Finanzwelt in der Krise "Staat und Regierung müssen jetzt klotzen" 5. Oktober 2008, 02:22 Uhr Matthias Graf von Krockow, Chef der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim, fordert zur Bekämpfung der Finanzkrise einen "europäischen Rettungsschirm" unter deutscher Führung: "Dann haben wir von einem auf den anderen Tag Ruhe"
Obwohl auch Graf Krockow das Ende der Krise noch nicht abzusehen vermag, investierte er vor wenigen Tagen Millionen in den schwer angeschlagenen Arcandor-Konzern. In der Krise gebe es auch Chancen, sagt der Bank-Chef. Er will ebenso an Arcandors Ertragsperle Thomas Cook festhalten wie an dem Konzernchef Thomas Middelhoff - und er will einen Bankvertreter in den Aufsichtsrat von Arcandor entsenden.
Welt am Sonntag:
Die Finanzkrise nimmt kein Ende. Was muss passieren?
Matthias Graf von Krockow:
Wir brauchen ganz schnell einen europäischen Rettungsschirm, möglichst unter Führung der größten Volkswirtschaft: Deutschland. Die Staaten müssen Garantien für das Finanzsystem mit dem Interbankenverkehr und die Kunden- und Spareinlagen übernehmen, wie immer das im Detail dann auch ausgestaltet werden mag. Einzelne nationale Notaktionen führen nicht mehr zum gewünschten Ergebnis. Es muss sehr schnell passieren, wir können nicht auf die Amerikaner warten. Es ist ernst, die Zeit der Konjunktive ist vorbei.
Wer soll diesen Schirm bezahlen?
Krockow:
Eine Staatsgarantie kostet erst mal kein Geld. Wenn es richtig gemacht wird, wird dies auch keinen Cent Steuergelder kosten. Denn dieser Schirm wird dazu führen, dass wieder Vertrauen einkehrt und sich die Märkte beruhigen. Dann haben wir von einem auf den anderen Tag Ruhe. Der Schirm wird sogar dafür sorgen, gigantische Steuerausfälle zu verhindern.
So einfach geht das?
Krockow:
Wir haben eine Liquiditätskrise, aber zum Glück noch keine Rentabilitätskrise. Aber wenn der Himmel einstürzt, sind alle Spatzen tot. Das heißt, auch die guten, rentablen Unternehmen würden vom Strudel mitgerissen werden, und genau das darf nicht passieren. Es gibt noch Werte im Markt und auf den Bankbilanzen, nur gibt es derzeit keine Preise dafür. Das ist ein zusätzliches großes Problem. Auch das könnte unter dem Rettungsschirm gelöst werden.
Was ist mit dem Einlagensicherungsfonds der Banken?
Krockow:
Er ist für einzelne Unfälle konzipiert worden. Aber nicht für eine Massenkarambolage, wie wir sie derzeit sehen.
In der Not ruft der Banker nach dem Staat. Können Sie das Unverständnis der Bürger verstehen?
Krockow:
Ich kann vieles verstehen. Es hat Verfehlungen gegeben. Manager haben unverzeihliche Fehler gemacht, und diejenigen muss man nicht unbedingt weiter beschäftigen. Wir können sogar auf die eine oder andere Bank verzichten. Das Banksystem kann nur bei geordneten Rahmenbedingen funktionieren. Es muss jedoch etwas geschehen. Dafür ist die Krise viel zu weit fortgeschritten, ganze Volkswirtschaften stehen auf dem Spiel. Es geht um die Absicherung der Rahmenbedingungen.
Also doch der Ruf nach dem Staat?
Krockow:
Der Staat lebt von unser aller Steuern, auch von den Steuern der Industrie und der Banken. Deshalb hat er auch die Verpflichtung, unser marktwirtschaftliches System zu schützen. Eine systemische Krise erfordert auch systemische Lösungen. Die jetzt notwendigen Hilfeleistungen zu unterlassen, heißt, an dem Ast zu sägen, auf dem wir alle sitzen. Staat und Regierung dürfen nicht kleckern, sondern müssen jetzt klotzen. Jetzt geht es nicht in erster Linie um die Frage, wer schuld ist, sondern darum, das Überschwappen der Krise auf die Realwirtschaft zu verhindern. Diese Gefahr wird von vielen noch unterschätzt.
Die Amerikaner haben nicht eingegriffen, als Lehman Brothers zu stürzen begann. War das ein Fehler?
Krockow:
Ja, es war ein großer Fehler, Lehman nicht zu retten. Die Folgen werden wir noch lange zu spüren bekommen. Die globale Vernetzung der Finanzwelt ist zu weit fortgeschritten, als das so etwas ohne Folgen bleiben könnte.
Befürchten Sie, dass deutsche Banken fallen?
