Zuwanderung: Rot-Grün richtet sich auf Scheitern ein
Bei einem negativen Urteil aus Karlsruhe müsste das gesamte Gesetzgebungsverfahren neu abgestimmt werden
Berlin/Karlsruhe - Bundeskanzler Gerhard Schröder droht beim Zuwanderungsgesetz neues Ungemach. Denn ob das Bundesverfassungsgericht am 18. Dezember das Prestigeprojekt der rot-grünen Regierung passieren lässt, ist höchst ungewiss. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ist jedenfalls optimistisch, dass fünf der acht Karlsruher Richter das Gesetz für verfassungswidrig halten werden. „Das Gesetz ist nicht nur schlecht und überflüssig, es ist auch rechtswidrig zu Stande gekommen. Ich gehe davon aus, dass dies entsprechend gewürdigt wird“, sagte Schönbohm der WELT. Eine ablehnende Vorentscheidung hatte der Zweite Senat des Gerichts bereits im Oktober getroffen.
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hofft demgegenüber noch immer, dass das Gesetz mit vier zu vier Stimmen knapp durchkommt, weil eine Richterin als schwankend bezeichnet wird. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, erwartet, dass „wir noch erfolgreich sind“. Zumal es in Karlsruhe gar nicht um Inhalte des Gesetzes gehe, sondern um die Art seines Zustandekommens.
Intern bereite sich Rot-Grün allerdings schon auf ein Scheitern in Karlsruhe vor, hieß es gestern in Regierungskreisen. In diesem Fall drohen der Koalition neue Turbulenzen. Unklar ist, ob sie dasselbe Gesetz nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen am 2. Februar überhaupt erneut in den Bundestag einbringt. Dafür plädiert dem Vernehmen nach SPD-Fraktionschef Franz Müntefering. Doch viele Grüne halten dies nicht für zwingend, weil sie befürchten, dass die SPD allzu große Kompromisse mit der Union eingehen könnte. Wesentliche Gesetzespassagen wie zum humanitären Flüchtlingsschutz, warnt nach Angaben von Koalitionskreisen etwa Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck, würden dann verwässert. Deshalb gibt es in der Grünen-Fraktion Überlegungen, sich gegebenenfalls auf ein neues „Integrationsgesetz“ für Zuwanderer zu beschränken.
Ein negatives Votum des Bundesverfassungsgerichts hätte zur Folge, dass das gesamte Gesetzgebungsverfahren erneut in Bundestag und Bundesrat abgestimmt werden muss. In diesem Fall fehlt Rot-Grün eine Mehrheit für das Gesetz. Selbst dann, wenn die vier Brandenburger Stimmen von CDU und SPD mit Ja abgegeben würden. Denn durch den Machtwechsel in Sachsen-Anhalt (ebenfalls vier Stimmen) verfügt die Union über die Mehrheit im Bundesrat. Im Vermittlungsausschuss müsste die SPD-Seite auf die Union zugehen, damit das Gesetz nicht in der Versenkung verschwindet. Wie weit und wie schnell das Entgegenkommen ginge, würde der Kanzler bestimmen, hieß es in Regierungskreisen.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach signalisiert etwa beim Nachzugsalter für Kinder bereits Kompromissbereitschaft. „Es ist möglich, dass wir uns mit der SPD beim Nachzugsalter auf zwölf bis 14 Jahre einigen“, sagte Bosbach der WELT. Bisher hat sich die Union auf sechs bis zehn Jahre festgelegt. Im Zuwanderungsgesetz sind es zwölf Jahre. Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) soll ein Papier mit weiteren Angeboten an die Sozialdemokraten in der Schublade haben.
Die Eckpunkte des neuen Gesetzes
Abschiebung: „Duldung“ wird abgeschafft. Ausreisepflichtige können verpflichtet werden, in einer Ausreiseeinrichtung zu wohnen.
Arbeit: Die Arbeitsgenehmigung wird zusammen mit der Aufenthaltserlaubnis von der Ausländerbehörde erteilt, wenn die Arbeitsverwaltung intern zugestimmt hat. Nach drei Jahren erhalten alle Asylberechtigten eine Arbeitsgenehmigung. Hoch qualifizierte Fachkräfte können sofort eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Selbstständige, die in der Wirtschaft gesucht werden, dürfen zuwandern. Wer bei der Einreise seine Identität verschleiert, erhält keine Arbeitserlaubnis.
Integration: Wer sich dauerhaft in Deutschland aufhält, hat das Recht auf Integrationskurse. Er ist bei fehlenden Deutschkenntnissen verpflichtet, an ihnen teilzunehmen.
Entscheidung: Ob der Asylgrund beim „kleinen Asyl“ (Bürgerkriegsflüchtlinge und Opfer geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung) noch vorliegt, entscheidet künftig allein das Auswärtige Amt, andere Instanzen müssen sich daran halten. Wer Verfolgungsgründe nachträglich schafft, erhält kein Asyl.
Kindernachzug: Kinder bis 18 Jahre dürfen nachziehen, wenn sie zusammen mit den Eltern einwandern, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache besitzen, Vater oder Mutter anerkannte Asylberechtigte oder politisch Verfolgte sind oder zur Gruppe der hoch qualifizierten ausländischen Arbeitskräfte gehören. Sonst liegt die Grenze bei zwölf Jahren. Bislang galt eine einheitliche Altersgrenze von 16 Jahren. Die Behörden haben zusätzlich einen Ermessensspielraum. |