Mobilfunk: Reif für Aldi

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eröffnet am: 23.11.04 08:03 von: bammie Anzahl Beiträge: 1
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8970 Postings, 7519 Tage bammieMobilfunk: Reif für Aldi

Mobilfunkbetreiber stürzen sich in eine neue Preisschlacht. Handelskonzerne, Autobauer und Fluglinien drängen auf den Handymarkt. Sogar ausländische Anbieter wittern Morgenluft und drängen mit Kampfpreisen nach Deutschland. Die Machtverhältnisse auf dem deutschen Mobilfunkmarkt stehen damit auf dem Kopf.

Die Vertriebsleiter der Mobilfunkanbieter T-Mobile, Vodafone und E-Plus schickten ihre besten Mitarbeiter zum gemütlichen Kaffeeklatsch in die Pause. Gut getarnt als zufällig vorbeischlendernde Passanten mischten sich die Vertriebsprofis unter die Hausfrauen in den Tchibo-Filialen. Sie taten so, als wollten sie selbst das neue Tchibo-Handy kaufen – dabei hatten sie an diesem 4. Oktober einen Spezialauftrag: Genaustens sollten sie auskundschaften, wie denn die neuen, von ihrem Rivalen O2 und dem Kaffeeröster Tchibo entwickelten Handys beim Kunden ankommen.
Was die Spione zurück in ihre Konzernzentralen funkten, gibt da bis heute Anlass zur Sorge. Mehr als 1000 Handypakete mit dem Tchibo-Label TCM gingen schon am ersten Tag über die Theke. Schlimmer noch. Kaum einen Kunden scheint es zu stören, dass die von Alcatel, Philips und Benq gelieferten Geräte auf den neuesten Technik-Schnickschnack wie Megapixel-Kamera, MP3-Player oder Radio verzichten. Kaufentscheidend ist, dass das Handy nur 39,95 Euro kostet – inklusive Startguthaben von zehn Euro und einem Rund-um-die-Uhr-Einheitstarif von 35 Cent pro Gesprächsminute. Damit, so die Erklärungsversuche der Spione, hat Tchibo (Motto: „Wer’s einfach liebt, tchibofoniert“) ein Grundbedürfnis der Kundschaft auf den Punkt getroffen.
Tchibos Einstieg ins Mobilfunkgeschäft ist der Beginn einer Revolution, die sich nun Bahn bricht. Sie stellt die Hackordnung des deutschen Mobilfunkmarkts auf den Kopf. Der Preisverfall bedroht die Vormacht von T-Mobile und Vodafone. Plötzlich drängen Spieler in den Markt, mit denen so schnell niemand gerechnet hat – und die mit der Telekombranche bisher gar nichts zu tun hatten.

Da spricht der Düsseldorfer Mobilfunkbetreiber E-Plus mit Top-Brands der Discountszene wie Aldi und Ikea, die schon im nächsten Jahr eigene Handys auf den Markt werfen wollen. Da bringt der Großhändler Lekkerland-Tobaccoland mit T-Mobile die erste preiswerte Chipkarte für den schnellen Verkauf an Kiosken und Tankstellen heraus. Da legen BMW Mobile und der ADAC eigene, deutlich günstigere Handypakete auf. Da lockt Tengelmann Kunden mit einem Billighandy in seine Plus-Filialen. Shell legt zum Gratishandy von Siemens noch einen DVD-Player dazu. Und das Bonusprogramm Payback, mit 26,5 Millionen Nutzern die Nummer eins in Deutschland, will einen Mobilfunkbetreiber für ein Angebot gewinnen, das keiner ausschlagen kann.

Sogar ausländische Anbieter wittern Morgenluft und drängen mit Kampfpreisen nach Deutschland. Fluglinien wie Ryanair und Easyjet machen bereits in mehreren europäischen Ländern als Billigmobilfunker den etablierten Marktführern zu schaffen und bereiten den Sprung über die Grenze vor. Die dänische TDC Mobile, Partner der Easy Group, hat den Einstieg als Handydiscounter in zwölf europäischen Ländern angekündigt. „Überall dort, wo Easy als Marke zählt, werden wir starten“, sagt Henning Vest, bei TDC Mobile verantwortlich für das internationale Geschäft.

