GAYROMEO Schwul mit Hund sucht Flugbegleiter Von Friederike Hofmann
GayRomeo ist das Paradebeispiel einer sozialen Community im Internet: Hunderttausende Schwule organisieren bei dem Portal ihr ganzes Gesellschaftsleben - vom Sexabenteuer bis zu Städtereisen. Manche können kaum noch ohne die Seite leben, und manche ignorieren die Risiken.
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Heute ist in der Bar in Berlin-Schöneberg endlich wieder Hochbetrieb. Männer tanzen, flirten, knutschen, plaudern. An anderen Abenden ist der Laden eher ruhig. Aber heute ist "der Server von GayRomeo zusammengebrochen", sagt der Barkeeper. "Dann kommen alle aus ihren Löchern."
Netz-Community GayRomeo: Die "blauen Seiten" für schwule Männer GayRomeo - das ist mehr als eine Kontaktbörse. Es ist ein Musterbeispiel für Communitys im Internet mit allen Vor- und Nachteilen, und es ist das wichtigste Netz von Schwulen für Schwule in Deutschland. Es hat 400.000 Mitglieder, allein in Berlin sind an einem Samstagabend rund 4000 Männer online. Für manchen Homosexuellen ist "GayRomeo" inzwischen wie eine Sucht.
Auf den Community-Seiten wird gechattet, geflirtet und sich verabredet wie kaum sonstwo im deutschsprachigen Internet. Mehr als die Hälfte der Benutzer bei GayRomeo stammt aus Deutschland, und täglich kommen (zumindest den offiziellen Informationen zufolge) rund 1500 dazu. Das Angebot hat einen entscheidenden Vorteil: Zum Finden von anderen Schwulen muss man nicht mal mehr das Haus verlassen - sondern bewegt sich in der anonymen Masse des World Wide Web.
Viele der Männer organisieren über das Internet ihr komplettes soziales Netz. Eine Mitgliederbefragung im Februar ergab, dass 31 Prozent der GayRomeo-Mitglieder über die Seite erotische Kontakte suchen - doch im Forum geht es um mehr als Sex. Mehr als ein Viertel der Mitglieder hält über die Site Kontakt zu Freunden, knapp ein Viertel ist einfach auf der Suche nach neuen Bekannten. Nur rund acht Prozent der deutschen Mitglieder sind den offiziellen Angaben zufolge über 46 Jahre alt, fast zwei Drittel sind unter 35. Ältere Schwule nutzen andere Kennlernportale wie Gayroyal.
Hobbys, Penislänge, Vorlieben - Privatestes wird öffentlich
Das Portal heißt kurz auch "blaue Seiten", nach der Grundfarbe der Internet-Site: Es dient als Lebenshilfe, Gesundheitsratgeber und Reiseführer, als Job-, Auto- und Wohnungsmarkt. Nutzer lassen sich von anderen Mitgliedern über die Szene fremder Städte informieren: "Bevor ich in New York war, habe ich mich im Chat mit Leuten dort nach netten Bars und Clubs erkundigt", sagt der 27-jährige Jeremy P.* aus Köln.
Das Profil, das man bei der Seite einrichtet, verkürzt den langwierigen Prozess des Kennenlernens - egal, ob es um Chat, Sex, Date, Beziehung oder Freundschaft geht. Dort wird auch Privatestes ausgebreitet: Im Profil kann man Größe, Gewicht, Aussehen, Hobbys, Beruf, Penislänge und sexuelle Vorlieben eintragen und Fotos hinterlegen. "Es gibt gar keine Geheimnisse", sagt der 25-jährige Paul F.* aus Dormagen. An die Daten und in die Foren kommt man gratis - kostenpflichtig wird es erst, wenn man Porno-Bilder sehen will. Darüber finanziert sich die Seite zu einem nicht unmaßgeblichen Teil.
Das Profil wird für die Nutzer ein zentraler Teil ihres Lebens: "Neue Bekanntschaften fragen mich inzwischen eher nach meinem Profilnamen als nach meiner Telefonnummer", sagt Paul. Nicht ohne Grund nennen manche Mitglieder das Portal "Einwohnermeldeamt für Schwule". Paul: "Wenn ich jemanden in einer Bar gesehen habe, schaue ich am nächsten Tag erst mal nach seinem Profil."
