30. Januar 2005, NZZ am Sonntag Das Bankgeheimnis erneut unter DruckFrankreich und England fordern mehr Geld für die Dritte Welt - speziell auch von der SchweizFrankreich und England wollen die Entwicklungshilfe massiv erhöhen. Bundesrat Merz verwahrte sich gegenüber dem französischen Finanzminister gegen eine Sondersteuer für die Schweiz. Dass ein Teil der Gewinne des Schweizer Banksektors an die Dritte Welt gehen solle, sei selbstverständlich, meint Frankreichs Finanzminister. Markus Häfliger, Davos Schlechtes Wetter war angeblich schuld daran, dass Jacques Chirac nicht nach Davos reiste. Seine politische Bombe brachte der französische Präsident jedoch auch von Paris aus gekonnt ins Ziel. Per Videoübertragung forderte Chirac am Weltwirtschaftsforum eine Sondersteuer für Länder mit einem Bankgeheimnis. Indem Chirac diese Forderung ausgerechnet in Davos erhob, nimmt er das Gastgeberland ins Visier: Die Schweiz ist der weltweit grösste Finanzplatz mit einem Bankgeheimnis. Am Samstag nahm erstmals ein Mitglied der französischen Regierung zu Chiracs Aussagen Stellung. Wirtschafts- und Finanzminister Hervé Gaymard machte gegenüber der «NZZ am Sonntag» klar, dass der Vorschlag ernst gemeint ist. Länder wie die Schweiz zögen Fluchtgeld aus der Dritten Welt an, erklärte Gaymard am Rande des WEF. Deshalb sei es «naheliegend», dass ein Teil der Gewinne an die Entwicklungsländer zurückfliesse. Gaymard relativierte Chiracs Vorschläge nur insofern, als er eine Bankgeheimnis-Steuer zwar als «freiwillig» bezeichnete, sie aber gleichzeitig als gewissermassen moralisch selbstverständlich darstellte (vgl. Interview). Die Sondersteuer für den Schweizer Bankenplatz ist nur einer von mehreren Vorschlägen, die Frankreich und England in Davos lanciert haben - und von denen, sollten sie realisiert werden, die Schweiz stark betroffen wäre. All diese Vorschläge haben zum Ziel, die Zahlungen für den Kampf gegen Armut, Aids, Malaria und Analphabetismus massiv zu erhöhen (vgl. Box). Falls dies gelingt, käme auch die Schweiz unter Druck, ihr Entwicklungshilfebudget aufzustocken. Derzeit gibt die Schweiz rund 0,32 bis 0,34 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) für Entwicklungshilfe aus; 2003 waren es laut Angaben der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) 1,7 Milliarden Franken. Die nordischen Staaten sind weit spendabler, und auch Frankreich gibt laut eigenen Angaben mehr für Entwicklungshilfe aus, nämlich 0,44 Prozent des BIP. Eigentlich hat sich die Staatengemeinschaft schon vor Jahren verpflichtet, die Hilfe auf 0,7 Prozent des BIP zu erhöhen. Für die Schweiz würde dies eine Verdoppelung bedeuten. «Wenn wir die Entwicklung in Afrika nicht massiv beschleunigen, sind die Millenniums-Ziele nicht nur 2015, sondern auch 2150 nicht erreicht», warnte der britische Finanzminister Gordon Brown am WEF. Konventionelle Finanzierungsmechanismen reichten dafür nicht mehr aus. Brown und Gaymard nutzten mehrere Auftritte am WEF, um mit Verve für ihre Ideen zu werben. Am kommenden Freitag treffen sich zudem in London die Finanzminister der sieben führenden Industriestaaten (G-7). Dort werde die Einführung einer internationalen Armuts-Steuer «das grosse Thema» sein, kündigte Gaymard an, der sein Amt erst vor zwei Monaten angetreten hat. Am Samstag traf der erst 44-jährige Gaymard erstmals mit seinem Schweizer Amtskollegen Hans-Rudolf Merz (fdp.) zusammen. Bei dieser Gelegenheit hat Merz die Vorbehalte der Schweiz gegen die von Chirac vorgeschlagene Bankgeheimnis-Steuer vorgebracht, wie er nach dem Treffen erklärte. Einig sei man sich zwar darin, dass es mehr Hilfe brauche. «Gaymard hat mir aber zugesichert, dass er meine Äusserung respektiert, wonach das Ziel wichtiger ist als der Weg.» Wirtschaftsminister Joseph Deiss (cvp.) sprach sich generell gegen Steuern auf Finanztransaktionen aus. Während Chiracs Idee unisono kritisiert wird, fallen die bundesrätlichen Reaktionen auf die Idee einer International Finance Facility (IFF, vgl. Box) unterschiedlich aus. Kritiker befürchten, dass ein solches System (das nichts anderes ist als Entwicklungshilfe auf Pump) zulasten künftiger Zahlungen geht. «Eigentlich braucht es für die Finanzierung von Entwicklung gar keine neuen Strukturen», erklärte Merz. Sympathie für die IFF zeigt aber Aussenministerin Micheline Calmy- Rey. Offiziell war keine Stellungnahme erhältlich, in ihrem Departement heisst es aber, die Bundesrätin sei «angetan» vom britischen Vorschlag. Derzeit lasse sie das Projekt IFF vertieft prüfen. Finanzminister Gaymard verteidigt Chiracs IdeeNZZ am Sonntag: Jacques Chirac hat eine Sondersteuer für Länder mit Bankgeheimnis gefordert; damit nimmt er die Schweiz ins Visier. Warum? Hervé Gaymard: Da gibt es nichts zu erklären, der Vorschlag von Präsident Chirac spricht für sich. Einige Staaten haben ein Bankgeheimnis und ziehen damit enorme Summen an. Warum soll man darauf nicht einen freiwilligen Beitrag zur Finanzierung der Entwicklungshilfe erheben? Wie wollen Sie diese Idee vorantreiben? Wir werden sie nicht vorantreiben, jedes Land steht selber in der Verantwortung. Jedermann weiss, dass Eliten in den Entwicklungsländern einen Teil der Entwicklungshilfegelder veruntreuen und in geschützten Ländern placieren. Die Vorstellung, dass ein Teil der Gewinne, die mit diesem Geld erzielt werden, für Entwicklungshilfe eingesetzt wird, ist naheliegend. Und wer soll dies durchsetzen? Selbstverständlich gibt es keine internationale Instanz, die das verordnen kann. Entweder die angesprochenen Staaten beteiligen sich oder sie tun es nicht. Positiv ist das Beispiel Luxemburgs, das bereits heute gegen ein Prozent seines Bruttoinlandproduktes für Entwicklungshilfe einsetzt. Frankreich und England versuchen, sich am WEF mit Ideen zur Armutsbekämpfung gegenseitig zu übertrumpfen. Es gibt keinerlei französisch-britische Konkurrenz, im Gegenteil: Wir unterstützen uns gegenseitig, weil unsere Initiativen kompatibel sind. Interview: Markus Häfliger Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter: http://www.nzz.ch/2005/01/30/al/articleCK6ZI.html Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG Absoluter Neuling |