Noch konkreter sind die Pläne der schwedischen Telefongesellschaft Tele2. Sie konzentriert sich bislang in Deutschland auf Festnetzangebote für Privatkunden. Jetzt treibt sie den Aufbau einer eigenen Mobilfunkgesellschaft voran und verhandelt mit E-Plus und einem weiteren Mobilfunkbetreiber über den Kauf von Netzkapazitäten. Tele2 hat mehr als eine Million deutsche Festnetzkunden – sie sollen schon 2005 mit einem Tele2-Billighandy telefonieren können.
Ob Tchibo, Easy Group oder Tele2 – die Anbieter probieren zwei völlig neue Geschäftsmodelle in Deutschland aus: Tchibo tritt als reiner Wiederverkäufer auf und stimmt alle Produkte und Tarife mit seinem Mobilfunkpartner O2 ab; Tele2, Ryanair und die Easy Group sehen ihre Zukunft als virtuelle Mobilfunkbetreiber. Sie sind damit als Untermieter ein vollwertiger Anbieter: Sie kaufen Übertragungskapazitäten bei einem Netzbetreiber, stricken daraus aber ein eigenes Angebot.
Ihr Markteintritt setzt auch die klassischen Service Provider – eine Besonderheit des deutschen Mobilfunkmarktes – unter Druck. Unternehmen wie Debitel, Mobilcom, Talkline oder The Phone House vertrauten bisher darauf, dass sie als einzige Anbieter ohne eigenes Netz die Produkte von T-Mobile, Vodafone und E-Plus verkaufen dürfen. Jetzt sind sie in ihrer eigenen Historie gefangen. Die Marge beim Weiterverkauf ist so gering, dass einige bereits auf die Akquise neuer Kunden verzichten.

Die neuen Geschäftsmodelle starten dagegen mit einer deutlich niedrigeren Kostenbasis: Da die Fixkosten dank geringer Investitionen und Personalausgaben klein sind, können sie ihre Dienste deutlich billiger als die etablierten Mobilfunker anbieten. „Kostensenkungen von 40 Prozent erreichen die neuen Billigcarrier“, sagt Roman Friedrich, Telekomexperte bei der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. „Ein Großteil der Ersparnis fließt in die Billigtarife."
Diese Anbieter können auch in scheinbar gesättigten Märkten noch neue Zielgruppen gewinnen. In Deutschland klingeln fast 70 Millionen Mobiltelefone, neue Kunden zu gewinnen, wird für die Netzbetreiber naturgemäß schwer. Da suchen vor allem die beiden Kleinen – E-Plus und O2 – nach a neuen Ideen, den beiden Großen – T-Mobile und Vodafone – Marktanteile abzuluchsen. Dabei können ihnen die neuen Discounter helfen. Denn die größten Filialisten in Deutschland sind mit Handys noch unterversorgt, die Geräte gibt es bei ihnen noch nicht zu kaufen. Und vielen Herausgebern von Kunden- und Bonusprogrammen fehlt noch ein Partner im Mobilfunk, der die Punkte gegen ein Handy oder Freiminuten einlöst (siehe Tabellen Seite 58). „Die Bereitschaft der Netzbetreiber wächst, mithilfe
von Partnern näher an bestimmte Zielgruppen heranzukommen“, beobachtet Ertugrul Taner, Partner bei der Unternehmensberatung Dr. Schwarz-Schilling & Partner.

In den kommenden Monaten will deshalb Payback, das mit 26,5 Millionen Kartenbesitzern größte Kundenbindungsprogramm in Deutschland, ein Mobilfunkangebot auf den Markt werfen, das nach Informationen von Insidern „noch preiswerter“ als das Tchibo-Angebot von O2 ist. Verhandlungen mit einem Mobilfunkbetreiber stehen kurz vor dem Abschluss. Experten geben E-Plus die besten Chancen, bei Payback zum Zug zu kommen. Payback kommt damit einem Kundenwunsch nach: Immerhin 54 Prozent der Kartennutzer gaben jüngst bei einer Umfrage an, dass sie ein Angebot aus der Telekommunikation im Payback-Programm vermissen.