Diskrete Pünktchen in der Windows-Taskleiste
Gerade schüchterne Männer sparen sich durch GayRomeo den Umweg des persönlichen Kontakteknüpfens. Manche verlassen das Haus gar nicht mehr: "Ich habe zuvor relativ selten Leute so kennen gelernt", sagt der Kölner Jeremy. Jetzt traue er sich zumindest Menschen anzusprechen. "GayRomeo läuft bei mir häufig im Hintergrund, egal ob ich arbeite, lerne, lese oder koche", sagt Jeremy, "manchmal auch den ganzen Tag."
In der Community ist man ständig erreichbar, das macht ihren Suchtfaktor aus. Nie zuvor konnte man so einfach Tag und Nacht mit so vielen Menschen kommunizieren oder sich kurzerhand in der Realität zu verabreden. Auch im Büro kann man kurz mit Freunden chatten oder ein Date für den Abend suchen: Die Seite verschwindet klammheimlich im Hintergrund - in der Windows-Taskleiste erscheinen Punkte statt des Seitennamens.
Ganze Interessengemeinschaften finden sich in sogenannten Clubs zusammenfinden. Darunter harmlose wie "Schwul mit Hund", "Flugbegleiter" und "Orientalgays", aber auch geschlossene Gruppen, in denen es um so umstrittene wie riskante "Bareback"-Partys geht: Gruppensex ohne Kondom.
Laut GayRomeo sind 30 Prozent der Bareback-Clubmitglieder HIV-positiv. Diese Mitglieder können sich im Netz untereinander verabreden, auf diese Weise aus ihrer sozialen Isolation ausbrechen. Für Nicht-Infizierte birgt ein solches Sex-Angebot im Internet trotzdem Risiken: Es senkt die Hemmschwelle gegenüber den gefährlichen Praktiken.
"Viele kranke, frustrierte und alleinstehende Menschen"
Diese Probleme werden dadurch verschärft, dass im Internet niemand überprüfen kann, wer sich in der Wirklichkeit hinter einem digitalen Profil verbirgt. Da nehmen es Mitglieder mit der Wahrheit auch mal nicht so genau. Die harmloseren "Faker" ("Fälscher") sind auf intime Bilder aus - oder anonymen Cybersex, bei dem sie in eine fremde Rolle schlüpfen. Probleme, wie man sie seit den frühesten Kontaktbörsen und -chats im Netz kennt. Der 23-jährige Stephan F.* aus Köln erzählt von einem Mann, der dreieinhalb Stunden zu einem Kontakt aus dem Netz fuhr - und dann den anderen kaum erkannt, als er vor ihm stand. "Die Fotos im Netz waren sehr geschmeichelt."
In schwereren Fällen kommt es zu Betrug, Diebstahl oder Erpressung. In der Community wird von Geldforderungen mit und ohne sexuelle Gegenleistung berichtet.
Für manchen Benutzer wird die Kommunikation über GayRomeo zum Problem. Paul sagt: "Es sind so viele kranke, frustrierte und allein stehende Menschen angemeldet." Die Offenherzigkeit in den Profilen ermöglicht sogenannten "Cyberstalkern", andere Benutzer zu verfolgen, per E-Mail zu belästigen oder in Chaträumen zu bedrängen. Solche Störungen sind lästig, aber: "Weil sich die Belästigung meist nicht nur auf eine bestimmte Person bezieht, kann man nicht von echtem Stalking sprechen", sagt die Stalkingforscherin Heike Küken von der TU Darmstadt. Darum hilft es meistens, die Chat-Kommunikation bei GayRomeo per Druck auf den "Nein danke"-Schalter zu unterbinden.
Deutlich brenzliger wird es, wenn schon Adressen oder Telefonnummern ausgetauscht wurden. Dann gilt bei GayRomeo genau das Gleiche wie bei anderen Community-Plattformen à la MySpace, Knuddels oder StudiVZ: Die Belästigung kann sich ins wahre Leben verlagern - was dann äußerst unangenehm wird.
* Namen von der Redaktion geändert http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,441054,00.html |