ARMENIENEin deutscher Pfarrer und der GenozidEr war Augenzeuge des Völkermords an den Armeniern. Er war eine Stimme des Gewissens, als andere Europäer schwiegen. In Potsdam will man Johannes Lepsius jetzt dafür ehren — aber es gibt Widerstände Vor gut einem Jahr entdeckten die Potsdamer Stadtväter einen fast vergessenen großen Sohn ihrer Stadt, einen Menschenretter und Aufklärer: den Pfarrer Johannes Lepsius. Oberbürgermeister Matthias Platzeck stellte ihn damals in eine Reihe mit Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer und Oskar Schindler. Und der von Wissenschaftlern, Kirchenleuten und anderen Interessierten gegründete Verein „Lepsius-Haus Potsdam“ glaubte sich seinem Ziel einen Schritt näher: die Geschichte des Johannes Lepsius und seine Bedeutung für Armenien einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen — und die ehemalige Lepsius-Villa in eine Forschungs- und Begegnungsstätte zu verwandeln. Doch kaum waren die Grußworte verklungen, traf im Rathaus eine Flut von Protestbriefen ein. Als Absender zeichneten türkische Dachverbände, Vereine, Privatleute. Auch die Initiatoren des Vereins erreichte der Protest. Sie würden Unruhe hervorrufen, hieß es, und: Wer in Deutschland an die Verfolgung der Armenier erinnere, schüre Fremdenhass. Der damalige türkische Botschafter lud die Initiatoren ein. Von türkischer Seite habe man versucht, die „angeblich furchtbaren Folgen aufzuzeigen, die die Offenlegung der Wahrheit“ nach sich zöge, sagt der Theologe Hermann Goltz aus Halle, Mitbegründer des Lepsius-Vereins. Wer ist dieser Johannes Lepsius, der heute noch für so viel politische Aufregung sorgt und an den sogar im fernen Jerewan eine Gedächtnistafel am dortigen Völkermord-Denkmal erinnert? Schon zu Lebzeiten ist der Pfarrer eine Legende. Im Jahr 1915 tritt er dem osmanischen Kriegsminister Enver Pascha in Konstantinopel gegenüber. Der Theologe bittet den Politiker, die Mordmaschinerie, die gegen die armenische Minderheit in Gang ist, in letzter Minute zu stoppen. Aber er hat keinen Erfolg. Als Anwalt der Armenier hat sich Lepsius schon früh einen Namen gemacht. Schon im Jahr 1896 reist der Sohn eines Orientexperten in die Armeniergebiete, um mehr über frühere Massaker an der Bevölkerung zu erfahren. Per Bahn geht es über Istanbul bis Ankara, von dort weiter zu Pferd. Um die Morde aufzudecken, tarnt sich der Pfarrer als TeppichhändlerBei seinen Reisen durch die Armenier-Gebiete notiert er, getarnt als Teppichhändler, Berichte von Augenzeugen, sammelt statistisches Material. Vermischt mit persönlichen Betrachtungen und polemischen Attacken gegen die Täter entsteht daraus die Dokumentation „Armenien und Europa“, Untertitel: „Eine Anklage wider die christlichen Großmächte und ein Aufruf an das christliche Deutschland“. Dem Auswärtigen Amt, um gute Beziehungen zum Osmanischen Reich bemüht, kommt das Buch damals höchst ungelegen. Unterstützung bekommt der Pfarrer aus pietistischen Kreisen, nicht aber von seiner Kirchenleitung. Er bittet darum, seinen Urlaub verlängern zu dürfen. Als seine Bitte abgelehnt wird, kündigt der Familienvater seine Pfarrstelle und organisiert den Aufbau von armenischen Waisenhäusern in Talas und in Urfa. In Deutschland zieht er von Stadt zu Stadt, von Königsberg bis München, ein furioser Redner, der die Leute für sein Armenierhilfswerk begeistern will. In der Zeit der Balkankriege (1912/13) zeichnet sich die Chance für eine Autonomie der armenischen Provinzen ab. Die deutsche Diplomatie erinnert sich des unliebsamen Pfarrers und schickt ihn zu internationalen Konferenzen. Im Frühjahr 1914 unterzeichnen die Großmächte Verträge, die eine armenische Autonomie vorsehen. Doch dazu kommt es nicht. Im Schatten des Ersten Weltkrieges lösen die türkisch-nationalistischen Diktatoren die „armenische Frage“ auf andere Weise. Mit Hilfe seiner Kontakte im Auswärtigen Amt gelangt Lepsius nach Konstantinopel. Wieder sammelt er Beweise. Sein Buch „Die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ wird sofort nach Erscheinen durch die Militärzensur verboten. In der Zeit des Völkermords, der im Osmanischen Reich unter den Augen der deutschen Verbündeten geschieht, muss das Armenierhilfswerk seine Arbeit einstellen. Im Juni 1921 tritt Lepsius noch einmal ins Rampenlicht: In Berlin-Charlottenburg hat der armenische Student Soghomon Teilirian den ehemaligen Innenminister und Mitorganisator des Völkermords, Talat Pascha, auf offener Straße erschossen. Lepsius’ Gutachten trägt dazu bei, dass das Gericht den Attentäter freispricht und die Taten des Getöteten verurteilt. Der Prozess geht in die Rechtsgeschichte ein als frühes Beispiel für die Verurteilung ausländischer Völkerrechtsverbrechen. Gründe gibt es also genug, dem Potsdamer Pfarrer auch in seiner Heimat ein Andenken zu stiften. Doch die Aufbruchstimmung in Sachen Lepsius ist verflogen. Zeigten sich Vertreter bedeutender Stiftungen von dem Lepsius-Haus-Projekt zunächst begeistert, erreichten die Initiatoren später höfliche Absagen. Die Förderung passe leider nicht ins Gesamtprofil, hieß es plötzlich. Die Initiatoren vermuten dahinter die Angst vor einem Konflikt mit der türkischen Minderheit in Deutschland. Avisierte Landes-Fördermittel blieben ebenfalls aus. Auch die Stadt hält sich vornehm zurück. „Die Stadt ist weder Eigentümer noch Bauherr noch Initiator“, sagt Wieland Eschenburg, Referent des Potsdamer Oberbürgermeisters. Dann aber, als wolle er Potsdam doch einen Helden erhalten, fügt er hinzu: „Der Lepsius gehört zu dieser Stadt, mit seiner Geschichte, mit seiner Aufklärungsarbeit.“ http://www.chrismon.de/ctexte/2001/7/7-3.html |