Krockow:
Es ist zu früh, Entwarnung zu geben. Dass die Bundesregierung der Hypo Real Estate zur Seite gesprungen ist, war aber auf jeden Fall eine richtige Entscheidung. Aber noch einmal: Solche Einzelaktionen müssen schnell in eine konzertierte Aktion einmünden, sonst ist der nächste Fall schon programmiert.
Was sollte der Anleger jetzt mit seinem Geld tun?
Krockow:
Er sollte auf jeden Fall den Großteil seines Pulvers noch trocken halten. Aber er kann schon an der Börse nach Gelegenheiten schauen, da gibt es einige.
Wie lange wird die Krise dauern?
Krockow:
Unmöglich zu sagen. Die nächsten Tage sind entscheidend. Aber selbst im besten Fall, wenn schnell eine Lösung gefunden wird, brauchen wir mindestens ein bis zwei Jahre, bevor wir von einer Normalisierung der Märkte sprechen können.
Was muss sich nach der Krise ändern?
Krockow:
Wir brauchen eine verstärkte Bankenaufsicht, und zwar eine weltweit harmonisierte. Die Anreizsysteme innerhalb der Banken müssen weg von der kurzfristigen Perspektive. Aber diese Party ist ohnehin schon vorbei. Bei uns im Hause gibt es zwar Boni, aber keine für kurzfristige Renditen.
Sollten Banker stärker in die Haftung genommen werden?
Krockow:
Es könnte tatsächlich nicht schaden, wenn Manager stärker für ihr Tun verantwortlich gemacht werden könnten. Wir, die Leiter der Bankgeschäfte bei Sal. Oppenheim, sind persönlich haftende Gesellschafter, das heißt: Wir haften mit allem, was wir haben, notfalls auch mit dem Privatvermögen. Und es gibt uns seit sieben Generationen. Die Krise sollte auch dazu führen, dass Banken künftig vorsichtiger agieren und nicht mehr so hohe Risiken nehmen.
Weniger Risiko? Sie sind gerade mitten in der Finanzkrise bei Arcandor eingestiegen. Das Unternehmen kämpft ums Überleben.
Krockow:
Arcandor ist für uns eine Riesenchance. Wir sind dort nicht eingestiegen, um Geld zu verlieren, ganz im Gegenteil. Nach unserer Einschätzung übersteigen die Chancen die Risiken bei Weitem. Steigt der Kurs nur um einen Euro, bedeutet das eine Wertsteigerung von rund 250 Millionen Euro, bei einem Kurs von vier Euro entspricht das einer Marktkapitalisierung von einer Milliarde Euro. Und das kommt uns als großen Anteilseignern ebenso zugute wie den Kleinaktionären. Unsere Interessen sind identisch.
Sind Sie auch eingestiegen, weil Sie seit Langem geschäftliche Beziehungen zur Hauptaktionärin, Frau Schickedanz, pflegen?
Krockow:
Das ist eine rein unternehmerische Entscheidung. Und sie hatte nichts mit Frau Schickedanz zu tun, obwohl ich sie sehr schätze.
Sie soll bei Ihnen verschuldet sein.
Krockow:
Nebenan in meinem Büro hängt das Edikt Friedrichs des Großen über das Bankgeheimnis. Danach müssen wir unser Wissen "als das größte Geheimnis mit in die Grube nehmen". Daran halten wir uns.
Wollen Sie bei Ihren angestrebten rund 29 Prozent von Arcandor bleiben, oder ist noch eine Aufstockung geplant?
Krockow:
Wir sehen uns damit in einer komfortablen Situation.
Ist Arcandor für Sie eine Finanzbeteiligung, oder werden Sie aktiv ins Geschäft eingreifen?
Krockow:
Wir werden eng mit dem Vorstand zusammenarbeiten, um dem Unternehmen zu helfen. Wir bieten unsere Unterstützung an.
Auch im Aufsichtsrat?
Krockow:
Darüber führen wir Gespräche. Wenn es Interesse gibt, steht unser persönlich haftender Gesellschafter Friedrich Carl Janssen für den Aufsichtsrat von Arcandor zur Verfügung. Er ist nicht nur unser oberster Risikomanager, sondern auch ein exzellenter Kenner der Branche. Er war unter anderem Vorstand der Kaufhof Holding AG.
Übernimmt er den Vorsitz?
Krockow:
Das entscheidet der Aufsichtsrat.
Immerhin bekommt Vorstandschef Thomas Middelhoff ja einen guten Sparringspartner.
Krockow:
Wenn Sie es so nennen wollen. Aber Middelhoff macht einen sehr guten Job.
Er hat ein schlechtes Image.
Krockow:
Zu Unrecht. Er denkt unternehmerisch, ist visionär, hat Ideen und kann überzeugen.
Aber seine Glaubwürdigkeit an den Märkten hat gelitten, weil er einige Versprechungen nicht einhalten konnte.
