Das Ende des Plastikgeldes naht Von Jörg Schieb, Handelsblatt Ein wunderbares Abendessen im Sternerestaurant – und am Ende stellt sich raus: Keine Brieftasche dabei. Schon in ein paar Jahren ist das womöglich kein Schreckenszenario mehr, sondern Alltag. HB DÜSSELDORF. Wenn der Kellner die Rechnung bringt, legt der Gast nur noch kurz seinen Zeigefinger auf das mobile Lesegerät und bestätigt so den Zahlbetrag. Spesen und Trinkgeld werden umgehend dem Kreditkartenkonto belastet.
Banken und Kreditkartenfirmen arbeiten längst mit Hochdruck daran, die Plastikkarte überflüssig zu machen. Eigentlich hat das bunte Rechteck mit den eingeprägten Zahlenkolonnen nur einen Zweck: Den Inhaber zu identifizieren und den Bezahlvorgang zu vereinfachen. In Kombination mit der Unterschrift wird die Lastschrift autorisiert.
Genau das soll in Zukunft deutlich einfacher und bequemer werden. Ein Fingerabdruck oder Blick in den Iris-Scanner könnte dann ausreichen, um den Kunden zweifelsfrei zu identifizieren. Besser und zuverlässiger als heute. Biometrische Verfahren sind mittlerweile so ausgereift und auch vergleichsweise erschwinglich, dass sie problemlos am „Point of Sale“ zum Einsatz kommen können, also in Geschäften, Boutiquen und Restaurants.
Da kündigt sich die zweifellos größte Veränderung seit Einführung der Kreditkarte in den 50er-Jahren an. Zum ersten Mal wird ernsthaft über die Abschaffung der Karte an sich nachgedacht. Bislang wurden eher Variationen ausprobiert, etwa Kreditkarten mit eingebautem Smart-Chip. Doch nun testen Visa und Mastercard ausgiebig Geräte und Lösungen, die ganz ohne Karte auskommen. Namhafte Unternehmen wie IBM, Sun Microsystems, Philips oder Sony tüfteln an entsprechenden Konzepten und Geräten. Die Zeit drängt: Experten schätzen, dass die neuen Bezahlverfahren bereits in fünf Jahren einigermaßen etabliert sein könnten.
In einem Thriftway-Supermarkt in Seattle, US-Bundesstaat Washington, ist die Zukunft bereits Wirklichkeit. Dort verwenden seit Mai 2003 mehr als 2 000 Kunden in einem Testbetrieb ein „Pay per Touch“ getauftes Bezahlsystem, das von dem gleichnamigen Startup in San Francisco entwickelt wurde. Der Kunde gibt an der Kasse seinen Geheimcode ein und legt seinen Finger auf ein spezielles Lesegerät. Danach kann er auswählen, welche Kreditkarte mit dem Zahlbetrag belastet werden soll. Das Ganze dauert nur wenige Sekunden.
„Pay per Touch“ ist lediglich eine neue Art der Authentifizierung, keine neue Kreditkarte. Der Betreiber speichert Konto- und Kreditkartendaten jedes Kunden. Um sich zu registrieren, muss er fünf Mal einen Finger auf das Lesegerät legen. Dabei wird nicht der Fingerabdruck an sich gespeichert, sondern bestimmte Kriterien. Ein so genanntes „Reverse-Engineering“, also das Rekonstruieren des eigentlichen Fingerabdrucks anhand dieser Daten, soll nicht möglich sein.
Ähnlich am Point of Sale. Der Fingerabdruckscanner im Geschäft überträgt nicht etwa ein Abbild des gesamten Fingerabdrucks, sondern sucht sich zehn bis zwölf zufällig ausgewählte Punkte aus dem Fingerabdruck heraus, verpackt diese Informationen zu einem rund 300 Byte großen Datenpaket und verschickt sie verschlüsselt zur Authentifizierung an den Zentralcomputer von „Pay per Touch“.
Der Fingerabdruck allein reicht aber nicht aus, um zu bezahlen. Der Kunde muss nicht nur einen Geheimcode eingeben und den Finger auf den Scanner legen, sondern darüber hinaus das zu belastende Konto auswählen, den eigentlichen Bezahlvorgang bestätigen und in der Regel eine Quittung unterschreiben. Einen echten Zeitvorteil gegenüber der klassischen Kreditkarte gibt es – noch – nicht
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Pluspunkte gibt es aber trotzdem. So kann der Kunde weder seine Kreditkarte vergessen, noch verlieren. Betrug scheint zumindest zunächst schwieriger zu werden. Auf der anderen Seite fühlt sich keineswegs jeder wohl bei dem Gedanken, seinen Fingerabdruck in einer Datenbank zu speichern. Datenschützer mel-den bereits Bedenken an, selbst in den USA. „Das ist zwar ein interessanter Ansatz“, meint Marc Rotenberg vom Electronic Privacy Information Center in Washington D.C., „aber wenn sich solche Systeme erst mal durchsetzen, wird Big Brother ganz schnell Wirklichkeit.“
Aber noch mehr Bezahlsysteme werden getestet. So können US-Autofahrer an 7 500 Tankstellen von Exxon und Mobile mit einer speziellen Chipkarte bezahlen, die einen Minisender enthält. Die so genannten RFID-Karten (Radio Frequency Identification) erlauben eine drahtlose Kommunikation zwischen Kassenterminal und Plastikkarte.
Aber auch das Handy wird immer wieder als virtuelle Geldbörse gesehen. Immer mehr Menschen haben es ständig dabei, es verfügt über Speicher und Tastatur – ideal, um mit anderen Geräten zu kommunizieren. Welches System sich letztlich durchsetzen wird, muss sich aber erst zeigen.
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