Frage gestellt. Union und FDP hatten Ende vergangenen Jahres eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre durchgesetzt. Ältere AKW sollen demnach acht Jahre länger laufen, jüngere 14 Jahre. |