Vor allem für die beiden kleinen Anbieter O2 und E-Plus zahlen sich solche Partnerschaften aus. So kalkuliert O2-Chef Rudi Gröger, dass nur einer von zehn Käufern eines Tchibo-Handys von O2 kommt. Die anderen neun, so seine Hochrechnung, besitzen entweder noch gar kein Handy oder kommen von der Konkurrenz. Rund 90.000 der mehr als 100.000 Neukunden, die O2 im nächsten Jahr in den Tchibo-Shops gewinnen will, gehen also als echter Nettozuwachs in die O2-Bilanz ein.

Die Machtverhältnisse auf dem deutschen Mobilfunkmarkt stehen damit plötzlich auf dem Kopf. In den vergangenen Jahren hatten T-Mobile und Vodafone wenig Mühe, ihre überragende Stellung mit einem Marktanteil von gemeinsam mehr als 75 Prozent zu verteidigen. Jetzt fällt vor allem Marktführer T-Mobile zurück. In den ersten neun Monaten konnte O2 beim Neukundengewinn erstmals an T-Mobile vorbeiziehen. Das soll so bleiben. „Wir müssen weiter wachsen und unsere Marktanteile ausbauen“, kündigt O2-Vertriebschef Gerhard Mayrhofer an.

Selbst E-Plus, beim Neukundenzuwachs in den vergangenen Quartalen oft Schlusslicht, demonstriert auf einmal Stärke und schliebt sich im dritten Quartal an T-Mobile vorbei. Nur Vodafone zeigt keine Schwäche. Die Briten schnappen sich in diesem Jahr mit Abstand die meisten Neukunden und rücken immer näher an T-Mobile heran.

Bei T-Mobile klingeln die Alarmglocken. „Durch Billiganbieter wird der heute schon heftige Kampf in Zukunft noch aggressiver“, warnte T-Mobile-Chef René Obermann Anfang November in einem internen Brief an die Mitarbeiter und kündigte ein Sparprogramm an. Die Telekom-Tochter will ihr gesamtes Produktportfolio auf den Prüfstand stellen und bis 2006 die operativen Kosten um eine Milliarde Euro senken.

Obermann testet gleichzeitig neue Vertriebsmodelle nach dem Vorbild von Tchibo. So steigt der Großhändler Lekkerland-Tobaccoland ab sofort zum Exklusivpartner auf. An 50.000 Verkaufsstellen, darunter Tankstellen und Kioske, gibt es zwar auch weiterhin keine Handys, dafür aber eine neue Xtra-Guthabenkarte, die ganz nach dem Tchibo-Strickmuster konstruiert ist: Ein einfacher Tarif (40 Cent pro Minute rund um die Uhr) soll auch dem letzten Mobilfunkmuffel die Scheu vor dem Gebrauch des Handys nehmen. Vor allem ehemalige Mobilfunk-Kunden, bei denen noch ein altes Handy in der Schublade verstaubt, sollen so reaktiviert werden. Auch in der neuen Kioskkette Everyday, die Lekkerland in den kommenden Jahren bundesweit etabliert, ist T-Mobile exklusiv vertreten. Rund 50.000 Guthabenkarten, schätzt Lekkerland, sollten bis Jahresende verkauft sein.

Selbst der Aufbau einer eigenen Billigmarke ist bei der Deutschen Telekom kein Tabu mehr. Nach T-Online, die als erste Telekom-Tochter eine eigene Discountmarke für ein Sparangebot für den Internetzugang kreieren will, hat auch T-Mobile mit solchen Planspielen begonnen – und verweist auf Erfolge im Ausland. Die polnische T-Mobile-Beteiligung PTC startete im Sommer mit „Heyah“ eine neue Marke, die binnen acht Wochen eine Million Kunden gewinnen konnte. Branchenbeobachter vermuten, dass „Heyah“ ein erster Testballon ist, um zu prüfen, wie erfolgreich man mit solch einer neuen Marke sein kann.




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