aus: FTD vom: 30.10.2006 Paschalis Choulidis: Dazwischenfunker
Die Mobilfunkprovider stecken in der Krise. Ausgerechnet der Chef des kleinen Anbieters Drillisch will mit dem Einstieg bei Mobilcom das Drehbuch für die Neuordnung der Branche schreiben: Nur einer soll übrig bleiben. Mit ihm an der Spitze
von Volker Müller
Es waren nur 52 Worte, die Mitte Oktober an einem Nachmittag aus dem Faxgerät im Vorstandsbüro von Mobilcom quollen. Aber sie reichten, um die Branche in helle Aufregung zu versetzen: Sein Unternehmen, teilte Drillisch-Chef Paschalis Choulidis lapidar mit, habe 9,4 Prozent des Konkurrenten erworben. Dessen Vorstandschef Eckhard Spoerr überblickte rasch Fax, Fakten und Folgen. Doch eine Frage blieb: Was soll das?
Die Frage stellt sich inzwischen die ganze Mobilfunkbranche, Finanzinvestoren inklusive: Warum kauft sich ausgerechnet Drillisch für rund 105 Mio. Euro bei der etwa dreimal so großen Mobilcom ein – ohne Chance, mit diesem Anteil dort mitbestimmen zu können?
Die Antwort des Drillisch-Chefs ist so einfach wie weitreichend: Choulidis will den Markt der so genannten Serviceprovider bereinigen. Debitel, Talkline und Drillisch – sie sollen alle unter das Dach von Mobilcom schlüpfen und einen nationalen „Super-Provider“ bilden. Und so kauft Choulidis munter weiter: Am Freitag gab Drillisch bekannt, die Mobilcom-Beteiligung weiter aufgestockt zu haben und nun 10,37 Prozent zu halten.
Die Provider sind eine Besonderheit des deutschen Markts: Sie verkaufen Handyverträge für die Netzbetreiber oder erwerben Minutenpakte, die sie unter eigenem Namen anbieten. Doch das Geschäftsmodell ist ausgereizt. Hatten die Provider 1995 noch einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent, ist dieser inzwischen auf weniger als 25 Prozent geschrumpft. Tendenz fallend.
Choulidis’ Plan für einen Super-Provider ist nicht neu: Ähnliche Gedanken hatte es bereits von drei, vier Jahren gegeben. Doch wer würde, rätseln Branchenkenner, einen solchen Plan vorab öffentlich machen?
Choulidis, Sohn griechischer Einwanderer, grinst von Ohr zu Ohr. In seinen kurzen Haaren verstecken sich erste Grautöne, der Wohlstand setzt langsam Polster an. „Es muss etwas passieren in der Branche. Die Zeiten des stürmischen Wachstums sind vorbei. Derzeit machen wir uns nur gegenseitig das Geschäft kaputt. Wem dient das?“ Der 43-Jährige hat jahrelang im Verborgenen gewirkt. Nur keinen Rummel: „Wir haben Verständnis, dass wir den Anteilskauf melden mussten. Aber jetzt schaut die Öffentlichkeit auf uns, das ist nicht immer förderlich“, sagt er. Er gibt sich harmlos, was er mitnichten ist. Und dennoch wirkt alles noch ein wenig unbeholfen: die Pose, das Lächeln, das Zuknöpfen des Sakkos.
Sein Lebenswerk steht in einem Gewerbepark am Rande von Maintal-Dörnigheim zwischen Frankfurt und Hanau. Ein Zweckbau aus den 90er-Jahren, der einst auf vier Geschosse aufgestockt wurde. Drinnen schlichtes Mobiliar, draußen ein dunkler Porsche Cayenne. Drillisch hat 311 Beschäftigte, 160 davon in Maintal. Sie betreuen 1,65 Millionen Mobilfunkkunden, Platz vier hinter Debitel, Mobilcom und Talkline, einen Platz vor Telco. Die Bilanz weist im ersten Halbjahr 2006 gut 135 Mio. Euro Umsatz aus.
An Handys denkt Choulidis am Anfang seines Berufslebens nicht. Er lernt nach der mittleren Reife Radio- und Fernsehtechniker und bekommt seinen ersten Job bei der Bayer-Tochter Compur, damals ein Gemischtwarenladen, heute Produzent von Messtechnik. Dort hat Choulidis seinen ersten Kontakt mit dem Vertrieb – und entdeckt seine Leidenschaft: Verkaufen.
Den Sprung in die Selbstständigkeit wagt er, als Compur seine Produktion von Anrufbeantwortern 1986 an Assmann-Uher weiterreicht. Für den Mittelständler erledigt Choulidis Reparatur und Service und verdient noch im selben Jahr das Geld für den nächsten Schritt: die Gründung der V+S Telekommunikationstechnik. Das Kleinunternehmen gewinnt den französischen Telefonhersteller Alcatel als Partner und baut den Vertrieb von C-Netz-Telefonen auf, den analogen Vorläufern der heutigen Handys. Im Treppenhaus auf der Vorstandsetage liegt noch ein solches Telefon in der Glasvitrine – der Apparat ist so groß wie ein halber Schuhkarton. „Das kostete damals fast 10 000 Mark, mit 2000 Mark Marge für uns“, erinnert sich Choulidis. Bekommen hat das Gerät damals aber nur, wer zugleich auch ein Alcatel-Faxgerät gekauft hat. Goldgräberzeiten.