Krockow:
Ohne Thomas Middelhoffs Arbeit gäbe es dieses Unternehmen wahrscheinlich schon lange nicht mehr. Middelhoff ist nicht das Problem, er ist die Lösung.
Und welche neuen Vorgaben hat er bekommen?
Krockow:
Es sind keine neuen Vorgaben notwendig. Arcandor ist sehr gut ausgerichtet mit seiner Drei-Säulen-Struktur. Selbstverständlich wurden Fehler gemacht, selbstverständlich gibt es Probleme. Aber die Chancen überwiegen deutlich.
Wo sehen Sie die Chancen?
Krockow:
Die Grundausrichtung stimmt, das ist das Wichtigste. Ich bin sicher, dass die Warenhäuser in Zukunft wieder Geld verdienen werden. Der Versand hat vor allem in Osteuropa, im Internet oder mit dem Shoppingcenter HSE24 glänzende Aussichten. Und Thomas Cook ist eine Perle.
Behalten Sie die Perle denn? Vom Unternehmen kamen dazu zuletzt eher verwirrende Signale - die auch zum Kurssturz führten.
Krockow:
Selbstverständlich gehört Thomas Cook auf Dauer zu Arcandor. Wir sind eine langfristig ausgerichtete Bank. Ein Zerschlagungskonzept ist nicht im Sinne unseres langfristigen Engagements bei Arcandor. Wir verfolgen ein Werterhaltungs- und Wertsteigerungskonzept, wie vom Vorstand vertreten und von uns unterstützt.
Und welches Konzept verfolgen Sie bei Continental? Sie halten einen großen Teil der Aktien, die die Familie Schaeffler weiterreichen musste. Sie sind Conti-Großaktionär.
Krockow:
Darüber kann man nichts sagen, bevor das Bundeskartellamt entschieden hat. Im Übrigen sehen wir uns nicht als Großaktionär. Ähnlich wie bei Arcandor bieten wir unsere Hilfe auf einem Weg an, den wir für richtig halten.
Wer trägt denn das Risiko für diese geparkten Aktien? Sal. Oppenheim oder Schaeffler?
Krockow:
Da darf ich wieder auf Friedrich den Großen verweisen. Aussagen dazu fallen unter das Bankgeheimnis.
Was Sie Ihre Engagements bei der IKB oder der IVG gekostet haben - fällt das auch darunter? Beide Investitionen wollen nicht recht zur von Ihnen gepredigten Vorsicht vor dem Risiko passen
Krockow:
Man muss die Relationen sehen. Wir gehen nur Risiken ein, die wir uns auch leisten können. Insgesamt übertreffen die Gewinne aus unseren eigenen Beteiligungen die Verluste bei Weitem. Das gilt auch für die beiden genannten Unternehmen. Mit der IKB funktioniert der Kundenaustausch übrigens auch weiterhin hervorragend. Wir bieten die Vermögensverwaltung und die IKB das Kreditgeschäft unseren jeweiligen Kunden sehr erfolgreich an. Das ergänzt sich hervorragend.
Es gibt Kritiker, die behaupten, Sie kümmerten sich wie ein Private-Equity-Unternehmen mehr um diese eigenen Beteiligungen als um die Vermögensentwicklung der Kunden.
Krockow:
Das ist nicht der Fall. Wir empfehlen unseren Kunden nichts, worin wir auch nicht selbst investieren. Das ist ein Gleichklang der Interessen. Im Gegensatz zu Private-Equity-Unternehmen sind wir langfristig ausgerichtet, haben realistische Renditeerwartungen und spekulieren nicht auf kurzfristige Profite. Mit Private Equity haben wir nur gemein, dass wir uns an Unternehmen beteiligen und dann versuchen, die inhärenten Werte sichtbar zu machen und zu steigern. Die Kunden erwarten dieses Co-Investment. Wenn die Bank mit eigenem Geld in ein Unternehmen einsteigt, ist das ein gutes Signal des Vertrauens in diese Investition auch für unsere Kunden, die auch gern an dem erwarteten Erfolg teilhaben können.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres hat Ihr Ergebnis bereits unter der beginnenden Finanzkrise gelitten. Was wird 2008 für ein Jahr für Sal. Oppenheim?
Krockow:
Wir werden am Jahresende ein gutes Ergebnis vorlegen. Eines, das weit besser ist, als man es nach dem Halbjahresergebnis erwarten konnte. Viele Kunden kommen gerade jetzt in der Krise zu uns und vertrauen uns ihr Geld an. Bei uns gilt der Grundsatz: Liquidität vor Rentabilität. Wir haben halt - anders als andere Institute - nichts von dieser vergifteten Suppe gelöffelt. Wir sind natürlich auch tangiert von den schwachen Märkten - etwa, indem wir derzeit keine Börsengänge mehr begleiten können, weil es keine gibt. Insgesamt aber werden wir Privatbanken gestärkt aus der Finanzkrise hervorgehen.
Das Gespräch führte Hagen Seidel |