Merkel warnt Polen vor Spaltung Europas
Klartext in Warschau: Kanzlerin Merkel verlangt von Polen Entgegenkommen in der Sicherheitspolitik. Es dürfe keine Spaltung geben. Die Regierung Kaczynski pocht darauf, selbst über den Aufbau eines US-Abwehrraketenschilds zu entscheiden.
Warschau - In einer Grundsatzrede zum deutsch-polnischen Verhältnis warnte die Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin in der Universität Warschau vor einer Spaltung Europas in Sicherheitsfragen. Damit spielte sie auf den Streit um Polens Rolle bei dem umstrittenen Raketenabwehrsystem der USA in Osteuropa an. "Geteilte Sicherheit wäre mangelnde Sicherheit", mahnte Merkel. "Nur wenn Europa zusammensteht, dann kann es mehr sein als die Summe seiner Teile. Nur dann wird Europa auch von seinen Partnern in der Welt als Akteur wirklich ernst genommen." Deshalb gelte: "Nicht für sich alleine handeln, sondern in einem einigen Europa."
Uneins über Raketenschild: Merkel und Kaczynski Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU gewinne in Zeiten der Globalisierung immer stärker an Bedeutung. "Dies gilt gerade auch im Verhältnis zu unserem Verbündeten USA und unserem großen Nachbarn Russland."
Die USA wollen in den kommenden Jahren ein gegen den Iran gerichtetes Raketenabwehrsystem in Osteuropa errichten. In Polen sollen zehn Abwehrraketen stationiert werden und in Tschechien ein Radarsystem. Merkel dringt darauf, die Raketenabwehr zu einem Nato-Projekt zu machen.
Der europapolitische Berater des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, Marek Cichocki, hatte im Vorfeld die Erwartungen gedämpft: Er gehe davon aus, dass sich nicht alle strittigen Fragen zwischen Deutschland und Polen lösen lassen. Womöglich seien die deutsch-polnischen Beziehungen früher deshalb als so erfolgreich angesehen worden, weil viele Themen nicht auf die Tagesordnung gebracht worden seien, sagte Cichocki im RBB. "Jetzt reden wir sachlich über bestimmte Probleme, die wir in den Beziehungen haben und da entsteht der Eindruck, dass wir eine Krise haben", sagte Cichocki vor Merkels Polen-Reise.
Polen pocht auf eigene Entscheidung
Zu den umstrittenen Plänen der USA, ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien aufzubauen, sagte Cichocki, derzeit gebe es Verhandlungen. "Wir überlegen, ob einige Elemente dieses Abwehrsystems auch in Polen nicht gebaut werden sollten." Die Entscheidung sei noch nicht gefallen. Dieses Problem betreffe aber die Sicherheitspolitik, die jedes Land selbst entscheiden müsse.
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Merkel äußerte sich in Warschau auch grundsätzlich zur Einigung Europas. Daher brauche die Europäische Union eine stabile Ordnung. Bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft Ende Juni wolle sie einen Fahrplan für das weitere Vorgehen präsentieren.
Auch hier hatte die polnische Führung massive Vorbehalte gegen eine EU-Verfassung auf Grundlage des bisherigen Entwurfs angemeldet, weil sie von den geplanten Reformen eine Kappung ihrer Einflussmöglichkeiten in der Gemeinschaft erwartet.
Vor der Abreise Merkels hatte Warschau der Bundesregierung schwere Vorwürfe gemacht. In Deutschland werde eine "nationale, in ihrem Wesen egoistische und dadurch Polen nicht gerade freundlich gesinnte Politik" gemacht, sagte der polnische Regierungsbeauftragte für die Beziehungen zu Deutschland, Mariusz Muszynski, in einem Interview. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, hatte zuvor mit einem Vergleich zwischen den polnischen Regierungsparteien und deutschen Rechtsextremisten für eine weitere Belastung der deutsch-polnischen Beziehungen gesorgt.
Persönliche Würdigung
Merkel würdigte in persönlichen Worten die Rolle Polens bei der Überwindung der deutschen Teilung und des Eisernen Vorhangs in Europa. "Ohne Ihre Freiheitsbewegung, ohne die Solidarnosc wäre auch mein persönlicher Lebensweg anders gelaufen, könnte ich heute nicht als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland vor Ihnen stehen."
SPIEGEL ONLINE Im deutsch-polnischen Dauerstreit um den Umgang mit den Vertriebenen stellte sich Merkel erneut hinter die Forderung deutscher Vertriebenen-Verbände nach einem Gedenken an die Opfer von Vertreibungen. Sie bemühte sich zugleich, die Sorgen auf polnischer Seite vor einer Relativierung der Nazi-Verbrechen auszuräumen. Es könne und werde keine Umdeutung der Geschichte durch Deutschland geben.
Merkel war vor ihrer Rede bereits mit dem polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczysnki zusammengekommen, anschließend wollte sie seinen Zwillingsbruder, Präsidenten Lech Kaczynski, treffen.
jaf/reuters/dpa/AP/AFP/ddp |