Thomas Fricke: Onkel Helmuts Aufschwung von Thomas Fricke Die Union scheint nach der Methode des einstigen Kanzlers Kohl verfahren zu wollen: Reformen nichts kosten lassen, dem Staat möglichst viel Geld verschaffen. Das kann diesmal eher im Desaster enden.
Erst am Ende kam der große Boom - von außenWer in Umfragen klar führt, kommt mit vagen Wahlslogans aus. Das mag erklären, warum die Union um Angela Merkel sich so müht, bloß nichts zu versprechen; dafür viel von Finanzierungsvorbehalten und Kassenstürzen redet. Oder von Gratisreformen, die der Wirtschaft helfen.
Der Trend scheint klar: erst mal konsolidieren. Dafür gibt es einen Präzedenzfall. Helmut Kohl begann einst ähnlich. Nur fragt sich, ob das so erfolgreich war. In der akuten Krise könnte es sich für Merkel und das Land sogar als fatal erweisen, zunächst nur die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen - bevor die vermeintlichen Früchte verteilt werden. Das endete schon unter Onkel Helmut nur dank viel Glücks nicht im ökonomischen Desaster.
Fast exakt die gleiche Ausgangslage
Die Ausgangslage wirkt frappierend ähnlich. Als Helmut Kohl 1982 antrat, lag das Staatsdefizit bei 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung; die OECD erwartet für 2005 exakt dasselbe. Die Arbeitslosigkeit übertraf neue Symbolmarken - damals zwei, heute fünf Millionen. Die Konsumenten konsumierten nicht.
Was für ein Zufall: Als Erstes erhöhte Kanzler Kohl damals die Mehrwertsteuer. Dann gab es Reformen, die nichts kosteten. Das Arbeitsrecht wurde gelockert. Etwas. Der Rest sollte vor allem Geld in die Staatskassen bringen: über Kürzungen von Studienhilfen sowie Kinder- und Mutterschaftsgeld oder bei der Bundesanstalt für Arbeit. Die Rentner bekamen keine Rentenerhöhung und Arbeitslose weniger Lohnersatz. Kranke mussten bei Kuren und im Krankenhaus zuzahlen. Dafür stieg die Rezeptgebühr. Kommt einem irgendwie vertraut vor.
Nach freundlicher Lesart hat all das irgendwie die Basis gelegt, dass die Deutschen Ende der 80er boomten und die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent lag. Eher ein Mythos, vermuten Skeptiker. Wohl zu Recht.
Lange Zeit gab es unter Kohl alles andere als Aufschwung, Experten schufen das traurige Wort von der Waschbrettkonjunktur - vor und zurück. Nach fünf Jahren Wende erreichte das Wirtschaftswachstum 1987 sage und schreibe 1,5 Prozent. Fast wie bei Schröder.
In Gang kam die Maschine erst, als ganz ohne Gegenfinanzierung die Steuern sanken, die Konsolidierung Pause machte und die Menschen erstmals wieder mehr Geld hatten. Und auch das allein hätte kaum gereicht. Der Ölpreis krachte 1986 in nur sieben Monaten von 30 auf 10 $ je Barrel, was die durchschnittliche Lebenshaltung in Deutschland erstmals seit Jahrzehnten billiger machte - ein unverhofftes Konjunkturpaket. Anschließend sanken weltweit zudem die Zinsen: um 200 Basispunkte in zwei Jahren. Das beschleunigte die Investitionen von Firmen, die sich ohnehin mit viel Geld auf den nahenden EU-Binnenmarkt vorbereiteten - in ganz Europa und darüber hinaus, nicht nur bei Onkel Helmut.
In Deutschland kam hinzu, dass aus dem Osten plötzlich Tausende Leute zuzogen; bis Ende des Jahrzehnts gab es eine Million mehr Menschen im Land - eine Million Konsumenten und gut ausgebildete Kräfte. So was fördert aller Erfahrung nach das Wachstum, wie heute in den USA und Großbritannien. Oder eben wie im deutschen Einheitsboom.
Sehr viel Glorreiches bleibt vom Konsolidierungsmythos nach alldem nicht übrig - wäre nur ein Teil der unverhofften Hilfen von außen ausgeblieben, wäre die deutsche Wirtschaft wohl eher um ein bis zwei Prozent gewachsen statt drei bis vier. Ein Warnsignal.
Noch bitterer droht die Sache unter Kohls Erben zu enden. Klar: Die Ölpreise könnten wie 1986 purzeln und auch die Zinsen noch sinken. Nur: Unter null geht nicht. Ziemlich unwahrscheinlich sind derzeit begeisterte Investitionswellen bei den polit-kriselnden Europäern. Und größere Zuwanderungswellen dürfte die Union höchstpersönlich verhindern, wenn sie regiert. Stichwort Türkei. Vereinigen will sich nach derzeitigem Kenntnisstand schließlich auch keiner mehr mit uns.
Zukunftsinvestitionen kosten Geld
Laut Skeptikern wird Deutschlands Staatsdefizit 2005 über vier Prozent liegen. Wenn die nächste Regierung 2006 nur ansatzweise auf drei Prozent kommen will, müsste sie die Mehrwertsteuer gleich um mehrere Punkte erhöhen, dazu Pendlerpauschale und Eigenheimzulage kürzen - ohne Firmen und Konsumenten auch nur den Hauch einer Nettoentlastung anzubieten. Und das alles nach vier Jahren Rot-Grün, in denen ohnehin schon reichlich Nettorenten, öffentliche Gehälter und Kassenleistungen gekappt sowie Praxisgebühren eingeführt und Abgaben für Müll und alles Mögliche erhöht wurden.
Mit Gratisreformen wie einem gelockerten Kündigungsschutz wird es kein Wunder geben. Wer will bei Dauerstagnation schon einstellen? Eher droht die Angst der Deutschen vor Jobverlust dann noch zu steigen und die Konsumlust weiter zu schwinden. Da brächte es wenig, Entlastungen durch höhere Mehrwertsteuern auszugleichen. Per saldo haben die Menschen dann einfach nicht mehr Geld, es haben nur andere das Geld als vorher. Das reicht für einen Boom nicht aus.
Es dürfte wenige Länder geben, in denen so viel über Finanzierungsvorbehalte geredet wird wie in Deutschland - bevor überhaupt klar ist, was finanziert werden könnte. Dabei würde es lohnen, Geld in neue Entlastungen für Firmen und Konsumenten zu investieren, zum Beispiel in niedrigere Sozialbeiträge; oder in Bildung, Forschung, Kinderbetreuung und Straßen. Fast nirgendwo in der Welt investiert der Staat heute so wenig in die Zukunft. Ein Teufelskreis.
Anders als zu Kohl-Zeiten steckt die Wirtschaft diesmal schon seit vier Jahren in einer dramatisch lähmenden Stagnationskrise. Eher unwahrscheinlich, dass die Konsumlust wiederkehrt, wenn sich die Regierung dann mit so mitreißenden Dingen wie Finanzierungsvorbehalten beschäftigt.
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Seine nächste Freitagskolumne erscheint am 15. Juli.
Aus der FTD vom 24.06.2005 |