Anfangs ist V+S nur Händler, vertreibt nach dem Start der digitalen Mobilfunknetze D1 und D2 die Verträge des heutigen Konkurrenten Debitel. Der Durchbruch gelingt 1994: Vodafone, damals noch Mannesmann D2, macht Choulidis zum Partner und die von ihm eigens gegründete Alphatel zum Serviceprovider. Der Treiber im Hintergrund: Harald Stöber, damals Vertriebschef bei Mannesmann, heute Chef des Festnetzbetreibers Arcor. „Man merkte Choulidis immer an: Er ist Unternehmer, kein Manager“, sagt Stöber heute noch respektvoll. „Er arbeitet mit seinem eigenen Geld.“ Er habe gewusst, was er wollte – und zielstrebig darauf hingesteuert.
Diese Beharrlichkeit hat Spuren hinterlassen: „Choulidis hat so manchen in der Vergangenheit überfahren. Seine Verträge hält er immer ein – dem Wortlaut, nicht unbedingt dem Geiste nach“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. Der Mann sei gerissen, ja geradezu trickreich. Manchmal habe er ihn „würgen“ können.
Das Providergeschäft läuft für Choulidis nicht immer glatt. Zweimal sei er mit seinen Läden Mitte der 90er-Jahre mit dem Rücken zu Wand gestanden, berichten Branchenkenner. Jedes Mal habe er in Mannesmann D2 einen wohlwollenden Partner gehabt. Doch dessen Geduld sei nicht unbegrenzt gewesen. Wohl auch deshalb kommt Choulidis das Angebot des Konkurrenten Drillisch im Herbst 1998 recht, Alphatel zu übernehmen. Drillisch ist seit April 1998 börsennotiert und braucht neue Wachstumsfantasien. Die Fusion findet im Expresstempo statt: „Wir reden nicht lange. Haben wir uns entschieden, muss das zügig umgesetzt werden“, sagt Choulidis. Für Alphatel erhalten er und sein Bruder Vlasios knapp fünf Prozent der Drillisch-Anteile sowie zwei Vorstandssitze.
Nach dem Rücktritt von Drillisch-Mitgründer Marc Brucherseifer, wählt der Aufsichtsrat im April 2005 Choulidis an die Firmenspitze – mit einem Auftrag zum Handeln: Es gilt, effizienter zu werden und mit den vorhandenen Kunden mehr Geld zu verdienen. Die jährlichen Wachstumsraten der Branche von 20, 30 oder mehr Prozent sind vorbei. „Statistisch hat inzwischen jeder Deutsche ein Handy. Weder Kunden noch Netzbetreiber brauchen noch die Vertriebskraft der Provider“, sagt ein Branchenkenner. Die Provider müssten helfen, neue Dienste zu entwickeln und in den Markt zu tragen. „Diese Kompetenz haben sie aber nicht entwickelt.“ Er könnte auch sagen: Sie sind überflüssig.
Das weiß auch Choulidis: „Serviceprovider sollten Service bieten. Das haben sie bisher aber nicht geschafft. Noch beschränken sie sich darauf, Waren und Dienste anderer zu verkaufen. Das muss sich dringend ändern, wollen die Provider eine Zukunft haben.“
Die Herausforderung schreckt Choulidis nicht. Dass er sein Geschäft beherrscht, bescheinigen ihm selbst Konkurrenten. Seit seinem Amtsantritt hob er die Marge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 5,9 auf 9,7 Prozent. Zum Vergleich: Debitel brachte es zuletzt auf 6,3 Prozent, Mobilcom nur auf 5,0 Prozent. Deren Schwäche belächelt er: „Wer zweifelt, es seien keine zweistelligen Margen machbar, beherrscht sein Geschäft nicht.“
Choulidis könnte sich zurücklehnen, hätte er nicht ein elementares Problem: fehlende Größe. „Drillisch ist zu schwach, die Konsolidierung der Branche zu leisten“, sagt ein Berater, „Die Firma kann allenfalls provozieren und antreiben; Handeln müssen letztlich andere.“ Der Vertriebschef eines Netzbetreibers sieht es noch drastischer: „Drillisch hat derzeit keine überlebensfähige Strategie. Die Kundenzahl stagniert, attraktive Produkte wie Blackberrys fehlen – der Umsatz sinkt.“ Nun versuche das Management, durch Fusionen oder Kooperationen aus der Perspektivlosigkeit herauszukommen.
So könne der Vorstoß, Mobilcom-Anteile zu kaufen, auch anders interpretiert werden: als Aufforderung, selbst gekauft zu werden. Choulidis sieht das nicht als Karriereknick: Er macht sich Hoffnungen, selbst an die Spitze eines fusionierten Providers zu gelangen.
Und seine Chancen stehen nicht schlecht. „Allen Providern stehen Manager mit maxi-mal drei Jahren Branchenerfahrung vor. Choulidis hingegen ist 15 Jahre dabei – und er erzielt die besten Margen der Branche“, sagt Frank Rothauge, Analyst des Bankhauses Sal. Oppenheim. Choulidis ist Diplomat genug, sich seine Abneigung gegen Wichtigtuer und Selbstdarsteller in den Vorständen anderer Provider nicht anmerken zu lassen. Lieber macht er sich selbst klein: „Falls es einen besseren Kandidaten an der Spitze eines fusionierten Providers gibt, lasse ich ihm gerne den Vortritt“, sagt er. „Ich wäre mit einer Rolle als Gesellschafter schon sehr zufrieden.“
Choulidis hat einen Stein ins Wasser geworfen. Nun sieht er zu, wie sich die Wellen ausbreiten. Er wartet auf Reaktionen, rechnet zumindest mit Gesprächen. Besser wären natürlich Verhandlungen – und zwar zügig: „Das mag ich überhaupt nicht: nichts tun, verzögern, vertrödeln.“ |